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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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grauem Rasen bedekt war, und auf dem nach allen
Richtungen hin in gewissen Entfernungen von einan¬
der Föhren standen.

"Das, worauf wir jezt gehen," sagte der Gro߬
vater, "sind die Dürrschnäbel, es ist ein seltsamer
Name, entweder kömmt er von dem trokenen dürren
Boden, oder von dem mageren Kräutlein, das tau¬
sendfältig auf dem Boden sizt, und dessen Blüthe ein
weißes Schnäblein hat mit einem gelben Zünglein
darin. Siehe, die mächtigen Föhren gehören den
Bürgern zu Oberplan je nach der Steuerbarkeit, sie
haben die Nadeln nicht in zwei Zeilen, sondern in
Scheiden wie grüne Borstbüschel, sie haben das
geschmeidige fette Holz, sie haben das gelbe Pech, sie
streuen sparsamen Schatten, und wenn ein schwaches
Lüftchen geht, so hört man die Nadeln ruhig und
langsam sausen."

Ich hatte Gelegenheit, als wir weiter gingen,
die Wahrheit dessen zu beobachten, was der Gro߬
vater gesagt hatte. Ich sah eine Menge der wei߬
gelben Blümlein auf dem Boden, ich sah den grauen
Rasen, ich sah auf manchem Stamme das Pech wie
goldene Tropfen stehen, ich sah die unzähligen Nadel¬
büschel auf den unzähligen Zweigen gleichsam aus
winzigen dunkeln Stiefelchen heraus ragen, und ich

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grauem Raſen bedekt war, und auf dem nach allen
Richtungen hin in gewiſſen Entfernungen von einan¬
der Föhren ſtanden.

„Das, worauf wir jezt gehen,“ ſagte der Gro߬
vater, „ſind die Dürrſchnäbel, es iſt ein ſeltſamer
Name, entweder kömmt er von dem trokenen dürren
Boden, oder von dem mageren Kräutlein, das tau¬
ſendfältig auf dem Boden ſizt, und deſſen Blüthe ein
weißes Schnäblein hat mit einem gelben Zünglein
darin. Siehe, die mächtigen Föhren gehören den
Bürgern zu Oberplan je nach der Steuerbarkeit, ſie
haben die Nadeln nicht in zwei Zeilen, ſondern in
Scheiden wie grüne Borſtbüſchel, ſie haben das
geſchmeidige fette Holz, ſie haben das gelbe Pech, ſie
ſtreuen ſparſamen Schatten, und wenn ein ſchwaches
Lüftchen geht, ſo hört man die Nadeln ruhig und
langſam ſauſen.“

Ich hatte Gelegenheit, als wir weiter gingen,
die Wahrheit deſſen zu beobachten, was der Gro߬
vater geſagt hatte. Ich ſah eine Menge der wei߬
gelben Blümlein auf dem Boden, ich ſah den grauen
Raſen, ich ſah auf manchem Stamme das Pech wie
goldene Tropfen ſtehen, ich ſah die unzähligen Nadel¬
büſchel auf den unzähligen Zweigen gleichſam aus
winzigen dunkeln Stiefelchen heraus ragen, und ich

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[35/0048] grauem Raſen bedekt war, und auf dem nach allen Richtungen hin in gewiſſen Entfernungen von einan¬ der Föhren ſtanden. „Das, worauf wir jezt gehen,“ ſagte der Gro߬ vater, „ſind die Dürrſchnäbel, es iſt ein ſeltſamer Name, entweder kömmt er von dem trokenen dürren Boden, oder von dem mageren Kräutlein, das tau¬ ſendfältig auf dem Boden ſizt, und deſſen Blüthe ein weißes Schnäblein hat mit einem gelben Zünglein darin. Siehe, die mächtigen Föhren gehören den Bürgern zu Oberplan je nach der Steuerbarkeit, ſie haben die Nadeln nicht in zwei Zeilen, ſondern in Scheiden wie grüne Borſtbüſchel, ſie haben das geſchmeidige fette Holz, ſie haben das gelbe Pech, ſie ſtreuen ſparſamen Schatten, und wenn ein ſchwaches Lüftchen geht, ſo hört man die Nadeln ruhig und langſam ſauſen.“ Ich hatte Gelegenheit, als wir weiter gingen, die Wahrheit deſſen zu beobachten, was der Gro߬ vater geſagt hatte. Ich ſah eine Menge der wei߬ gelben Blümlein auf dem Boden, ich ſah den grauen Raſen, ich ſah auf manchem Stamme das Pech wie goldene Tropfen ſtehen, ich ſah die unzähligen Nadel¬ büſchel auf den unzähligen Zweigen gleichſam aus winzigen dunkeln Stiefelchen heraus ragen, und ich 3*

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/48>, abgerufen am 29.03.2024.