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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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und Verständniß dieses öffentlichen Bildungsrechts gelangen kann. In
der That nämlich gibt es darnach überhaupt keine Bildung
eines Einzelnen
. Jeder Einzelne ist vielmehr im Leben des Geistes
zugleich ein Resultat und ein mitwirkender Faktor der Bildung; jede
Bildung des Einzelnen, jeder geistige Besitz steht in der Mitte der
großen Kette, welche die geistige Welt aller unter einander verbindet.
In jeder individuellen Bildung spiegelt sich die geistige Arbeit der
ganzen geistigen Welt wieder, wie das Licht der Sonne in dem Thau-
tropfen; jede individuelle Bildung gibt wieder das Ihrige für die Ge-
sammtbildung her, wie der Thautropfen die Wolke und den Strom
bildet. Nichts ist großartiger, nichts ist lebendiger, ja nichts ist ergrei-
fender als diese tiefe, niemals ruhende, ewig sich selbst erzeugende
Gegenseitigkeit des geistigen Lebens aller Einzelnen und des Ganzen;
nichts bringt so ernste Bescheidenheit in den Verstand und so lebens-
frischen Muth in das Bewußtsein auch der höchsten Arbeit des Geistes,
als dieß Bild, das sich uns entrollt, wenn wir das was wir die Bil-
dung nennen, als einen der wichtigsten, ja den allergewaltigsten Proceß
der Weltgeschichte anschauen. Und wenn es die Aufgabe der Pädagogik
ist, nun ihrerseits zu verstehen, wie dieser große Proceß im einzelnen
Menschen lebt und wirkt, so ist es andrerseits die Aufgabe der
Verwaltungslehre
, den zweiten Faktor derselben, die menschliche
Gemeinschaft in ihrer großen, den Volksgeist umfassenden Thätigkeit
des Gebens und Empfangens der geistigen Güter zur Anschauung zu
bringen. Das ist es, wornach wir zu streben haben, und das ist
es, weßhalb die Pädagogik niemals ausreichen kann, wo es sich um
jene geistige Welt der Menschheit handelt. Erst wo sich Pädagogik --
im höchsten Sinne des Wortes -- und Verwaltungslehre die Hände
reichen, kann die Menschheit ihr eigenes geistiges Leben und Werden
erkennen, und durch das was sie darin lernt, für Lernen und Lehre
selbst weiter gelangen.

Dieß zu versuchen ist die schwierige Aufgabe unsrer folgenden Arbeit.
Um sie zu erfüllen, müssen wir aber zuerst, wie gesagt, die Bildung
selbst in ihre drei Grundformen auflösen. Erst an sie kann sich in ver-
ständlicher und zugleich praktischer Weise das anschließen, was wir die
Verwaltung des geistigen Lebens des Volkes zu nennen haben.

II. Die drei Grundformen der Bildung: Wesen der Elementar-, der Berufs-
und der allgemeinen Bildung, und ihr organisches Verhältniß zu einander.

Offenbar nämlich umfaßt das, was wir Bildung im weitesten Sinne
nennen, den ganzen einzelnen Menschen und das ganze Volk. Der

und Verſtändniß dieſes öffentlichen Bildungsrechts gelangen kann. In
der That nämlich gibt es darnach überhaupt keine Bildung
eines Einzelnen
. Jeder Einzelne iſt vielmehr im Leben des Geiſtes
zugleich ein Reſultat und ein mitwirkender Faktor der Bildung; jede
Bildung des Einzelnen, jeder geiſtige Beſitz ſteht in der Mitte der
großen Kette, welche die geiſtige Welt aller unter einander verbindet.
In jeder individuellen Bildung ſpiegelt ſich die geiſtige Arbeit der
ganzen geiſtigen Welt wieder, wie das Licht der Sonne in dem Thau-
tropfen; jede individuelle Bildung gibt wieder das Ihrige für die Ge-
ſammtbildung her, wie der Thautropfen die Wolke und den Strom
bildet. Nichts iſt großartiger, nichts iſt lebendiger, ja nichts iſt ergrei-
fender als dieſe tiefe, niemals ruhende, ewig ſich ſelbſt erzeugende
Gegenſeitigkeit des geiſtigen Lebens aller Einzelnen und des Ganzen;
nichts bringt ſo ernſte Beſcheidenheit in den Verſtand und ſo lebens-
friſchen Muth in das Bewußtſein auch der höchſten Arbeit des Geiſtes,
als dieß Bild, das ſich uns entrollt, wenn wir das was wir die Bil-
dung nennen, als einen der wichtigſten, ja den allergewaltigſten Proceß
der Weltgeſchichte anſchauen. Und wenn es die Aufgabe der Pädagogik
iſt, nun ihrerſeits zu verſtehen, wie dieſer große Proceß im einzelnen
Menſchen lebt und wirkt, ſo iſt es andrerſeits die Aufgabe der
Verwaltungslehre
, den zweiten Faktor derſelben, die menſchliche
Gemeinſchaft in ihrer großen, den Volksgeiſt umfaſſenden Thätigkeit
des Gebens und Empfangens der geiſtigen Güter zur Anſchauung zu
bringen. Das iſt es, wornach wir zu ſtreben haben, und das iſt
es, weßhalb die Pädagogik niemals ausreichen kann, wo es ſich um
jene geiſtige Welt der Menſchheit handelt. Erſt wo ſich Pädagogik —
im höchſten Sinne des Wortes — und Verwaltungslehre die Hände
reichen, kann die Menſchheit ihr eigenes geiſtiges Leben und Werden
erkennen, und durch das was ſie darin lernt, für Lernen und Lehre
ſelbſt weiter gelangen.

Dieß zu verſuchen iſt die ſchwierige Aufgabe unſrer folgenden Arbeit.
Um ſie zu erfüllen, müſſen wir aber zuerſt, wie geſagt, die Bildung
ſelbſt in ihre drei Grundformen auflöſen. Erſt an ſie kann ſich in ver-
ſtändlicher und zugleich praktiſcher Weiſe das anſchließen, was wir die
Verwaltung des geiſtigen Lebens des Volkes zu nennen haben.

II. Die drei Grundformen der Bildung: Weſen der Elementar-, der Berufs-
und der allgemeinen Bildung, und ihr organiſches Verhältniß zu einander.

Offenbar nämlich umfaßt das, was wir Bildung im weiteſten Sinne
nennen, den ganzen einzelnen Menſchen und das ganze Volk. Der

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[3/0031] und Verſtändniß dieſes öffentlichen Bildungsrechts gelangen kann. In der That nämlich gibt es darnach überhaupt keine Bildung eines Einzelnen. Jeder Einzelne iſt vielmehr im Leben des Geiſtes zugleich ein Reſultat und ein mitwirkender Faktor der Bildung; jede Bildung des Einzelnen, jeder geiſtige Beſitz ſteht in der Mitte der großen Kette, welche die geiſtige Welt aller unter einander verbindet. In jeder individuellen Bildung ſpiegelt ſich die geiſtige Arbeit der ganzen geiſtigen Welt wieder, wie das Licht der Sonne in dem Thau- tropfen; jede individuelle Bildung gibt wieder das Ihrige für die Ge- ſammtbildung her, wie der Thautropfen die Wolke und den Strom bildet. Nichts iſt großartiger, nichts iſt lebendiger, ja nichts iſt ergrei- fender als dieſe tiefe, niemals ruhende, ewig ſich ſelbſt erzeugende Gegenſeitigkeit des geiſtigen Lebens aller Einzelnen und des Ganzen; nichts bringt ſo ernſte Beſcheidenheit in den Verſtand und ſo lebens- friſchen Muth in das Bewußtſein auch der höchſten Arbeit des Geiſtes, als dieß Bild, das ſich uns entrollt, wenn wir das was wir die Bil- dung nennen, als einen der wichtigſten, ja den allergewaltigſten Proceß der Weltgeſchichte anſchauen. Und wenn es die Aufgabe der Pädagogik iſt, nun ihrerſeits zu verſtehen, wie dieſer große Proceß im einzelnen Menſchen lebt und wirkt, ſo iſt es andrerſeits die Aufgabe der Verwaltungslehre, den zweiten Faktor derſelben, die menſchliche Gemeinſchaft in ihrer großen, den Volksgeiſt umfaſſenden Thätigkeit des Gebens und Empfangens der geiſtigen Güter zur Anſchauung zu bringen. Das iſt es, wornach wir zu ſtreben haben, und das iſt es, weßhalb die Pädagogik niemals ausreichen kann, wo es ſich um jene geiſtige Welt der Menſchheit handelt. Erſt wo ſich Pädagogik — im höchſten Sinne des Wortes — und Verwaltungslehre die Hände reichen, kann die Menſchheit ihr eigenes geiſtiges Leben und Werden erkennen, und durch das was ſie darin lernt, für Lernen und Lehre ſelbſt weiter gelangen. Dieß zu verſuchen iſt die ſchwierige Aufgabe unſrer folgenden Arbeit. Um ſie zu erfüllen, müſſen wir aber zuerſt, wie geſagt, die Bildung ſelbſt in ihre drei Grundformen auflöſen. Erſt an ſie kann ſich in ver- ſtändlicher und zugleich praktiſcher Weiſe das anſchließen, was wir die Verwaltung des geiſtigen Lebens des Volkes zu nennen haben. II. Die drei Grundformen der Bildung: Weſen der Elementar-, der Berufs- und der allgemeinen Bildung, und ihr organiſches Verhältniß zu einander. Offenbar nämlich umfaßt das, was wir Bildung im weiteſten Sinne nennen, den ganzen einzelnen Menſchen und das ganze Volk. Der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/31>, abgerufen am 28.03.2024.