Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

murder, but can explain these as the necessary result of social
agglutination, we see nothing in the organisation of the Turanian
languages that betrays the influence of some individual poetical
genius, as the framer of peculiar laws, or the author of certain
grammatical principles. In the Semitic and Arian languages, on
the contrary, we find institutions, laws, and agreements,
which, like the laws of inheritance and succession at
Rome or in India, show the stamp of an individual will
impressed on the previous traditions of scattered tribes. It is
possible that the Semitic and Arian languages also passed through
a stage of mechanical crystallisation, or uncontrolled conglome-
ration of grammatical elements; but they left it, and entered
into a new phase of growth and decay, and that through the
agency of one creative genius grasping the floating ele-
ments of speech, and preventing by his fiat their further atomi-
cal concretion.

Beckerianer, ihr seid gerechtfertigt!

Bunsen hat seine frühere Ansicht von der Dreitheilung der
Sprachen und Völker nach Sem, Ham und Japhet der Müller-
schen nach Tur, Silim und Irij, also den semitischen Mythos dem
arischen geopfert. Mythos gegen Mythos: ob das wohl der Mühe
des Tausches lohnt? -- Ich erinnere mich, daß vor mehreren
Jahren ein Mann in Berlin lebte, Namens Schwartze, welcher
in zwei dicken Quartbänden und in einer Koptischen Gramma-
tik bewies, daß die ägyptische Sprache weder die Ursprache
des Semitischen und Sanskritischen sei, wie Bunsen ehemals
meinte, noch ein bloßer Zweig des Semitischen, wie er jetzt
meint; sondern ein Stamm neben den beiden andern Stämmen.
Der Mann verstand das Koptische vortrefflich und hatte eine
feine sprachwissenschaftliche Bildung.

Beckers Ansichten fanden bei den historischen Sprachfor-
schern von vorn herein Widerspruch, und ein Etymologe, wie
Pott, konnte sich keinen Augenblick mit Beckers Werk über
"das Wort" vertragen. Aber ich wüßte doch nicht zu sagen,
wie weit wohl die historischen Sprachforscher über diesen blo-
ßen Widerspruch gegen Becker hinausgekommen sind. Ja, in
seiner Sphäre, d. h. in der allgemeinen Grammatik, hat man

murder, but can explain these as the necessary result of social
agglutination, we see nothing in the organisation of the Turanian
languages that betrays the influence of some individual poetical
genius, as the framer of peculiar laws, or the author of certain
grammatical principles. In the Semitic and Arian languages, on
the contrary, we find institutions, laws, and agreements,
which, like the laws of inheritance and succession at
Rome or in India, show the stamp of an individual will
impressed on the previous traditions of scattered tribes. It is
possible that the Semitic and Arian languages also passed through
a stage of mechanical crystallisation, or uncontrolled conglome-
ration of grammatical elements; but they left it, and entered
into a new phase of growth and decay, and that through the
agency of one creative genius grasping the floating ele-
ments of speech, and preventing by his fiat their further atomi-
cal concretion.

Beckerianer, ihr seid gerechtfertigt!

Bunsen hat seine frühere Ansicht von der Dreitheilung der
Sprachen und Völker nach Sem, Ham und Japhet der Müller-
schen nach Tur, Silim und Irij, also den semitischen Mythos dem
arischen geopfert. Mythos gegen Mythos: ob das wohl der Mühe
des Tausches lohnt? — Ich erinnere mich, daß vor mehreren
Jahren ein Mann in Berlin lebte, Namens Schwartze, welcher
in zwei dicken Quartbänden und in einer Koptischen Gramma-
tik bewies, daß die ägyptische Sprache weder die Ursprache
des Semitischen und Sanskritischen sei, wie Bunsen ehemals
meinte, noch ein bloßer Zweig des Semitischen, wie er jetzt
meint; sondern ein Stamm neben den beiden andern Stämmen.
Der Mann verstand das Koptische vortrefflich und hatte eine
feine sprachwissenschaftliche Bildung.

Beckers Ansichten fanden bei den historischen Sprachfor-
schern von vorn herein Widerspruch, und ein Etymologe, wie
Pott, konnte sich keinen Augenblick mit Beckers Werk über
„das Wort“ vertragen. Aber ich wüßte doch nicht zu sagen,
wie weit wohl die historischen Sprachforscher über diesen blo-
ßen Widerspruch gegen Becker hinausgekommen sind. Ja, in
seiner Sphäre, d. h. in der allgemeinen Grammatik, hat man

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="XII"/>
murder, but can explain these as the necessary result of social<lb/>
agglutination, we see nothing in the organisation of the Turanian<lb/>
languages that betrays the influence of some individual poetical<lb/>
genius, as the framer of peculiar laws, or the author of certain<lb/>
grammatical principles. In the Semitic and Arian languages, on<lb/>
the contrary, we find <hi rendition="#g">institutions, laws,</hi> and <hi rendition="#g">agreements,</hi><lb/>
which, like <hi rendition="#g">the laws of inheritance</hi> and <hi rendition="#g">succession</hi> at<lb/>
Rome or in India, show the stamp of an <hi rendition="#g">individual will</hi><lb/>
impressed on the previous traditions of scattered tribes. It is<lb/>
possible that the Semitic and Arian languages also passed through<lb/>
a stage of mechanical crystallisation, or uncontrolled conglome-<lb/>
ration of grammatical elements; but they left it, and entered<lb/>
into a new phase of growth and decay, and that through the<lb/>
agency of <hi rendition="#g">one creative genius</hi> grasping the floating ele-<lb/>
ments of speech, and preventing by his fiat their further atomi-<lb/>
cal concretion.</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#g">Beckerianer, ihr seid gerechtfertigt!</hi> </p><lb/>
        <p>Bunsen hat seine frühere Ansicht von der Dreitheilung der<lb/>
Sprachen und Völker nach Sem, Ham und Japhet der Müller-<lb/>
schen nach Tur, Silim und Irij, also den semitischen Mythos dem<lb/>
arischen geopfert. Mythos gegen Mythos: ob das wohl der Mühe<lb/>
des Tausches lohnt? &#x2014; Ich erinnere mich, daß vor mehreren<lb/>
Jahren ein Mann in Berlin lebte, Namens <hi rendition="#g">Schwartze</hi>, welcher<lb/>
in zwei dicken Quartbänden und in einer Koptischen Gramma-<lb/>
tik bewies, daß die ägyptische Sprache weder die Ursprache<lb/>
des Semitischen und Sanskritischen sei, wie Bunsen ehemals<lb/>
meinte, noch ein bloßer Zweig des Semitischen, wie er jetzt<lb/>
meint; sondern ein Stamm <hi rendition="#g">neben</hi> den beiden andern Stämmen.<lb/>
Der Mann verstand das Koptische vortrefflich und hatte eine<lb/>
feine sprachwissenschaftliche Bildung.</p><lb/>
        <p>Beckers Ansichten fanden bei den historischen Sprachfor-<lb/>
schern von vorn herein Widerspruch, und ein Etymologe, wie<lb/><hi rendition="#g">Pott,</hi> konnte sich keinen Augenblick mit Beckers Werk über<lb/>
&#x201E;das Wort&#x201C; vertragen. Aber ich wüßte doch nicht zu sagen,<lb/>
wie weit wohl die historischen Sprachforscher über diesen blo-<lb/>
ßen Widerspruch gegen Becker hinausgekommen sind. Ja, in<lb/>
seiner Sphäre, d. h. in der <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> Grammatik, hat man<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XII/0018] murder, but can explain these as the necessary result of social agglutination, we see nothing in the organisation of the Turanian languages that betrays the influence of some individual poetical genius, as the framer of peculiar laws, or the author of certain grammatical principles. In the Semitic and Arian languages, on the contrary, we find institutions, laws, and agreements, which, like the laws of inheritance and succession at Rome or in India, show the stamp of an individual will impressed on the previous traditions of scattered tribes. It is possible that the Semitic and Arian languages also passed through a stage of mechanical crystallisation, or uncontrolled conglome- ration of grammatical elements; but they left it, and entered into a new phase of growth and decay, and that through the agency of one creative genius grasping the floating ele- ments of speech, and preventing by his fiat their further atomi- cal concretion. Beckerianer, ihr seid gerechtfertigt! Bunsen hat seine frühere Ansicht von der Dreitheilung der Sprachen und Völker nach Sem, Ham und Japhet der Müller- schen nach Tur, Silim und Irij, also den semitischen Mythos dem arischen geopfert. Mythos gegen Mythos: ob das wohl der Mühe des Tausches lohnt? — Ich erinnere mich, daß vor mehreren Jahren ein Mann in Berlin lebte, Namens Schwartze, welcher in zwei dicken Quartbänden und in einer Koptischen Gramma- tik bewies, daß die ägyptische Sprache weder die Ursprache des Semitischen und Sanskritischen sei, wie Bunsen ehemals meinte, noch ein bloßer Zweig des Semitischen, wie er jetzt meint; sondern ein Stamm neben den beiden andern Stämmen. Der Mann verstand das Koptische vortrefflich und hatte eine feine sprachwissenschaftliche Bildung. Beckers Ansichten fanden bei den historischen Sprachfor- schern von vorn herein Widerspruch, und ein Etymologe, wie Pott, konnte sich keinen Augenblick mit Beckers Werk über „das Wort“ vertragen. Aber ich wüßte doch nicht zu sagen, wie weit wohl die historischen Sprachforscher über diesen blo- ßen Widerspruch gegen Becker hinausgekommen sind. Ja, in seiner Sphäre, d. h. in der allgemeinen Grammatik, hat man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/18
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/18>, abgerufen am 20.04.2024.