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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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Der reine Begriff der Polizei ist an sich sehr einfach. Er enthält
die Gesammtheit der Funktionen des Staats, durch welche derselbe jedem
in der Natur jeder Kraft liegenden maßlosen und eben dadurch gemein-
gefährlichen Streben begränzend entgegentritt, wo ein solches die öffent-
lichen Zustände der Gemeinschaft und ihres Rechts, ihres inneren und
äußeren Lebens sich und seinen Sonderzwecken unterzuordnen trachtet
und dadurch die organische Gesammtentwicklung gefährdet. Die Polizei
ist daher die vollziehende Gewalt, in sofern der Gegenstand der-
selben eine öffentliche Gefährdung, und ihre Aufgabe ein Schutz ist.
Der Polizeiorganismus, den man auch wohl kurz als "Polizei" bezeich-
net, ist dabei der Organismus von Behörden, welche diese Funktion
zu ihrer Aufgabe haben. (S. Vollz. Gewalt 196 ff.)

Dieser reine Begriff ist nun durch zwei Momente unklar geworden.

Zuerst hat der geschichtliche Gang der Entwicklung es mit sich
gebracht, daß nicht eben bloß jene die Gesammtheit schützende,
sondern jede Thätigkeit des Staats mit dem Ausdruck "Polizei" be-
zeichnet ward. Wir haben in der Lehre von der vollziehenden Gewalt
dieß Verhältniß bereits erklärt. Sie bedeutet in diesem Sinn in der
That die Verwaltung selbst, aber freilich die Verwaltung, insofern sie
ohne alle selbstthätige Mitwirkung des Volkes einseitig vom staatlichen
Organismus ausgeht. Sie ist damit die unfreie, wenn auch keinesweges
principlose Form der Verwaltung, und enthält daher hier mehr einen
historischen Abschnitt in der Verwaltung sowohl nach Geist als nach
Form derselben, als einen systematischen Begriff. Das Princip, das sie
verwirklicht, ist in der Inneren Verwaltung (Einleitung) als der Eudä-
monismus bezeichnet worden. Wir können nun diesen Standpunkt für
die Auffassung der Polizei wohl als einen überwundenen ansehen.

Zweitens aber bedeutet der Ausdruck "Polizei" die Vollziehung
und die vollziehende Gewalt überhaupt in ihrer Scheidung von der
Verwaltung in dem von uns aufgestellten Sinne, nach welchem die
Verwaltung die Vollziehung einer bestimmten organischen Aufgabe des
Staats ist. Aber auch hier wird unter Polizei wieder nicht die Voll-
ziehung überhaupt, sondern nur dasjenige Gebiet derselben verstanden,
welches sich gegen die einzelne Persönlichkeit richtet, und dieselbe
zur Erfüllung der im Verwaltungsrecht liegenden Vorschriften zwingt.
Die Polizei ist in diesem Sinne die Zwangsgewalt der Verwal-
tung gegen den Einzelnen
. (Vollz. Gewalt 201.)

Allerdings nun könnte man bei diesem Begriffe stehen bleiben,
wenn jene ganz allgemeine Funktion der Polizei, die Vollziehung im
einzelnen Falle zu erzwingen, eben eine allgemeine bliebe. Denn man
kann ganz füglich sagen, daß jede Vollziehung zugleich eine Sicherung

Der reine Begriff der Polizei iſt an ſich ſehr einfach. Er enthält
die Geſammtheit der Funktionen des Staats, durch welche derſelbe jedem
in der Natur jeder Kraft liegenden maßloſen und eben dadurch gemein-
gefährlichen Streben begränzend entgegentritt, wo ein ſolches die öffent-
lichen Zuſtände der Gemeinſchaft und ihres Rechts, ihres inneren und
äußeren Lebens ſich und ſeinen Sonderzwecken unterzuordnen trachtet
und dadurch die organiſche Geſammtentwicklung gefährdet. Die Polizei
iſt daher die vollziehende Gewalt, in ſofern der Gegenſtand der-
ſelben eine öffentliche Gefährdung, und ihre Aufgabe ein Schutz iſt.
Der Polizeiorganismus, den man auch wohl kurz als „Polizei“ bezeich-
net, iſt dabei der Organismus von Behörden, welche dieſe Funktion
zu ihrer Aufgabe haben. (S. Vollz. Gewalt 196 ff.)

Dieſer reine Begriff iſt nun durch zwei Momente unklar geworden.

Zuerſt hat der geſchichtliche Gang der Entwicklung es mit ſich
gebracht, daß nicht eben bloß jene die Geſammtheit ſchützende,
ſondern jede Thätigkeit des Staats mit dem Ausdruck „Polizei“ be-
zeichnet ward. Wir haben in der Lehre von der vollziehenden Gewalt
dieß Verhältniß bereits erklärt. Sie bedeutet in dieſem Sinn in der
That die Verwaltung ſelbſt, aber freilich die Verwaltung, inſofern ſie
ohne alle ſelbſtthätige Mitwirkung des Volkes einſeitig vom ſtaatlichen
Organismus ausgeht. Sie iſt damit die unfreie, wenn auch keinesweges
principloſe Form der Verwaltung, und enthält daher hier mehr einen
hiſtoriſchen Abſchnitt in der Verwaltung ſowohl nach Geiſt als nach
Form derſelben, als einen ſyſtematiſchen Begriff. Das Princip, das ſie
verwirklicht, iſt in der Inneren Verwaltung (Einleitung) als der Eudä-
monismus bezeichnet worden. Wir können nun dieſen Standpunkt für
die Auffaſſung der Polizei wohl als einen überwundenen anſehen.

Zweitens aber bedeutet der Ausdruck „Polizei“ die Vollziehung
und die vollziehende Gewalt überhaupt in ihrer Scheidung von der
Verwaltung in dem von uns aufgeſtellten Sinne, nach welchem die
Verwaltung die Vollziehung einer beſtimmten organiſchen Aufgabe des
Staats iſt. Aber auch hier wird unter Polizei wieder nicht die Voll-
ziehung überhaupt, ſondern nur dasjenige Gebiet derſelben verſtanden,
welches ſich gegen die einzelne Perſönlichkeit richtet, und dieſelbe
zur Erfüllung der im Verwaltungsrecht liegenden Vorſchriften zwingt.
Die Polizei iſt in dieſem Sinne die Zwangsgewalt der Verwal-
tung gegen den Einzelnen
. (Vollz. Gewalt 201.)

Allerdings nun könnte man bei dieſem Begriffe ſtehen bleiben,
wenn jene ganz allgemeine Funktion der Polizei, die Vollziehung im
einzelnen Falle zu erzwingen, eben eine allgemeine bliebe. Denn man
kann ganz füglich ſagen, daß jede Vollziehung zugleich eine Sicherung

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[2/0024] Der reine Begriff der Polizei iſt an ſich ſehr einfach. Er enthält die Geſammtheit der Funktionen des Staats, durch welche derſelbe jedem in der Natur jeder Kraft liegenden maßloſen und eben dadurch gemein- gefährlichen Streben begränzend entgegentritt, wo ein ſolches die öffent- lichen Zuſtände der Gemeinſchaft und ihres Rechts, ihres inneren und äußeren Lebens ſich und ſeinen Sonderzwecken unterzuordnen trachtet und dadurch die organiſche Geſammtentwicklung gefährdet. Die Polizei iſt daher die vollziehende Gewalt, in ſofern der Gegenſtand der- ſelben eine öffentliche Gefährdung, und ihre Aufgabe ein Schutz iſt. Der Polizeiorganismus, den man auch wohl kurz als „Polizei“ bezeich- net, iſt dabei der Organismus von Behörden, welche dieſe Funktion zu ihrer Aufgabe haben. (S. Vollz. Gewalt 196 ff.) Dieſer reine Begriff iſt nun durch zwei Momente unklar geworden. Zuerſt hat der geſchichtliche Gang der Entwicklung es mit ſich gebracht, daß nicht eben bloß jene die Geſammtheit ſchützende, ſondern jede Thätigkeit des Staats mit dem Ausdruck „Polizei“ be- zeichnet ward. Wir haben in der Lehre von der vollziehenden Gewalt dieß Verhältniß bereits erklärt. Sie bedeutet in dieſem Sinn in der That die Verwaltung ſelbſt, aber freilich die Verwaltung, inſofern ſie ohne alle ſelbſtthätige Mitwirkung des Volkes einſeitig vom ſtaatlichen Organismus ausgeht. Sie iſt damit die unfreie, wenn auch keinesweges principloſe Form der Verwaltung, und enthält daher hier mehr einen hiſtoriſchen Abſchnitt in der Verwaltung ſowohl nach Geiſt als nach Form derſelben, als einen ſyſtematiſchen Begriff. Das Princip, das ſie verwirklicht, iſt in der Inneren Verwaltung (Einleitung) als der Eudä- monismus bezeichnet worden. Wir können nun dieſen Standpunkt für die Auffaſſung der Polizei wohl als einen überwundenen anſehen. Zweitens aber bedeutet der Ausdruck „Polizei“ die Vollziehung und die vollziehende Gewalt überhaupt in ihrer Scheidung von der Verwaltung in dem von uns aufgeſtellten Sinne, nach welchem die Verwaltung die Vollziehung einer beſtimmten organiſchen Aufgabe des Staats iſt. Aber auch hier wird unter Polizei wieder nicht die Voll- ziehung überhaupt, ſondern nur dasjenige Gebiet derſelben verſtanden, welches ſich gegen die einzelne Perſönlichkeit richtet, und dieſelbe zur Erfüllung der im Verwaltungsrecht liegenden Vorſchriften zwingt. Die Polizei iſt in dieſem Sinne die Zwangsgewalt der Verwal- tung gegen den Einzelnen. (Vollz. Gewalt 201.) Allerdings nun könnte man bei dieſem Begriffe ſtehen bleiben, wenn jene ganz allgemeine Funktion der Polizei, die Vollziehung im einzelnen Falle zu erzwingen, eben eine allgemeine bliebe. Denn man kann ganz füglich ſagen, daß jede Vollziehung zugleich eine Sicherung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/24>, abgerufen am 29.03.2024.