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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sterlichen, d. h. einem idealen Interesse unterliegt? Ihre Per¬
son kommt ihnen selbst zu klein, zu unbedeutend vor, und ist
es in der That auch, um Alles in Anspruch zu nehmen und
sich vollständig durchsetzen zu können. Ein sicheres Zeichen
dafür liegt darin, daß sie sich selbst in zwei Personen, eine
ewige und eine zeitliche, zertheilen, und jedesmal nur entweder
für die eine oder für die andere sorgen, am Sonntage für die
ewige, am Werkeltage für die zeitliche, im Gebete für jene, in
der Arbeit für diese. Sie haben den Pfaffen in sich, darum
werden sie ihn nicht los, und hören sich sonntäglich in ihrem
Innern abgekanzelt.

Wie haben die Menschen gerungen und gerechnet, um
diese dualistischen Wesen zu ermitteln. Idee folgte auf Idee,
Princip auf Princip, System auf System, und keines wußte
den Widerspruch des "weltlichen" Menschen, des sogenannten
"Egoisten" auf die Dauer niederzuhalten. Beweist dieß nicht,
daß alle jene Ideen zu ohnmächtig waren, Meinen ganzen
Willen in sich aufzunehmen und ihm genugzuthun? Sie waren
und blieben Mir feindlich, wenn auch die Feindschaft längere
Zeit verhüllt lag. Wird es mit der Eigenheit ebenso sein?
Ist auch sie nur ein Vermittlungsversuch? Zu welchem Prin¬
cipe Ich Mich wendete, wie etwa zu dem der Vernunft,
Ich mußte mich immer wieder von ihm abwenden. Oder
kann Ich immer vernünftig sein, in Allem Mein Leben nach
der Vernunft einrichten? Nach der Vernünftigkeit streben
kann Ich wohl. Ich kann sie lieben, wie eben Gott und
jede andere Idee auch: Ich kann Philosoph sein, ein Liebhaber
der Weisheit, wie Ich Gott lieb habe. Aber was Ich liebe,
wonach Ich strebe, das ist nur in Meiner Idee, Meiner Vor¬
stellung, Meinen Gedanken: es ist in Meinem Herzen, Meinem

ſterlichen, d. h. einem idealen Intereſſe unterliegt? Ihre Per¬
ſon kommt ihnen ſelbſt zu klein, zu unbedeutend vor, und iſt
es in der That auch, um Alles in Anſpruch zu nehmen und
ſich vollſtändig durchſetzen zu können. Ein ſicheres Zeichen
dafür liegt darin, daß ſie ſich ſelbſt in zwei Perſonen, eine
ewige und eine zeitliche, zertheilen, und jedesmal nur entweder
für die eine oder für die andere ſorgen, am Sonntage für die
ewige, am Werkeltage für die zeitliche, im Gebete für jene, in
der Arbeit für dieſe. Sie haben den Pfaffen in ſich, darum
werden ſie ihn nicht los, und hören ſich ſonntäglich in ihrem
Innern abgekanzelt.

Wie haben die Menſchen gerungen und gerechnet, um
dieſe dualiſtiſchen Weſen zu ermitteln. Idee folgte auf Idee,
Princip auf Princip, Syſtem auf Syſtem, und keines wußte
den Widerſpruch des „weltlichen“ Menſchen, des ſogenannten
„Egoiſten“ auf die Dauer niederzuhalten. Beweiſt dieß nicht,
daß alle jene Ideen zu ohnmächtig waren, Meinen ganzen
Willen in ſich aufzunehmen und ihm genugzuthun? Sie waren
und blieben Mir feindlich, wenn auch die Feindſchaft längere
Zeit verhüllt lag. Wird es mit der Eigenheit ebenſo ſein?
Iſt auch ſie nur ein Vermittlungsverſuch? Zu welchem Prin¬
cipe Ich Mich wendete, wie etwa zu dem der Vernunft,
Ich mußte mich immer wieder von ihm abwenden. Oder
kann Ich immer vernünftig ſein, in Allem Mein Leben nach
der Vernunft einrichten? Nach der Vernünftigkeit ſtreben
kann Ich wohl. Ich kann ſie lieben, wie eben Gott und
jede andere Idee auch: Ich kann Philoſoph ſein, ein Liebhaber
der Weisheit, wie Ich Gott lieb habe. Aber was Ich liebe,
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[106/0114] ſterlichen, d. h. einem idealen Intereſſe unterliegt? Ihre Per¬ ſon kommt ihnen ſelbſt zu klein, zu unbedeutend vor, und iſt es in der That auch, um Alles in Anſpruch zu nehmen und ſich vollſtändig durchſetzen zu können. Ein ſicheres Zeichen dafür liegt darin, daß ſie ſich ſelbſt in zwei Perſonen, eine ewige und eine zeitliche, zertheilen, und jedesmal nur entweder für die eine oder für die andere ſorgen, am Sonntage für die ewige, am Werkeltage für die zeitliche, im Gebete für jene, in der Arbeit für dieſe. Sie haben den Pfaffen in ſich, darum werden ſie ihn nicht los, und hören ſich ſonntäglich in ihrem Innern abgekanzelt. Wie haben die Menſchen gerungen und gerechnet, um dieſe dualiſtiſchen Weſen zu ermitteln. Idee folgte auf Idee, Princip auf Princip, Syſtem auf Syſtem, und keines wußte den Widerſpruch des „weltlichen“ Menſchen, des ſogenannten „Egoiſten“ auf die Dauer niederzuhalten. Beweiſt dieß nicht, daß alle jene Ideen zu ohnmächtig waren, Meinen ganzen Willen in ſich aufzunehmen und ihm genugzuthun? Sie waren und blieben Mir feindlich, wenn auch die Feindſchaft längere Zeit verhüllt lag. Wird es mit der Eigenheit ebenſo ſein? Iſt auch ſie nur ein Vermittlungsverſuch? Zu welchem Prin¬ cipe Ich Mich wendete, wie etwa zu dem der Vernunft, Ich mußte mich immer wieder von ihm abwenden. Oder kann Ich immer vernünftig ſein, in Allem Mein Leben nach der Vernunft einrichten? Nach der Vernünftigkeit ſtreben kann Ich wohl. Ich kann ſie lieben, wie eben Gott und jede andere Idee auch: Ich kann Philoſoph ſein, ein Liebhaber der Weisheit, wie Ich Gott lieb habe. Aber was Ich liebe, wonach Ich ſtrebe, das iſt nur in Meiner Idee, Meiner Vor¬ ſtellung, Meinen Gedanken: es iſt in Meinem Herzen, Meinem

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/114>, abgerufen am 29.03.2024.