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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Ideen die Spitze, die Consequenz, den zerstörenden und gegen
allen Egoismus fanatischen Ernst genommen hatte." Diese
Leute sind also nicht aufopfernd, nicht begeistert, nicht ideal,
nicht consequent, keine Enthusiasten; sie sind im gewöhnlichen
Verstande Egoisten, Eigennützige, auf ihren Vortheil bedacht,
nüchtern, berechnend u. s. w.

Wer ist denn "aufopfernd"? Vollständig doch wohl der¬
jenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Lei¬
denschaft u. s. w. alles Andere setzt. Ist der Liebende, der
Vater und Mutter verläßt, der alle Gefahren und Entbehrun¬
gen besteht, um zu seinem Ziele zu kommen, nicht aufopfernd?
Oder der Ehrgeizige, der alle Begierden, Wünsche und Be¬
friedigungen der einzigen Leidenschaft darbringt, oder der Gei¬
zige, der sich Alles versagt, um Schätze zu sammeln, oder der
Vergnügungssüchtige u. s. w.? Ihn beherrscht eine Leiden¬
schaft, der er die übrigen zum Opfer bringt.

Und sind diese Aufopfernden etwa nicht eigennützig, nicht
Egoisten? Da sie nur Eine herrschende Leidenschaft haben,
sorgen sie auch nur für Eine Befriedigung, aber für diese um
desto eifriger: sie gehen in ihr auf. Egoistisch ist ihr ganzes
Thun und Treiben, aber es ist ein einseitiger, unaufgeschlosse¬
ner, bornirter Egoismus: es ist Besessenheit.

"Das sind ja kleinliche Leidenschaften, von denen sich im
Gegentheil der Mensch nicht knechten lassen soll. Für eine
große Idee, eine große Sache muß der Mensch Opfer brin¬
gen!" Eine "große Idee", eine "gute Sache" ist etwa die
Ehre Gottes, für die Unzählige in den Tod gingen, das
Christenthum, das seine bereitwilligen Märtyrer gefunden hat,
die alleinseligmachende Kirche, die sich Ketzeropfer gierig ge¬

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Ideen die Spitze, die Conſequenz, den zerſtörenden und gegen
allen Egoismus fanatiſchen Ernſt genommen hatte.“ Dieſe
Leute ſind alſo nicht aufopfernd, nicht begeiſtert, nicht ideal,
nicht conſequent, keine Enthuſiaſten; ſie ſind im gewöhnlichen
Verſtande Egoiſten, Eigennützige, auf ihren Vortheil bedacht,
nüchtern, berechnend u. ſ. w.

Wer iſt denn „aufopfernd“? Vollſtändig doch wohl der¬
jenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Lei¬
denſchaft u. ſ. w. alles Andere ſetzt. Iſt der Liebende, der
Vater und Mutter verläßt, der alle Gefahren und Entbehrun¬
gen beſteht, um zu ſeinem Ziele zu kommen, nicht aufopfernd?
Oder der Ehrgeizige, der alle Begierden, Wünſche und Be¬
friedigungen der einzigen Leidenſchaft darbringt, oder der Gei¬
zige, der ſich Alles verſagt, um Schätze zu ſammeln, oder der
Vergnügungsſüchtige u. ſ. w.? Ihn beherrſcht eine Leiden¬
ſchaft, der er die übrigen zum Opfer bringt.

Und ſind dieſe Aufopfernden etwa nicht eigennützig, nicht
Egoiſten? Da ſie nur Eine herrſchende Leidenſchaft haben,
ſorgen ſie auch nur für Eine Befriedigung, aber für dieſe um
deſto eifriger: ſie gehen in ihr auf. Egoiſtiſch iſt ihr ganzes
Thun und Treiben, aber es iſt ein einſeitiger, unaufgeſchloſſe¬
ner, bornirter Egoismus: es iſt Beſeſſenheit.

„Das ſind ja kleinliche Leidenſchaften, von denen ſich im
Gegentheil der Menſch nicht knechten laſſen ſoll. Für eine
große Idee, eine große Sache muß der Menſch Opfer brin¬
gen!“ Eine „große Idee“, eine „gute Sache“ iſt etwa die
Ehre Gottes, für die Unzählige in den Tod gingen, das
Chriſtenthum, das ſeine bereitwilligen Märtyrer gefunden hat,
die alleinſeligmachende Kirche, die ſich Ketzeropfer gierig ge¬

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[99/0107] Ideen die Spitze, die Conſequenz, den zerſtörenden und gegen allen Egoismus fanatiſchen Ernſt genommen hatte.“ Dieſe Leute ſind alſo nicht aufopfernd, nicht begeiſtert, nicht ideal, nicht conſequent, keine Enthuſiaſten; ſie ſind im gewöhnlichen Verſtande Egoiſten, Eigennützige, auf ihren Vortheil bedacht, nüchtern, berechnend u. ſ. w. Wer iſt denn „aufopfernd“? Vollſtändig doch wohl der¬ jenige, der an Eins, Einen Zweck, Einen Willen, Eine Lei¬ denſchaft u. ſ. w. alles Andere ſetzt. Iſt der Liebende, der Vater und Mutter verläßt, der alle Gefahren und Entbehrun¬ gen beſteht, um zu ſeinem Ziele zu kommen, nicht aufopfernd? Oder der Ehrgeizige, der alle Begierden, Wünſche und Be¬ friedigungen der einzigen Leidenſchaft darbringt, oder der Gei¬ zige, der ſich Alles verſagt, um Schätze zu ſammeln, oder der Vergnügungsſüchtige u. ſ. w.? Ihn beherrſcht eine Leiden¬ ſchaft, der er die übrigen zum Opfer bringt. Und ſind dieſe Aufopfernden etwa nicht eigennützig, nicht Egoiſten? Da ſie nur Eine herrſchende Leidenſchaft haben, ſorgen ſie auch nur für Eine Befriedigung, aber für dieſe um deſto eifriger: ſie gehen in ihr auf. Egoiſtiſch iſt ihr ganzes Thun und Treiben, aber es iſt ein einſeitiger, unaufgeſchloſſe¬ ner, bornirter Egoismus: es iſt Beſeſſenheit. „Das ſind ja kleinliche Leidenſchaften, von denen ſich im Gegentheil der Menſch nicht knechten laſſen ſoll. Für eine große Idee, eine große Sache muß der Menſch Opfer brin¬ gen!“ Eine „große Idee“, eine „gute Sache“ iſt etwa die Ehre Gottes, für die Unzählige in den Tod gingen, das Chriſtenthum, das ſeine bereitwilligen Märtyrer gefunden hat, die alleinſeligmachende Kirche, die ſich Ketzeropfer gierig ge¬ 7*

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/107>, abgerufen am 25.04.2024.