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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Vorwort.

Mit dem vorliegenden Bande betritt der Verfasser dasjenige
Gebiet der Verwaltungslehre, von welchem er sich selbst sagen muß,
daß es wohl bei der gegenwärtigen Entwicklung der Wissenschaft und
der Erfahrungen nicht mehr möglich sein dürfte, daß Ein Mensch
im Stande sei, es gründlich zu bewältigen. Schon jetzt sind viele
Theile dieses Gebietes zu selbständigen Fachwissenschaften geworden,
deren Kenntniß und Beherrschung ein volles Menschenleben erfordern.
Und das Bewußtsein, das ihn bei dem Beginne dieser Arbeit erfaßt
hat, wird daher naturgemäß jeden erfassen, der in gleicher Weise
Aehnliches unternimmt -- das Bewußtsein, daß seine Kraft nicht
mehr ausreicht, einer solchen Aufgabe zu genügen.

Damit aber tritt uns die Frage entgegen, ob es denn über-
haupt noch eine wirthschaftliche Verwaltungslehre als Ganzes geben
könne, wenn niemand die Kraft hat, sie im Einzelnen zu bewäl-
tigen? Und wenn es eine solche geben muß und ewig geben wird,
was ist dann ihre Aufgabe im Ganzen, da sie dieselbe im Einzelnen
zu lösen nicht mehr im Stande ist?

Wir glauben, die Antwort liegt nicht ferne.

So tief verschieden und so unendlich reich auch alle einzelnen
Gebiete der wirthschaftlichen Verwaltung sein mögen, dennoch sind
sie innerlich Eins. Sie ruhen auf derselben Grundlage, sie werden
begriffen aus demselben Princip; sie werden beherrscht von denselben
Gesetzen. Und wenn die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, um
jedes derselben zu erschöpfen, so ist sie allerdings groß genug, sie alle
in ihrem höheren Zusammenhange zu begreifen. Und das ist es,
was der Wissenschaft der wirthschaftlichen Verwaltung übrig bleibt.

In Wahrheit aber ist das weder ein dem Umfange nach Ge-
ringes, noch ist es ein Werthloses. Denn so mächtig und hoch-
bedeutend auch die Masse des Einzelnen hier wie immer sein mag,
und so entscheidend auch die Wichtigkeit desjenigen ist, was wir

Vorwort.

Mit dem vorliegenden Bande betritt der Verfaſſer dasjenige
Gebiet der Verwaltungslehre, von welchem er ſich ſelbſt ſagen muß,
daß es wohl bei der gegenwärtigen Entwicklung der Wiſſenſchaft und
der Erfahrungen nicht mehr möglich ſein dürfte, daß Ein Menſch
im Stande ſei, es gründlich zu bewältigen. Schon jetzt ſind viele
Theile dieſes Gebietes zu ſelbſtändigen Fachwiſſenſchaften geworden,
deren Kenntniß und Beherrſchung ein volles Menſchenleben erfordern.
Und das Bewußtſein, das ihn bei dem Beginne dieſer Arbeit erfaßt
hat, wird daher naturgemäß jeden erfaſſen, der in gleicher Weiſe
Aehnliches unternimmt — das Bewußtſein, daß ſeine Kraft nicht
mehr ausreicht, einer ſolchen Aufgabe zu genügen.

Damit aber tritt uns die Frage entgegen, ob es denn über-
haupt noch eine wirthſchaftliche Verwaltungslehre als Ganzes geben
könne, wenn niemand die Kraft hat, ſie im Einzelnen zu bewäl-
tigen? Und wenn es eine ſolche geben muß und ewig geben wird,
was iſt dann ihre Aufgabe im Ganzen, da ſie dieſelbe im Einzelnen
zu löſen nicht mehr im Stande iſt?

Wir glauben, die Antwort liegt nicht ferne.

So tief verſchieden und ſo unendlich reich auch alle einzelnen
Gebiete der wirthſchaftlichen Verwaltung ſein mögen, dennoch ſind
ſie innerlich Eins. Sie ruhen auf derſelben Grundlage, ſie werden
begriffen aus demſelben Princip; ſie werden beherrſcht von denſelben
Geſetzen. Und wenn die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, um
jedes derſelben zu erſchöpfen, ſo iſt ſie allerdings groß genug, ſie alle
in ihrem höheren Zuſammenhange zu begreifen. Und das iſt es,
was der Wiſſenſchaft der wirthſchaftlichen Verwaltung übrig bleibt.

In Wahrheit aber iſt das weder ein dem Umfange nach Ge-
ringes, noch iſt es ein Werthloſes. Denn ſo mächtig und hoch-
bedeutend auch die Maſſe des Einzelnen hier wie immer ſein mag,
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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/11>, abgerufen am 28.03.2024.