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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Die geistlichen Menschen haben sich Etwas in den Kopf
gesetzt
, was realisirt werden soll. Sie haben Begriffe
von Liebe, Güte u. dergl., die sie verwirklicht sehen möch¬
ten; darum wollen sie ein Reich der Liebe auf Erden errichten,
worin Keiner mehr aus Eigennutz, sondern Jeder "aus Liebe"
handelt. Die Liebe soll herrschen. Was sie sich in den
Kopf gesetzt haben, wie soll man das anders nennen, als --
fixe Idee? Es "spukt ja in ihrem Kopfe". Der beklem¬
mendste Spuk ist der Mensch. Man denke des Sprichwortes:
"Der Weg zum Verderben ist mit guten Vorsätzen gepflastert."
Der Vorsatz, die Menschlichkeit ganz in sich zu verwirklichen,
ganz Mensch zu werden, ist von so verderblicher Art; dahin
gehören die Vorsätze, gut, edel, liebevoll u. s. w. zu werden.

In dem sechsten Hefte der Denkwürdigkeiten S. 7 sagt
Br. Bauer: "Jene Bürgerklasse, die für die neuere Geschichte
ein so furchtbares Gewicht erhalten sollte, ist keiner aufopfern¬
den Handlung, keiner Begeisterung für eine Idee, keiner Er¬
hebung fähig: sie giebt sich für nichts hin, als für das In¬
teresse ihrer Mittelmäßigkeit, d. h. sie bleibt immer auf sich
selbst beschränkt und siegt endlich nur durch ihre Massenhaftig¬
keit, mit welcher sie die Anstrengungen der Leidenschaft, der
Begeisterung, der Consequenz zu ermüden wußte, durch ihre
Oberfläche, in welche sie einen Theil der neuen Ideen ein¬
saugt." Und S. 6: "Sie hat die revolutionairen Ideen, für
welche nicht sie, sondern uneigennützige oder leidenschaftliche
Männer sich aufopferten, sich allein zu Gute kommen lassen,
den Geist in Geld verwandelt. -- Freilich nachdem sie jenen
*)

*) menschen stecke, und zogen nur gegen die gelehrte und verfeinerte Bil¬
dung los.

Die geiſtlichen Menſchen haben ſich Etwas in den Kopf
geſetzt
, was realiſirt werden ſoll. Sie haben Begriffe
von Liebe, Güte u. dergl., die ſie verwirklicht ſehen möch¬
ten; darum wollen ſie ein Reich der Liebe auf Erden errichten,
worin Keiner mehr aus Eigennutz, ſondern Jeder „aus Liebe“
handelt. Die Liebe ſoll herrſchen. Was ſie ſich in den
Kopf geſetzt haben, wie ſoll man das anders nennen, als —
fixe Idee? Es „ſpukt ja in ihrem Kopfe“. Der beklem¬
mendſte Spuk iſt der Menſch. Man denke des Sprichwortes:
„Der Weg zum Verderben iſt mit guten Vorſätzen gepflaſtert.“
Der Vorſatz, die Menſchlichkeit ganz in ſich zu verwirklichen,
ganz Menſch zu werden, iſt von ſo verderblicher Art; dahin
gehören die Vorſätze, gut, edel, liebevoll u. ſ. w. zu werden.

In dem ſechſten Hefte der Denkwürdigkeiten S. 7 ſagt
Br. Bauer: „Jene Bürgerklaſſe, die für die neuere Geſchichte
ein ſo furchtbares Gewicht erhalten ſollte, iſt keiner aufopfern¬
den Handlung, keiner Begeiſterung für eine Idee, keiner Er¬
hebung fähig: ſie giebt ſich für nichts hin, als für das In¬
tereſſe ihrer Mittelmäßigkeit, d. h. ſie bleibt immer auf ſich
ſelbſt beſchränkt und ſiegt endlich nur durch ihre Maſſenhaftig¬
keit, mit welcher ſie die Anſtrengungen der Leidenſchaft, der
Begeiſterung, der Conſequenz zu ermüden wußte, durch ihre
Oberfläche, in welche ſie einen Theil der neuen Ideen ein¬
ſaugt.“ Und S. 6: „Sie hat die revolutionairen Ideen, für
welche nicht ſie, ſondern uneigennützige oder leidenſchaftliche
Männer ſich aufopferten, ſich allein zu Gute kommen laſſen,
den Geiſt in Geld verwandelt. — Freilich nachdem ſie jenen
*)

*) menſchen ſtecke, und zogen nur gegen die gelehrte und verfeinerte Bil¬
dung los.
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[98/0106] Die geiſtlichen Menſchen haben ſich Etwas in den Kopf geſetzt, was realiſirt werden ſoll. Sie haben Begriffe von Liebe, Güte u. dergl., die ſie verwirklicht ſehen möch¬ ten; darum wollen ſie ein Reich der Liebe auf Erden errichten, worin Keiner mehr aus Eigennutz, ſondern Jeder „aus Liebe“ handelt. Die Liebe ſoll herrſchen. Was ſie ſich in den Kopf geſetzt haben, wie ſoll man das anders nennen, als — fixe Idee? Es „ſpukt ja in ihrem Kopfe“. Der beklem¬ mendſte Spuk iſt der Menſch. Man denke des Sprichwortes: „Der Weg zum Verderben iſt mit guten Vorſätzen gepflaſtert.“ Der Vorſatz, die Menſchlichkeit ganz in ſich zu verwirklichen, ganz Menſch zu werden, iſt von ſo verderblicher Art; dahin gehören die Vorſätze, gut, edel, liebevoll u. ſ. w. zu werden. In dem ſechſten Hefte der Denkwürdigkeiten S. 7 ſagt Br. Bauer: „Jene Bürgerklaſſe, die für die neuere Geſchichte ein ſo furchtbares Gewicht erhalten ſollte, iſt keiner aufopfern¬ den Handlung, keiner Begeiſterung für eine Idee, keiner Er¬ hebung fähig: ſie giebt ſich für nichts hin, als für das In¬ tereſſe ihrer Mittelmäßigkeit, d. h. ſie bleibt immer auf ſich ſelbſt beſchränkt und ſiegt endlich nur durch ihre Maſſenhaftig¬ keit, mit welcher ſie die Anſtrengungen der Leidenſchaft, der Begeiſterung, der Conſequenz zu ermüden wußte, durch ihre Oberfläche, in welche ſie einen Theil der neuen Ideen ein¬ ſaugt.“ Und S. 6: „Sie hat die revolutionairen Ideen, für welche nicht ſie, ſondern uneigennützige oder leidenſchaftliche Männer ſich aufopferten, ſich allein zu Gute kommen laſſen, den Geiſt in Geld verwandelt. — Freilich nachdem ſie jenen *) *) menſchen ſtecke, und zogen nur gegen die gelehrte und verfeinerte Bil¬ dung los.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/106>, abgerufen am 29.03.2024.