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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Gesez des Rechtes und der Sitte nicht ersichtlich ist,
wenn sie nach einseitigen und selbstsüchtigen Zweken
ringen, dann wendet sich der Menschenforscher, wie
gewaltig und furchtbar sie auch sein mögen, mit Ekel
von ihnen ab, und betrachtet sie als ein Kleines als
ein des Menschen Unwürdiges. So groß ist die Ge¬
walt dieses Rechts- und Sittengesezes, daß es über¬
all, wo es immer bekämpft worden ist, doch endlich
allezeit siegreich und herrlich aus dem Kampfe hervor¬
gegangen ist. Ja wenn sogar der Einzelne oder ganze
Geschlechter für Recht und Sitte untergegangen sind,
so fühlen wir sie nicht als besiegt, wir fühlen sie als
triumphirend, in unser Mitleid mischt sich ein Jauch¬
zen und Entzüken, weil das Ganze höher steht als
der Theil, weil das Gute größer ist als der Tod,
wir sagen da, wir empfinden das Tragische, und
werden mit Schauern in den reineren Äther des
Sittengesezes emporgehoben. Wenn wir die Mensch¬
heit in der Geschichte wie einen ruhigen Silberstrom
einem großen ewigen Ziele entgegen gehen sehen, so
empfinden wir das Erhabene das vorzugsweise Epische.
Aber wie gewaltig und in großen Zügen auch das
Tragische und Epische wirken, wie ausgezeichnete
Hebel sie auch in der Kunst sind, so sind es haupt¬
sächlich doch immer die gewöhnlichen alltäglichen in

Geſez des Rechtes und der Sitte nicht erſichtlich iſt,
wenn ſie nach einſeitigen und ſelbſtſüchtigen Zweken
ringen, dann wendet ſich der Menſchenforſcher, wie
gewaltig und furchtbar ſie auch ſein mögen, mit Ekel
von ihnen ab, und betrachtet ſie als ein Kleines als
ein des Menſchen Unwürdiges. So groß iſt die Ge¬
walt dieſes Rechts- und Sittengeſezes, daß es über¬
all, wo es immer bekämpft worden iſt, doch endlich
allezeit ſiegreich und herrlich aus dem Kampfe hervor¬
gegangen iſt. Ja wenn ſogar der Einzelne oder ganze
Geſchlechter für Recht und Sitte untergegangen ſind,
ſo fühlen wir ſie nicht als beſiegt, wir fühlen ſie als
triumphirend, in unſer Mitleid miſcht ſich ein Jauch¬
zen und Entzüken, weil das Ganze höher ſteht als
der Theil, weil das Gute größer iſt als der Tod,
wir ſagen da, wir empfinden das Tragiſche, und
werden mit Schauern in den reineren Äther des
Sittengeſezes emporgehoben. Wenn wir die Menſch¬
heit in der Geſchichte wie einen ruhigen Silberſtrom
einem großen ewigen Ziele entgegen gehen ſehen, ſo
empfinden wir das Erhabene das vorzugsweiſe Epiſche.
Aber wie gewaltig und in großen Zügen auch das
Tragiſche und Epiſche wirken, wie ausgezeichnete
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[9/0022] Geſez des Rechtes und der Sitte nicht erſichtlich iſt, wenn ſie nach einſeitigen und ſelbſtſüchtigen Zweken ringen, dann wendet ſich der Menſchenforſcher, wie gewaltig und furchtbar ſie auch ſein mögen, mit Ekel von ihnen ab, und betrachtet ſie als ein Kleines als ein des Menſchen Unwürdiges. So groß iſt die Ge¬ walt dieſes Rechts- und Sittengeſezes, daß es über¬ all, wo es immer bekämpft worden iſt, doch endlich allezeit ſiegreich und herrlich aus dem Kampfe hervor¬ gegangen iſt. Ja wenn ſogar der Einzelne oder ganze Geſchlechter für Recht und Sitte untergegangen ſind, ſo fühlen wir ſie nicht als beſiegt, wir fühlen ſie als triumphirend, in unſer Mitleid miſcht ſich ein Jauch¬ zen und Entzüken, weil das Ganze höher ſteht als der Theil, weil das Gute größer iſt als der Tod, wir ſagen da, wir empfinden das Tragiſche, und werden mit Schauern in den reineren Äther des Sittengeſezes emporgehoben. Wenn wir die Menſch¬ heit in der Geſchichte wie einen ruhigen Silberſtrom einem großen ewigen Ziele entgegen gehen ſehen, ſo empfinden wir das Erhabene das vorzugsweiſe Epiſche. Aber wie gewaltig und in großen Zügen auch das Tragiſche und Epiſche wirken, wie ausgezeichnete Hebel ſie auch in der Kunſt ſind, ſo ſind es haupt¬ ſächlich doch immer die gewöhnlichen alltäglichen in

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/22>, abgerufen am 18.04.2024.