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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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medicinischen auch die zum Theil viel wichtigeren Fragen der Gesund-
heitspflege
in Gesetzgebung und Anstalten ernstlicher behandelten.
Auch diese Zeit wird kommen, und wieder wird diese Bewegung theils
von den Universitäten, theils von den großen Städten ausgehen.

Was nun die Gemeinden betrifft, so beruht ihr Verhältniß zur
Gesundheitspflege auf zwei Punkten. Zuerst allerdings auf der Ge-
meindeordnung und dem in derselben gegebenen Rechte der Selbstver-
waltung überhaupt, dann aber ebenso wesentlich auf der Dichtigkeit
der Bevölkerung, so daß bei sonst gleichem Rechte die Gesundheitspflege
je nach der Größe der Gemeinde eine wesentlich verschiedene ist. Dieß
Verhältniß wiederholt sich naturgemäß in ganz Europa, und so hat sich
im positiven Recht im Ganzen auf dem Continent der Grundsatz für
die Organisation und Competenz des Gesundheitswesens festgestellt, daß
die Verwaltungsorgane des Gesundheitswesens für das, was wir
als das Sanitätswesen bezeichnen, die theils unmittelbar, theils
mittelbar (durch die niederen Polizeiorgane) vollziehende Behörde,
für das Medicinal- oder Heilwesen dagegen die oberaufsehende
Thätigkeit ausüben, und in der höchsten Verwaltung als maßgebend
berathender Organismus dastehen. Die Zukunft fordert nur noch
die vollständige Ausbildung dieser sachgemäßen Grundlage.

Im Allgemeinen steht nun die geltende Organisation in England
am tiefsten, indem hier das, ohnehin schlecht entwickelte berufsmäßige
Element der gebildeten Aerzte fast ganz ausgeschlossen, und das Ganze
den örtlichen und staatlichen Verwaltungsorganen, im Grunde auch nur
für die höhere und niedere Baupolizei, übergeben ist. -- Frankreich
hat zwar einen auf Grundlage berufsmäßiger Bildung errichteten Cen-
tralorganismus der Gesundheitspflege, aber ihm fehlt dieß Element voll-
ständig in der örtlichen Verwaltung. Nur in den deutschen Staaten,
namentlich in Oesterreich und Preußen, sind die obigen Principien zu
einem vollständigen, allenthalben zur wirklichen Geltung gebrachten
System geworden, das schon mit demjenigen, was es gegenwärtig
leistet, als Muster dasteht, und hoffentlich durch praktische Richtungen
des ärztlichen Vereinswesens bald noch viel weiter fortschreiten wird.


I. Geschichte. Die Hauptsammlung für die frühere Literatur (nach
Pütters Beispiel) Ch. F. Wildberg (Bibliotheca medicinae politicae
in qua ex omnibus temporibus scripta ad hanc scientiam spectantia
digesta sunt
. Berlin 1819). Oeffentliche Vorschriften schon in Athen.
In Rom unter den Kaisern eine (örtliche?) Organisation der Aerzte und
Polizei derselben durch Decuriones l. 6. §. 2. D. d. exc. tut. l. 8. Cod.

mediciniſchen auch die zum Theil viel wichtigeren Fragen der Geſund-
heitspflege
in Geſetzgebung und Anſtalten ernſtlicher behandelten.
Auch dieſe Zeit wird kommen, und wieder wird dieſe Bewegung theils
von den Univerſitäten, theils von den großen Städten ausgehen.

Was nun die Gemeinden betrifft, ſo beruht ihr Verhältniß zur
Geſundheitspflege auf zwei Punkten. Zuerſt allerdings auf der Ge-
meindeordnung und dem in derſelben gegebenen Rechte der Selbſtver-
waltung überhaupt, dann aber ebenſo weſentlich auf der Dichtigkeit
der Bevölkerung, ſo daß bei ſonſt gleichem Rechte die Geſundheitspflege
je nach der Größe der Gemeinde eine weſentlich verſchiedene iſt. Dieß
Verhältniß wiederholt ſich naturgemäß in ganz Europa, und ſo hat ſich
im poſitiven Recht im Ganzen auf dem Continent der Grundſatz für
die Organiſation und Competenz des Geſundheitsweſens feſtgeſtellt, daß
die Verwaltungsorgane des Geſundheitsweſens für das, was wir
als das Sanitätsweſen bezeichnen, die theils unmittelbar, theils
mittelbar (durch die niederen Polizeiorgane) vollziehende Behörde,
für das Medicinal- oder Heilweſen dagegen die oberaufſehende
Thätigkeit ausüben, und in der höchſten Verwaltung als maßgebend
berathender Organismus daſtehen. Die Zukunft fordert nur noch
die vollſtändige Ausbildung dieſer ſachgemäßen Grundlage.

Im Allgemeinen ſteht nun die geltende Organiſation in England
am tiefſten, indem hier das, ohnehin ſchlecht entwickelte berufsmäßige
Element der gebildeten Aerzte faſt ganz ausgeſchloſſen, und das Ganze
den örtlichen und ſtaatlichen Verwaltungsorganen, im Grunde auch nur
für die höhere und niedere Baupolizei, übergeben iſt. — Frankreich
hat zwar einen auf Grundlage berufsmäßiger Bildung errichteten Cen-
tralorganismus der Geſundheitspflege, aber ihm fehlt dieß Element voll-
ſtändig in der örtlichen Verwaltung. Nur in den deutſchen Staaten,
namentlich in Oeſterreich und Preußen, ſind die obigen Principien zu
einem vollſtändigen, allenthalben zur wirklichen Geltung gebrachten
Syſtem geworden, das ſchon mit demjenigen, was es gegenwärtig
leiſtet, als Muſter daſteht, und hoffentlich durch praktiſche Richtungen
des ärztlichen Vereinsweſens bald noch viel weiter fortſchreiten wird.


I. Geſchichte. Die Hauptſammlung für die frühere Literatur (nach
Pütters Beiſpiel) Ch. F. Wildberg (Bibliotheca medicinae politicae
in qua ex omnibus temporibus scripta ad hanc scientiam spectantia
digesta sunt
. Berlin 1819). Oeffentliche Vorſchriften ſchon in Athen.
In Rom unter den Kaiſern eine (örtliche?) Organiſation der Aerzte und
Polizei derſelben durch Decuriones l. 6. §. 2. D. d. exc. tut. l. 8. Cod.

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[28/0044] mediciniſchen auch die zum Theil viel wichtigeren Fragen der Geſund- heitspflege in Geſetzgebung und Anſtalten ernſtlicher behandelten. Auch dieſe Zeit wird kommen, und wieder wird dieſe Bewegung theils von den Univerſitäten, theils von den großen Städten ausgehen. Was nun die Gemeinden betrifft, ſo beruht ihr Verhältniß zur Geſundheitspflege auf zwei Punkten. Zuerſt allerdings auf der Ge- meindeordnung und dem in derſelben gegebenen Rechte der Selbſtver- waltung überhaupt, dann aber ebenſo weſentlich auf der Dichtigkeit der Bevölkerung, ſo daß bei ſonſt gleichem Rechte die Geſundheitspflege je nach der Größe der Gemeinde eine weſentlich verſchiedene iſt. Dieß Verhältniß wiederholt ſich naturgemäß in ganz Europa, und ſo hat ſich im poſitiven Recht im Ganzen auf dem Continent der Grundſatz für die Organiſation und Competenz des Geſundheitsweſens feſtgeſtellt, daß die Verwaltungsorgane des Geſundheitsweſens für das, was wir als das Sanitätsweſen bezeichnen, die theils unmittelbar, theils mittelbar (durch die niederen Polizeiorgane) vollziehende Behörde, für das Medicinal- oder Heilweſen dagegen die oberaufſehende Thätigkeit ausüben, und in der höchſten Verwaltung als maßgebend berathender Organismus daſtehen. Die Zukunft fordert nur noch die vollſtändige Ausbildung dieſer ſachgemäßen Grundlage. Im Allgemeinen ſteht nun die geltende Organiſation in England am tiefſten, indem hier das, ohnehin ſchlecht entwickelte berufsmäßige Element der gebildeten Aerzte faſt ganz ausgeſchloſſen, und das Ganze den örtlichen und ſtaatlichen Verwaltungsorganen, im Grunde auch nur für die höhere und niedere Baupolizei, übergeben iſt. — Frankreich hat zwar einen auf Grundlage berufsmäßiger Bildung errichteten Cen- tralorganismus der Geſundheitspflege, aber ihm fehlt dieß Element voll- ſtändig in der örtlichen Verwaltung. Nur in den deutſchen Staaten, namentlich in Oeſterreich und Preußen, ſind die obigen Principien zu einem vollſtändigen, allenthalben zur wirklichen Geltung gebrachten Syſtem geworden, das ſchon mit demjenigen, was es gegenwärtig leiſtet, als Muſter daſteht, und hoffentlich durch praktiſche Richtungen des ärztlichen Vereinsweſens bald noch viel weiter fortſchreiten wird. I. Geſchichte. Die Hauptſammlung für die frühere Literatur (nach Pütters Beiſpiel) Ch. F. Wildberg (Bibliotheca medicinae politicae in qua ex omnibus temporibus scripta ad hanc scientiam spectantia digesta sunt. Berlin 1819). Oeffentliche Vorſchriften ſchon in Athen. In Rom unter den Kaiſern eine (örtliche?) Organiſation der Aerzte und Polizei derſelben durch Decuriones l. 6. §. 2. D. d. exc. tut. l. 8. Cod.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/44>, abgerufen am 20.04.2024.