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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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An den andern Seiten des Thales nehmlich von
Mitternacht Morgen und Abend her sind die Berge
langgestrekt und niederer, manche Felder und Wiesen
steigen ziemlich hoch hinauf, und oberhalb ihrer sieht
man verschiedene Waldblößen Alpenhütten und der¬
gleichen, bis sie an ihrem Rande mit feingezaktem
Walde am Himmel hingehen, welche Auszakung
eben ihre geringe Höhe anzeigt, während die mittäg¬
lichen Berge, obwohl sie noch großartigere Wälder
hegen, doch mit einem ganz glatten Rande an dem
glänzenden Himmel hinstreichen.

Wenn man so ziemlich mitten in dem Thale steht,
so hat man die Empfindung, als ginge nirgends ein
Weg in dieses Beken herein und keiner daraus hinaus;
allein diejenigen, welche öfter im Gebirge gewesen
sind, kennen diese Täuschung gar wohl: in der That
führen nicht nur verschiedene Wege und darunter sogar
manche durch die Verschiebungen der Berge fast auf
ebenem Boden in die nördlichen Flächen hinaus, son¬
dern gegen Mittag, wo das Thal durch steilrechte
Mauern fast geschlossen scheint, geht sogar ein Weg
über den obbenannten Hals.

Das Dörflein heißt Gschaid, und der Schneeberg,
der auf seine Häuser herab schaut, heißt Gars.

Jenseits des Halses liegt ein viel schöneres und

Stifter, Jugendschriften II. 2

An den andern Seiten des Thales nehmlich von
Mitternacht Morgen und Abend her ſind die Berge
langgeſtrekt und niederer, manche Felder und Wieſen
ſteigen ziemlich hoch hinauf, und oberhalb ihrer ſieht
man verſchiedene Waldblößen Alpenhütten und der¬
gleichen, bis ſie an ihrem Rande mit feingezaktem
Walde am Himmel hingehen, welche Auszakung
eben ihre geringe Höhe anzeigt, während die mittäg¬
lichen Berge, obwohl ſie noch großartigere Wälder
hegen, doch mit einem ganz glatten Rande an dem
glänzenden Himmel hinſtreichen.

Wenn man ſo ziemlich mitten in dem Thale ſteht,
ſo hat man die Empfindung, als ginge nirgends ein
Weg in dieſes Beken herein und keiner daraus hinaus;
allein diejenigen, welche öfter im Gebirge geweſen
ſind, kennen dieſe Täuſchung gar wohl: in der That
führen nicht nur verſchiedene Wege und darunter ſogar
manche durch die Verſchiebungen der Berge faſt auf
ebenem Boden in die nördlichen Flächen hinaus, ſon¬
dern gegen Mittag, wo das Thal durch ſteilrechte
Mauern faſt geſchloſſen ſcheint, geht ſogar ein Weg
über den obbenannten Hals.

Das Dörflein heißt Gſchaid, und der Schneeberg,
der auf ſeine Häuſer herab ſchaut, heißt Gars.

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Stifter, Jugendschriften II. 2
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[17/0028] An den andern Seiten des Thales nehmlich von Mitternacht Morgen und Abend her ſind die Berge langgeſtrekt und niederer, manche Felder und Wieſen ſteigen ziemlich hoch hinauf, und oberhalb ihrer ſieht man verſchiedene Waldblößen Alpenhütten und der¬ gleichen, bis ſie an ihrem Rande mit feingezaktem Walde am Himmel hingehen, welche Auszakung eben ihre geringe Höhe anzeigt, während die mittäg¬ lichen Berge, obwohl ſie noch großartigere Wälder hegen, doch mit einem ganz glatten Rande an dem glänzenden Himmel hinſtreichen. Wenn man ſo ziemlich mitten in dem Thale ſteht, ſo hat man die Empfindung, als ginge nirgends ein Weg in dieſes Beken herein und keiner daraus hinaus; allein diejenigen, welche öfter im Gebirge geweſen ſind, kennen dieſe Täuſchung gar wohl: in der That führen nicht nur verſchiedene Wege und darunter ſogar manche durch die Verſchiebungen der Berge faſt auf ebenem Boden in die nördlichen Flächen hinaus, ſon¬ dern gegen Mittag, wo das Thal durch ſteilrechte Mauern faſt geſchloſſen ſcheint, geht ſogar ein Weg über den obbenannten Hals. Das Dörflein heißt Gſchaid, und der Schneeberg, der auf ſeine Häuſer herab ſchaut, heißt Gars. Jenſeits des Halſes liegt ein viel ſchöneres und Stifter, Jugendschriften II. 2

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/28>, abgerufen am 29.03.2024.