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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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langt hat; die Freiheit und Gleichheit, der blutige Guillotinen
zu Diensten standen.

Wer für eine große Idee, eine gute Sache, eine Lehre,
ein System, einen erhabenen Beruf lebt, der darf kein welt¬
liches Gelüste, kein selbstsüchtiges Interesse in sich aufkommen
lassen. Hier haben Wir den Begriff des Pfaffenthums,
oder wie es in seiner pädagogischen Wirksamkeit auch genannt
werden kann, der Schulmeisterlichkeit; denn die Idealen schul¬
meistern Uns. Der Geistliche ist recht eigentlich berufen, der
Idee zu leben und für die Idee, die wahrhaft gute Sache,
zu wirken. Deshalb fühlt das Volk, wie wenig es ihm an¬
stehe, einen weltlichen Hochmuth zu zeigen, ein Wohlleben zu
begehren, Vergnügen, wie Tanz und Spiel, mitzumachen, kurz
ein anderes als ein "heiliges Interesse" zu haben. Daher
schreibt sich auch wohl die dürftige Besoldung der Lehrer, die
sich allein durch die Heiligkeit ihres Berufes belohnt fühlen
und sonstigen Genüssen "entsagen" sollen.

Auch an einer Rangliste der heiligen Ideen, deren eine
oder mehrere der Mensch als seinen Beruf ansehen soll, fehlt
es nicht. Familie, Vaterland, Wissenschaft u. dergl. kann an
Mir einen berufstreuen Diener finden.

Da stoßen Wir auf den uralten Wahn der Welt, die
des Pfaffenthums noch nicht entrathen gelernt hat. Für
eine Idee
leben und schaffen, das sei der Beruf des Men¬
schen, und nach der Treue seiner Erfüllung messe sich sein
menschlicher Werth.

Dieß ist die Herrschaft der Idee oder das Pfaffenthum.
Robespierre z. B., St. Just u. s. w. waren durch und durch
Pfaffen, begeistert von der Idee, Enthusiasten, consequente
Rüstzeuge dieser Idee, ideale Menschen. So ruft St. Just

langt hat; die Freiheit und Gleichheit, der blutige Guillotinen
zu Dienſten ſtanden.

Wer für eine große Idee, eine gute Sache, eine Lehre,
ein Syſtem, einen erhabenen Beruf lebt, der darf kein welt¬
liches Gelüſte, kein ſelbſtſüchtiges Intereſſe in ſich aufkommen
laſſen. Hier haben Wir den Begriff des Pfaffenthums,
oder wie es in ſeiner pädagogiſchen Wirkſamkeit auch genannt
werden kann, der Schulmeiſterlichkeit; denn die Idealen ſchul¬
meiſtern Uns. Der Geiſtliche iſt recht eigentlich berufen, der
Idee zu leben und für die Idee, die wahrhaft gute Sache,
zu wirken. Deshalb fühlt das Volk, wie wenig es ihm an¬
ſtehe, einen weltlichen Hochmuth zu zeigen, ein Wohlleben zu
begehren, Vergnügen, wie Tanz und Spiel, mitzumachen, kurz
ein anderes als ein „heiliges Intereſſe“ zu haben. Daher
ſchreibt ſich auch wohl die dürftige Beſoldung der Lehrer, die
ſich allein durch die Heiligkeit ihres Berufes belohnt fühlen
und ſonſtigen Genüſſen „entſagen“ ſollen.

Auch an einer Rangliſte der heiligen Ideen, deren eine
oder mehrere der Menſch als ſeinen Beruf anſehen ſoll, fehlt
es nicht. Familie, Vaterland, Wiſſenſchaft u. dergl. kann an
Mir einen berufstreuen Diener finden.

Da ſtoßen Wir auf den uralten Wahn der Welt, die
des Pfaffenthums noch nicht entrathen gelernt hat. Für
eine Idee
leben und ſchaffen, das ſei der Beruf des Men¬
ſchen, und nach der Treue ſeiner Erfüllung meſſe ſich ſein
menſchlicher Werth.

Dieß iſt die Herrſchaft der Idee oder das Pfaffenthum.
Robespierre z. B., St. Juſt u. ſ. w. waren durch und durch
Pfaffen, begeiſtert von der Idee, Enthuſiaſten, conſequente
Rüſtzeuge dieſer Idee, ideale Menſchen. So ruft St. Juſt

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[100/0108] langt hat; die Freiheit und Gleichheit, der blutige Guillotinen zu Dienſten ſtanden. Wer für eine große Idee, eine gute Sache, eine Lehre, ein Syſtem, einen erhabenen Beruf lebt, der darf kein welt¬ liches Gelüſte, kein ſelbſtſüchtiges Intereſſe in ſich aufkommen laſſen. Hier haben Wir den Begriff des Pfaffenthums, oder wie es in ſeiner pädagogiſchen Wirkſamkeit auch genannt werden kann, der Schulmeiſterlichkeit; denn die Idealen ſchul¬ meiſtern Uns. Der Geiſtliche iſt recht eigentlich berufen, der Idee zu leben und für die Idee, die wahrhaft gute Sache, zu wirken. Deshalb fühlt das Volk, wie wenig es ihm an¬ ſtehe, einen weltlichen Hochmuth zu zeigen, ein Wohlleben zu begehren, Vergnügen, wie Tanz und Spiel, mitzumachen, kurz ein anderes als ein „heiliges Intereſſe“ zu haben. Daher ſchreibt ſich auch wohl die dürftige Beſoldung der Lehrer, die ſich allein durch die Heiligkeit ihres Berufes belohnt fühlen und ſonſtigen Genüſſen „entſagen“ ſollen. Auch an einer Rangliſte der heiligen Ideen, deren eine oder mehrere der Menſch als ſeinen Beruf anſehen ſoll, fehlt es nicht. Familie, Vaterland, Wiſſenſchaft u. dergl. kann an Mir einen berufstreuen Diener finden. Da ſtoßen Wir auf den uralten Wahn der Welt, die des Pfaffenthums noch nicht entrathen gelernt hat. Für eine Idee leben und ſchaffen, das ſei der Beruf des Men¬ ſchen, und nach der Treue ſeiner Erfüllung meſſe ſich ſein menſchlicher Werth. Dieß iſt die Herrſchaft der Idee oder das Pfaffenthum. Robespierre z. B., St. Juſt u. ſ. w. waren durch und durch Pfaffen, begeiſtert von der Idee, Enthuſiaſten, conſequente Rüſtzeuge dieſer Idee, ideale Menſchen. So ruft St. Juſt

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/108>, abgerufen am 29.03.2024.