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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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die nach ihm von Andern fortgesetzt sind. Namentlich hat Stoll, staats-
wissenschaftliche Untersuchungen über das Medicinalwesen I--III. 1822
einer reichhaltige Zusammenstellung von wichtigen Quellen gegeben, Frank
aber sowohl als Stoll haben merkwürdiger Weise dem charakteristischen
Proceß der Lostrennung des eigentlichen Gesundheitswesens von der
gerichtlichen Medicin so gut als gar nicht beachtet. In ähnlicher Weise
hat auch die französische Literatur beides vermengt (Chaumeton,
Esquisse historique de la medecine legale en France
). Natürlich
wird auch für uns die betreffende Literatur erst mit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts von Bedeutung, namentlich indem die entstehende
Medicinalgesetzgebung auch die Polizeiwissenschaft auf das durch sie gel-
tende Recht hinweist. Der erste große Schriftsteller in dieser Richtung ist
Fortunatus Fidelis (De relationibus medicorum, Nap. 1603) der als
Aufgabe der "relationes" (Berichte) zugleich die gesundheitspolizeilichen
Mittheilungen anerkennt. Paul Zacchias (Quaestiones medico-legales,
Rom.
1651) ist noch vorwiegend juristisch. J. Bohn (De officio medici
daplici clinici et forensis
1704) steht im Allgemeinen auf dem Standpunkt
der eudämonistischen Auffassung, und ist daher als Uebergang zur fol-
genden Richtung zu betrachten. Die Theorie und Geschichte der selbstän-
digen gerichtlichen Medicin glauben wir hier nicht behandeln zu sollen.
Dieselbe schließt sich bekanntlich vorzugsweise an den Art. Cod. crim.
Carol.
Die Hauptschriften dieser Epoche sind die beiden Werke von Carp-
zow
und Böhmer; Hencke hat dann ein eigenes System daraus ge-
macht, und von ihm aus sind die betreffenden Sätze in die Lehrbücher,
beziehungsweise in die Gesetzgebungen des Strafprocesses übergegangen.
Als Frank auftritt, sind die Gesetzgebungen Deutschlands bereits zu
einem ziemlich bestimmten Abschluß gediehen; dieselben sind in so reich-
lichem Maße vorhanden, daß jede derselben eine eigene Darstellung und
Geschichte fordern könnte. Man scheidet mit Leichtigkeit drei Gruppen.
Die erste enthält die preußische Gesundheitsgesetzgebung, deren Ge-
schichte in kurzem Ueberblick von Horn in seinem trefflichen Werk: "Das
preußische Medicinalwesen 2 Bände, 1853. 1858 nebst Supplement
vom Jahr 1863" Band I. Seite 1 ff. gegeben ist. Horn bemerkt mit
Recht, daß Preußen der erste aller deutschen (warum sagt er nicht euro-
päischen?) Staaten sei, in welchem die Sorge für eine geregelte Gestal-
tung des Medicinalwesens mit der öffentlichen Gesundheitspflege sich
geltend gemacht. Schon 1685 erschien hier eine erste Medicinalordnung
als kurfürstliches Edict, in welchem die Constituirung einer Central-
Medicinalbehörde (Collegium medicum) angeordnet wurde, welcher die
amtliche Oberaufsicht allerdings nur noch über das gesammte Heilwesen
übertragen wurde. Aus dem Entwurf einer Medicinalordnung dieses

die nach ihm von Andern fortgeſetzt ſind. Namentlich hat Stoll, ſtaats-
wiſſenſchaftliche Unterſuchungen über das Medicinalweſen I—III. 1822
einer reichhaltige Zuſammenſtellung von wichtigen Quellen gegeben, Frank
aber ſowohl als Stoll haben merkwürdiger Weiſe dem charakteriſtiſchen
Proceß der Lostrennung des eigentlichen Geſundheitsweſens von der
gerichtlichen Medicin ſo gut als gar nicht beachtet. In ähnlicher Weiſe
hat auch die franzöſiſche Literatur beides vermengt (Chaumeton,
Esquisse historique de la médecine légale en France
). Natürlich
wird auch für uns die betreffende Literatur erſt mit dem Ende des
vorigen Jahrhunderts von Bedeutung, namentlich indem die entſtehende
Medicinalgeſetzgebung auch die Polizeiwiſſenſchaft auf das durch ſie gel-
tende Recht hinweiſt. Der erſte große Schriftſteller in dieſer Richtung iſt
Fortunatus Fidelis (De relationibus medicorum, Nap. 1603) der als
Aufgabe der „relationes“ (Berichte) zugleich die geſundheitspolizeilichen
Mittheilungen anerkennt. Paul Zacchias (Quaestiones medico-legales,
Rom.
1651) iſt noch vorwiegend juriſtiſch. J. Bohn (De officio medici
daplici clinici et forensis
1704) ſteht im Allgemeinen auf dem Standpunkt
der eudämoniſtiſchen Auffaſſung, und iſt daher als Uebergang zur fol-
genden Richtung zu betrachten. Die Theorie und Geſchichte der ſelbſtän-
digen gerichtlichen Medicin glauben wir hier nicht behandeln zu ſollen.
Dieſelbe ſchließt ſich bekanntlich vorzugsweiſe an den Art. Cod. crim.
Carol.
Die Hauptſchriften dieſer Epoche ſind die beiden Werke von Carp-
zow
und Böhmer; Hencke hat dann ein eigenes Syſtem daraus ge-
macht, und von ihm aus ſind die betreffenden Sätze in die Lehrbücher,
beziehungsweiſe in die Geſetzgebungen des Strafproceſſes übergegangen.
Als Frank auftritt, ſind die Geſetzgebungen Deutſchlands bereits zu
einem ziemlich beſtimmten Abſchluß gediehen; dieſelben ſind in ſo reich-
lichem Maße vorhanden, daß jede derſelben eine eigene Darſtellung und
Geſchichte fordern könnte. Man ſcheidet mit Leichtigkeit drei Gruppen.
Die erſte enthält die preußiſche Geſundheitsgeſetzgebung, deren Ge-
ſchichte in kurzem Ueberblick von Horn in ſeinem trefflichen Werk: „Das
preußiſche Medicinalweſen 2 Bände, 1853. 1858 nebſt Supplement
vom Jahr 1863“ Band I. Seite 1 ff. gegeben iſt. Horn bemerkt mit
Recht, daß Preußen der erſte aller deutſchen (warum ſagt er nicht euro-
päiſchen?) Staaten ſei, in welchem die Sorge für eine geregelte Geſtal-
tung des Medicinalweſens mit der öffentlichen Geſundheitspflege ſich
geltend gemacht. Schon 1685 erſchien hier eine erſte Medicinalordnung
als kurfürſtliches Edict, in welchem die Conſtituirung einer Central-
Medicinalbehörde (Collegium medicum) angeordnet wurde, welcher die
amtliche Oberaufſicht allerdings nur noch über das geſammte Heilweſen
übertragen wurde. Aus dem Entwurf einer Medicinalordnung dieſes

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[12/0028] die nach ihm von Andern fortgeſetzt ſind. Namentlich hat Stoll, ſtaats- wiſſenſchaftliche Unterſuchungen über das Medicinalweſen I—III. 1822 einer reichhaltige Zuſammenſtellung von wichtigen Quellen gegeben, Frank aber ſowohl als Stoll haben merkwürdiger Weiſe dem charakteriſtiſchen Proceß der Lostrennung des eigentlichen Geſundheitsweſens von der gerichtlichen Medicin ſo gut als gar nicht beachtet. In ähnlicher Weiſe hat auch die franzöſiſche Literatur beides vermengt (Chaumeton, Esquisse historique de la médecine légale en France). Natürlich wird auch für uns die betreffende Literatur erſt mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts von Bedeutung, namentlich indem die entſtehende Medicinalgeſetzgebung auch die Polizeiwiſſenſchaft auf das durch ſie gel- tende Recht hinweiſt. Der erſte große Schriftſteller in dieſer Richtung iſt Fortunatus Fidelis (De relationibus medicorum, Nap. 1603) der als Aufgabe der „relationes“ (Berichte) zugleich die geſundheitspolizeilichen Mittheilungen anerkennt. Paul Zacchias (Quaestiones medico-legales, Rom. 1651) iſt noch vorwiegend juriſtiſch. J. Bohn (De officio medici daplici clinici et forensis 1704) ſteht im Allgemeinen auf dem Standpunkt der eudämoniſtiſchen Auffaſſung, und iſt daher als Uebergang zur fol- genden Richtung zu betrachten. Die Theorie und Geſchichte der ſelbſtän- digen gerichtlichen Medicin glauben wir hier nicht behandeln zu ſollen. Dieſelbe ſchließt ſich bekanntlich vorzugsweiſe an den Art. Cod. crim. Carol. Die Hauptſchriften dieſer Epoche ſind die beiden Werke von Carp- zow und Böhmer; Hencke hat dann ein eigenes Syſtem daraus ge- macht, und von ihm aus ſind die betreffenden Sätze in die Lehrbücher, beziehungsweiſe in die Geſetzgebungen des Strafproceſſes übergegangen. Als Frank auftritt, ſind die Geſetzgebungen Deutſchlands bereits zu einem ziemlich beſtimmten Abſchluß gediehen; dieſelben ſind in ſo reich- lichem Maße vorhanden, daß jede derſelben eine eigene Darſtellung und Geſchichte fordern könnte. Man ſcheidet mit Leichtigkeit drei Gruppen. Die erſte enthält die preußiſche Geſundheitsgeſetzgebung, deren Ge- ſchichte in kurzem Ueberblick von Horn in ſeinem trefflichen Werk: „Das preußiſche Medicinalweſen 2 Bände, 1853. 1858 nebſt Supplement vom Jahr 1863“ Band I. Seite 1 ff. gegeben iſt. Horn bemerkt mit Recht, daß Preußen der erſte aller deutſchen (warum ſagt er nicht euro- päiſchen?) Staaten ſei, in welchem die Sorge für eine geregelte Geſtal- tung des Medicinalweſens mit der öffentlichen Geſundheitspflege ſich geltend gemacht. Schon 1685 erſchien hier eine erſte Medicinalordnung als kurfürſtliches Edict, in welchem die Conſtituirung einer Central- Medicinalbehörde (Collegium medicum) angeordnet wurde, welcher die amtliche Oberaufſicht allerdings nur noch über das geſammte Heilweſen übertragen wurde. Aus dem Entwurf einer Medicinalordnung dieſes

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/28>, abgerufen am 25.04.2024.