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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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fahren. Bald aber verengert sich der weniger und weniger betretene Weg und
jenseit des Rio Manso wird er für lange Strecken zum schmalen Pfad, den Maul-
tier- oder Rinderfährten nicht immer deutlich bezeichnen.

Ansiedler. Bei der ansässigen Bevölkerung, den "moradores" unseres Ge-
biets, wollen wir einen Augenblick verweilen, ehe wir von aller Zivilisation --
es ist nicht gerade viel, was sie selbst davon haben -- bis zum letzten Teil
der Rückreise Abschied nehmen müssen.

Erst am 7. Reisetage, dem 3. August, trafen wir ein Gehöft in Pontinha,
am 4. August kamen wir nach der kleinen Ansiedelung von Tacoarasinha am Rio
Manso und am 12. und 13. August im Quellgebiet des Cuyaba nach dem Sitio
des Boaventura, sieben elenden Hütten, und nahebei den beiden Fazenden von
Cuyabasinho und Cuyaba, die im Besitz derselben Familie sind. Mehr als durch
lange Beschreibung werden die Verhältnisse durch die einfache Thatsache be-
leuchtet, dass alle jene Niederlassungen mit Ausnahme der des Boaventura erst
seit kürzester Zeit an ihrem heutigen Orte stehen: der Eigentümer von Pontinha
war von dem Rio Marzagao, den wir am 9. August passierten, herübergezogen,
weil die zahlreichen blutsaugenden Fledermäuse dort die Viehzucht unmöglich
machten -- die Leute von Tacoarasinha hatten kurz vorher noch weiter ober-
halb am Rio Manso einen Ort Bananal bewohnt -- die Fazendeiros von Cuyaba-
sinho und Cuyaba hatten wir selbst 1884 schon an anderer Stelle besucht und
zwar näher am Paranatinga in der Fazenda Corrego Fundo (vergl. "Durch
Centralbrasilien" p. 116), die teils des Wechselfiebers, der "Sezao", teils eines
Brandes wegen aufgegeben worden war und nun nur noch auf unserer somit
bereits veralteten Karte existiert; der Grund, den man in der Stadt am häufigsten
vorauszusetzen geneigt ist, dass Überfälle von Indianern den Fazendeiro zum
Wegziehen genötigt hätten, trifft heute nur in den seltensten Fällen zu. So darf
es nicht Wunder nehmen, dass wir auch einige "Tapeiras" oder verlassene Gehöfte
antrafen, wo wir in dem alten "Laranjal" erquickende Apfelsinen pflückten oder
an den Pfefferbüschen unsere Gewürzflaschen füllten. So hat es auch nur der
Sitio des Boaventura bereits zu einem kleinen in tiefer Einsamkeit gelegenen
Kirchhof gebracht: auf einem Haufen rostbrauner Cangaschlacken erhebt sich
ein Holzkreuz, ohne Inschrift natürlich, und ringsum liegen zwölf steinbedeckte
Gräber, deren Inhaber, wie während des Lebens, in der Hängematte schlafen.

"Arme Leut", diese portugiesisch sprechenden Moradores von vorwiegend
indianischer, stark mit Negerblut versetzter Rasse. Im Vergleich zu ihnen waren
die Bewohner der kleinen, sicherlich nicht sehr blühenden Ortschaften am Cuyaba,
Guia und Rosario, die wir 1884 besucht hatten, wohlhabende Städter. Nur am
Cuyabasinho schien wenigstens ein grösserer Viehstand vorhanden zu sein; die
Rinder leben in völliger Freiheit und werden gelegentlich gezählt und gezeichnet,
doch macht sich in der ganzen Provinz der verhängnisvolle Uebelstand geltend,
dass die auf den weiten Strecken unentbehrlichen Pferde schnell an einer mit

fahren. Bald aber verengert sich der weniger und weniger betretene Weg und
jenseit des Rio Manso wird er für lange Strecken zum schmalen Pfad, den Maul-
tier- oder Rinderfährten nicht immer deutlich bezeichnen.

Ansiedler. Bei der ansässigen Bevölkerung, den »moradores« unseres Ge-
biets, wollen wir einen Augenblick verweilen, ehe wir von aller Zivilisation —
es ist nicht gerade viel, was sie selbst davon haben — bis zum letzten Teil
der Rückreise Abschied nehmen müssen.

Erst am 7. Reisetage, dem 3. August, trafen wir ein Gehöft in Pontinha,
am 4. August kamen wir nach der kleinen Ansiedelung von Tacoarasinha am Rio
Manso und am 12. und 13. August im Quellgebiet des Cuyabá nach dem Sitio
des Boaventura, sieben elenden Hütten, und nahebei den beiden Fazenden von
Cuyabasinho und Cuyabá, die im Besitz derselben Familie sind. Mehr als durch
lange Beschreibung werden die Verhältnisse durch die einfache Thatsache be-
leuchtet, dass alle jene Niederlassungen mit Ausnahme der des Boaventura erst
seit kürzester Zeit an ihrem heutigen Orte stehen: der Eigentümer von Pontinha
war von dem Rio Marzagão, den wir am 9. August passierten, herübergezogen,
weil die zahlreichen blutsaugenden Fledermäuse dort die Viehzucht unmöglich
machten — die Leute von Tacoarasinha hatten kurz vorher noch weiter ober-
halb am Rio Manso einen Ort Bananal bewohnt — die Fazendeiros von Cuyabá-
sinho und Cuyabá hatten wir selbst 1884 schon an anderer Stelle besucht und
zwar näher am Paranatinga in der Fazenda Corrego Fundo (vergl. »Durch
Centralbrasilien« p. 116), die teils des Wechselfiebers, der »Sezão«, teils eines
Brandes wegen aufgegeben worden war und nun nur noch auf unserer somit
bereits veralteten Karte existiert; der Grund, den man in der Stadt am häufigsten
vorauszusetzen geneigt ist, dass Überfälle von Indianern den Fazendeiro zum
Wegziehen genötigt hätten, trifft heute nur in den seltensten Fällen zu. So darf
es nicht Wunder nehmen, dass wir auch einige »Tapeiras« oder verlassene Gehöfte
antrafen, wo wir in dem alten »Laranjal« erquickende Apfelsinen pflückten oder
an den Pfefferbüschen unsere Gewürzflaschen füllten. So hat es auch nur der
Sitio des Boaventura bereits zu einem kleinen in tiefer Einsamkeit gelegenen
Kirchhof gebracht: auf einem Haufen rostbrauner Cangaschlacken erhebt sich
ein Holzkreuz, ohne Inschrift natürlich, und ringsum liegen zwölf steinbedeckte
Gräber, deren Inhaber, wie während des Lebens, in der Hängematte schlafen.

»Arme Leut«, diese portugiesisch sprechenden Moradores von vorwiegend
indianischer, stark mit Negerblut versetzter Rasse. Im Vergleich zu ihnen waren
die Bewohner der kleinen, sicherlich nicht sehr blühenden Ortschaften am Cuyabá,
Guia und Rosario, die wir 1884 besucht hatten, wohlhabende Städter. Nur am
Cuyabasinho schien wenigstens ein grösserer Viehstand vorhanden zu sein; die
Rinder leben in völliger Freiheit und werden gelegentlich gezählt und gezeichnet,
doch macht sich in der ganzen Provinz der verhängnisvolle Uebelstand geltend,
dass die auf den weiten Strecken unentbehrlichen Pferde schnell an einer mit

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[21/0045] fahren. Bald aber verengert sich der weniger und weniger betretene Weg und jenseit des Rio Manso wird er für lange Strecken zum schmalen Pfad, den Maul- tier- oder Rinderfährten nicht immer deutlich bezeichnen. Ansiedler. Bei der ansässigen Bevölkerung, den »moradores« unseres Ge- biets, wollen wir einen Augenblick verweilen, ehe wir von aller Zivilisation — es ist nicht gerade viel, was sie selbst davon haben — bis zum letzten Teil der Rückreise Abschied nehmen müssen. Erst am 7. Reisetage, dem 3. August, trafen wir ein Gehöft in Pontinha, am 4. August kamen wir nach der kleinen Ansiedelung von Tacoarasinha am Rio Manso und am 12. und 13. August im Quellgebiet des Cuyabá nach dem Sitio des Boaventura, sieben elenden Hütten, und nahebei den beiden Fazenden von Cuyabasinho und Cuyabá, die im Besitz derselben Familie sind. Mehr als durch lange Beschreibung werden die Verhältnisse durch die einfache Thatsache be- leuchtet, dass alle jene Niederlassungen mit Ausnahme der des Boaventura erst seit kürzester Zeit an ihrem heutigen Orte stehen: der Eigentümer von Pontinha war von dem Rio Marzagão, den wir am 9. August passierten, herübergezogen, weil die zahlreichen blutsaugenden Fledermäuse dort die Viehzucht unmöglich machten — die Leute von Tacoarasinha hatten kurz vorher noch weiter ober- halb am Rio Manso einen Ort Bananal bewohnt — die Fazendeiros von Cuyabá- sinho und Cuyabá hatten wir selbst 1884 schon an anderer Stelle besucht und zwar näher am Paranatinga in der Fazenda Corrego Fundo (vergl. »Durch Centralbrasilien« p. 116), die teils des Wechselfiebers, der »Sezão«, teils eines Brandes wegen aufgegeben worden war und nun nur noch auf unserer somit bereits veralteten Karte existiert; der Grund, den man in der Stadt am häufigsten vorauszusetzen geneigt ist, dass Überfälle von Indianern den Fazendeiro zum Wegziehen genötigt hätten, trifft heute nur in den seltensten Fällen zu. So darf es nicht Wunder nehmen, dass wir auch einige »Tapeiras« oder verlassene Gehöfte antrafen, wo wir in dem alten »Laranjal« erquickende Apfelsinen pflückten oder an den Pfefferbüschen unsere Gewürzflaschen füllten. So hat es auch nur der Sitio des Boaventura bereits zu einem kleinen in tiefer Einsamkeit gelegenen Kirchhof gebracht: auf einem Haufen rostbrauner Cangaschlacken erhebt sich ein Holzkreuz, ohne Inschrift natürlich, und ringsum liegen zwölf steinbedeckte Gräber, deren Inhaber, wie während des Lebens, in der Hängematte schlafen. »Arme Leut«, diese portugiesisch sprechenden Moradores von vorwiegend indianischer, stark mit Negerblut versetzter Rasse. Im Vergleich zu ihnen waren die Bewohner der kleinen, sicherlich nicht sehr blühenden Ortschaften am Cuyabá, Guia und Rosario, die wir 1884 besucht hatten, wohlhabende Städter. Nur am Cuyabasinho schien wenigstens ein grösserer Viehstand vorhanden zu sein; die Rinder leben in völliger Freiheit und werden gelegentlich gezählt und gezeichnet, doch macht sich in der ganzen Provinz der verhängnisvolle Uebelstand geltend, dass die auf den weiten Strecken unentbehrlichen Pferde schnell an einer mit

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/45>, abgerufen am 28.03.2024.