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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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ihre zwei Grundformen entwickelte, die allgemeine Verwaltungslehre
des Gesundheitswesens, und die besondere, territoriale Verwaltungs-
gesetzkunde
. Was die erste betrifft, so ist sie bei Justi (II. A. 1)
und Sonnenfels (Polizei I. §. 176--247) schon ziemlich bestimmt
formulirt, wodurch der polizeiliche Standpunkt mit all seiner Einseitig-
keit trotz der freieren Auffassung Franks festgehalten wurde, der freilich
noch die medicinische Polizei als "Vertheidigungskunst wider die nach-
theiligen Folgen größerer Beisammenwohnung" (I. Abschnitt 1--5) be-
zeichnet. So denken sich denn auch die Lehrer der Polizeiwissenschaft
die Sache, wie Jacob, Polizeiwissenschaft §. 108 ff., selbst Mohl I.
Seite 133; die Gesundheitspflege tritt vor dem Heilwesen fast gänzlich
in den Hintergrund. Die Staatsrechtslehrer kümmern sich um das
ganze Gebiet nicht, obwohl sie sonst mit der "Polizei" sich genug be-
schäftigen, weil sie nicht unter den Begriff einer "Hoheit" oder eines
"Regals" zu bringen war. Dagegen entsteht nun eine zum Theil sehr
gründliche und ausführliche Behandlung der Sache in den Verwaltungs-
gesetzkunden, indem theils das bestehende Recht der Medicinalpolizei in
die allgemeinen Systeme aufgenommen wird und von jetzt an einen
dauernden Theil derselben bildet, wie bei Rönne, Stubenrauch, Mohl,
Pözl, Roller, Funke, theils in selbständigen Sammlungen erscheint,
unter denen Horns preußisches Medicinalwesen an systematischer Klar-
heit, und Rönnes preußisches Medicinalwesen an Reichhaltigkeit muster-
gültig sind, während wieder jeder Theil des Gesundheitswesens seine
eigene, und meist sehr reiche Literatur besitzt. Das, was noch zu
wünschen ist, wäre, daß an den Universitäten wenigstens auf die
Hauptsachen mehr Gewicht gelegt, und dem Gesundheitswesen eine
selbständige Stellung neben der gerichtlichen Medicin allgemein ein-
geräumt würde.

Es ergibt sich nun aus diesen Sätzen endlich auch der Stand-
punkt der Vergleichung zwischen Deutschland und den übrigen Ländern.
Der entscheidende Grundsatz ist, daß das Gesundheitswesen von der
durchschnittlichen Höhe der ärztlichen Fachbildung
in Ver-
bindung mit der örtlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in jedem
Lande abhängt. Da diese nun, wie das Bildungswesen es spezieller
zeigen wird, in Frankreich sowohl als in England tief unter der deutschen
steht, so ist es natürlich, daß beide im Gesundheitswesen mit dem
deutschen gar keinen Vergleich aushalten. Aber dabei sind wieder alle
drei Länder, trotz dieses quantitativen und qualitativen Unterschiedes
des öffentlichen Rechts, auch im ganzen Charakter des letzteren wesent-
lich verschieden.

Stein, die Verwaltungslehre. III. 2

ihre zwei Grundformen entwickelte, die allgemeine Verwaltungslehre
des Geſundheitsweſens, und die beſondere, territoriale Verwaltungs-
geſetzkunde
. Was die erſte betrifft, ſo iſt ſie bei Juſti (II. A. 1)
und Sonnenfels (Polizei I. §. 176—247) ſchon ziemlich beſtimmt
formulirt, wodurch der polizeiliche Standpunkt mit all ſeiner Einſeitig-
keit trotz der freieren Auffaſſung Franks feſtgehalten wurde, der freilich
noch die mediciniſche Polizei als „Vertheidigungskunſt wider die nach-
theiligen Folgen größerer Beiſammenwohnung“ (I. Abſchnitt 1—5) be-
zeichnet. So denken ſich denn auch die Lehrer der Polizeiwiſſenſchaft
die Sache, wie Jacob, Polizeiwiſſenſchaft §. 108 ff., ſelbſt Mohl I.
Seite 133; die Geſundheitspflege tritt vor dem Heilweſen faſt gänzlich
in den Hintergrund. Die Staatsrechtslehrer kümmern ſich um das
ganze Gebiet nicht, obwohl ſie ſonſt mit der „Polizei“ ſich genug be-
ſchäftigen, weil ſie nicht unter den Begriff einer „Hoheit“ oder eines
„Regals“ zu bringen war. Dagegen entſteht nun eine zum Theil ſehr
gründliche und ausführliche Behandlung der Sache in den Verwaltungs-
geſetzkunden, indem theils das beſtehende Recht der Medicinalpolizei in
die allgemeinen Syſteme aufgenommen wird und von jetzt an einen
dauernden Theil derſelben bildet, wie bei Rönne, Stubenrauch, Mohl,
Pözl, Roller, Funke, theils in ſelbſtändigen Sammlungen erſcheint,
unter denen Horns preußiſches Medicinalweſen an ſyſtematiſcher Klar-
heit, und Rönnes preußiſches Medicinalweſen an Reichhaltigkeit muſter-
gültig ſind, während wieder jeder Theil des Geſundheitsweſens ſeine
eigene, und meiſt ſehr reiche Literatur beſitzt. Das, was noch zu
wünſchen iſt, wäre, daß an den Univerſitäten wenigſtens auf die
Hauptſachen mehr Gewicht gelegt, und dem Geſundheitsweſen eine
ſelbſtändige Stellung neben der gerichtlichen Medicin allgemein ein-
geräumt würde.

Es ergibt ſich nun aus dieſen Sätzen endlich auch der Stand-
punkt der Vergleichung zwiſchen Deutſchland und den übrigen Ländern.
Der entſcheidende Grundſatz iſt, daß das Geſundheitsweſen von der
durchſchnittlichen Höhe der ärztlichen Fachbildung
in Ver-
bindung mit der örtlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in jedem
Lande abhängt. Da dieſe nun, wie das Bildungsweſen es ſpezieller
zeigen wird, in Frankreich ſowohl als in England tief unter der deutſchen
ſteht, ſo iſt es natürlich, daß beide im Geſundheitsweſen mit dem
deutſchen gar keinen Vergleich aushalten. Aber dabei ſind wieder alle
drei Länder, trotz dieſes quantitativen und qualitativen Unterſchiedes
des öffentlichen Rechts, auch im ganzen Charakter des letzteren weſent-
lich verſchieden.

Stein, die Verwaltungslehre. III. 2
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[17/0033] ihre zwei Grundformen entwickelte, die allgemeine Verwaltungslehre des Geſundheitsweſens, und die beſondere, territoriale Verwaltungs- geſetzkunde. Was die erſte betrifft, ſo iſt ſie bei Juſti (II. A. 1) und Sonnenfels (Polizei I. §. 176—247) ſchon ziemlich beſtimmt formulirt, wodurch der polizeiliche Standpunkt mit all ſeiner Einſeitig- keit trotz der freieren Auffaſſung Franks feſtgehalten wurde, der freilich noch die mediciniſche Polizei als „Vertheidigungskunſt wider die nach- theiligen Folgen größerer Beiſammenwohnung“ (I. Abſchnitt 1—5) be- zeichnet. So denken ſich denn auch die Lehrer der Polizeiwiſſenſchaft die Sache, wie Jacob, Polizeiwiſſenſchaft §. 108 ff., ſelbſt Mohl I. Seite 133; die Geſundheitspflege tritt vor dem Heilweſen faſt gänzlich in den Hintergrund. Die Staatsrechtslehrer kümmern ſich um das ganze Gebiet nicht, obwohl ſie ſonſt mit der „Polizei“ ſich genug be- ſchäftigen, weil ſie nicht unter den Begriff einer „Hoheit“ oder eines „Regals“ zu bringen war. Dagegen entſteht nun eine zum Theil ſehr gründliche und ausführliche Behandlung der Sache in den Verwaltungs- geſetzkunden, indem theils das beſtehende Recht der Medicinalpolizei in die allgemeinen Syſteme aufgenommen wird und von jetzt an einen dauernden Theil derſelben bildet, wie bei Rönne, Stubenrauch, Mohl, Pözl, Roller, Funke, theils in ſelbſtändigen Sammlungen erſcheint, unter denen Horns preußiſches Medicinalweſen an ſyſtematiſcher Klar- heit, und Rönnes preußiſches Medicinalweſen an Reichhaltigkeit muſter- gültig ſind, während wieder jeder Theil des Geſundheitsweſens ſeine eigene, und meiſt ſehr reiche Literatur beſitzt. Das, was noch zu wünſchen iſt, wäre, daß an den Univerſitäten wenigſtens auf die Hauptſachen mehr Gewicht gelegt, und dem Geſundheitsweſen eine ſelbſtändige Stellung neben der gerichtlichen Medicin allgemein ein- geräumt würde. Es ergibt ſich nun aus dieſen Sätzen endlich auch der Stand- punkt der Vergleichung zwiſchen Deutſchland und den übrigen Ländern. Der entſcheidende Grundſatz iſt, daß das Geſundheitsweſen von der durchſchnittlichen Höhe der ärztlichen Fachbildung in Ver- bindung mit der örtlichen Dichtigkeit der Bevölkerung in jedem Lande abhängt. Da dieſe nun, wie das Bildungsweſen es ſpezieller zeigen wird, in Frankreich ſowohl als in England tief unter der deutſchen ſteht, ſo iſt es natürlich, daß beide im Geſundheitsweſen mit dem deutſchen gar keinen Vergleich aushalten. Aber dabei ſind wieder alle drei Länder, trotz dieſes quantitativen und qualitativen Unterſchiedes des öffentlichen Rechts, auch im ganzen Charakter des letzteren weſent- lich verſchieden. Stein, die Verwaltungslehre. III. 2

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/33>, abgerufen am 25.04.2024.