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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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als Verwaltungsbehörden ihre Meinung auch über andere Dinge, als
die processualen Beweise zur Geltung zu bringen. Die erste Literatur,
welche sich mit dem so entstehenden Recht der ärztlichen Wissenschaft be-
schäftigt, erscheint zwar noch als reine gerichtliche Medicin. Allein schon
mit dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts wird das anders, und die
betreffende Literatur scheidet sich in zwei große Gebiete, die eigentliche
medicina forensis, und die entstehende Theorie des öffentlichen Gesund-
heitswesens. Nur sind diese beiden Richtungen noch nicht äußerlich ge-
trennt, und die erstere bleibt immer die Grundlage der letzteren, indem
die Aerzte nur noch bei Gelegenheit ihrer gerichtlichen Funktion oder
der daraus entstehenden Literatur auf gesundheitspolizeiliche Gesichts-
punkte kommen, wie namentlich Fortunatus Fidelis im Beginn, und
Paul Zachias in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Diese Rich-
tung, die großentheils auch auf der vielfachen Berührung der Medicin
und Jurisprudenz an den Universitäten beruhte, empfängt im Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts in J. Bohn, dem großen Vorgänger
von Peter Frank, ihren Hauptvertreter. Von da an ist wenigstens
principiell die Scheidung der gerichtlichen Medicin von dem Gesundheits-
wesen festgestellt, und jetzt bildet die letztere ein mehr und mehr aner-
kanntes selbständiges Gebiet der Verwaltung, dessen formelle Geschichte
mit der des Verwaltungsorganismus aufs engste verbunden ist, aber
zugleich in die gesammte Auffassung vom Staate aufgenommen, von
ihr getragen und entwickelt, und für ihre heutige Gestalt vorbereitet wird.

Der geschichtliche Gang der Dinge, in welchem sich dieß vollzieht,
beruht nun auf der Unterscheidung, welche dem ganzen folgenden Sy-
stem zu Grunde liegt, die Unterscheidung zwischen dem Medicinal- und
Sanitätswesen. Nachdem nämlich einmal die Heilkunde zu einem öffent-
lich anerkannten, corporativen Fach geworden, war es natürlich, daß
das Gesundheitswesen, wenn es überhaupt entstehen sollte, zuerst von
den Fachmännern ausgehen, und erst von diesen in die Verwaltung
übertragen werden mußte. In der That beginnt daher alles öffent-
liche Recht des Gesundheitswesens nicht eben mit dem Sanitätswesen,
sondern mit dem Medicinalwesen, mit dem öffentlichen Recht der Aerzte
und Apotheker, was jener Zeit allerdings schon darum viel verständ-
licher erschien, weil es dem damaligem Gewerbe- und Zunftrecht so viel
verwandter war. Die Arzt- und Apothekerordnungen schließen sich
zuerst an die Universitäten, und zwar als ein Theil ihres körperschaft-
lichen Rechtes an; ihr erstes Auftreten datirt bereits aus dem dreizehnten
Jahrhundert von der Universität von Salerno; mit der Ausbreitung
des Fachstudiums fangen dann die größeren Städte an, Ortsärzte auf-
zunehmen, etwa seit dem fünfzehnten Jahrhundert, und seit dieser Zeit

als Verwaltungsbehörden ihre Meinung auch über andere Dinge, als
die proceſſualen Beweiſe zur Geltung zu bringen. Die erſte Literatur,
welche ſich mit dem ſo entſtehenden Recht der ärztlichen Wiſſenſchaft be-
ſchäftigt, erſcheint zwar noch als reine gerichtliche Medicin. Allein ſchon
mit dem Ende des ſechzehnten Jahrhunderts wird das anders, und die
betreffende Literatur ſcheidet ſich in zwei große Gebiete, die eigentliche
medicina forensis, und die entſtehende Theorie des öffentlichen Geſund-
heitsweſens. Nur ſind dieſe beiden Richtungen noch nicht äußerlich ge-
trennt, und die erſtere bleibt immer die Grundlage der letzteren, indem
die Aerzte nur noch bei Gelegenheit ihrer gerichtlichen Funktion oder
der daraus entſtehenden Literatur auf geſundheitspolizeiliche Geſichts-
punkte kommen, wie namentlich Fortunatus Fidelis im Beginn, und
Paul Zachias in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts. Dieſe Rich-
tung, die großentheils auch auf der vielfachen Berührung der Medicin
und Jurisprudenz an den Univerſitäten beruhte, empfängt im Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts in J. Bohn, dem großen Vorgänger
von Peter Frank, ihren Hauptvertreter. Von da an iſt wenigſtens
principiell die Scheidung der gerichtlichen Medicin von dem Geſundheits-
weſen feſtgeſtellt, und jetzt bildet die letztere ein mehr und mehr aner-
kanntes ſelbſtändiges Gebiet der Verwaltung, deſſen formelle Geſchichte
mit der des Verwaltungsorganismus aufs engſte verbunden iſt, aber
zugleich in die geſammte Auffaſſung vom Staate aufgenommen, von
ihr getragen und entwickelt, und für ihre heutige Geſtalt vorbereitet wird.

Der geſchichtliche Gang der Dinge, in welchem ſich dieß vollzieht,
beruht nun auf der Unterſcheidung, welche dem ganzen folgenden Sy-
ſtem zu Grunde liegt, die Unterſcheidung zwiſchen dem Medicinal- und
Sanitätsweſen. Nachdem nämlich einmal die Heilkunde zu einem öffent-
lich anerkannten, corporativen Fach geworden, war es natürlich, daß
das Geſundheitsweſen, wenn es überhaupt entſtehen ſollte, zuerſt von
den Fachmännern ausgehen, und erſt von dieſen in die Verwaltung
übertragen werden mußte. In der That beginnt daher alles öffent-
liche Recht des Geſundheitsweſens nicht eben mit dem Sanitätsweſen,
ſondern mit dem Medicinalweſen, mit dem öffentlichen Recht der Aerzte
und Apotheker, was jener Zeit allerdings ſchon darum viel verſtänd-
licher erſchien, weil es dem damaligem Gewerbe- und Zunftrecht ſo viel
verwandter war. Die Arzt- und Apothekerordnungen ſchließen ſich
zuerſt an die Univerſitäten, und zwar als ein Theil ihres körperſchaft-
lichen Rechtes an; ihr erſtes Auftreten datirt bereits aus dem dreizehnten
Jahrhundert von der Univerſität von Salerno; mit der Ausbreitung
des Fachſtudiums fangen dann die größeren Städte an, Ortsärzte auf-
zunehmen, etwa ſeit dem fünfzehnten Jahrhundert, und ſeit dieſer Zeit

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[9/0025] als Verwaltungsbehörden ihre Meinung auch über andere Dinge, als die proceſſualen Beweiſe zur Geltung zu bringen. Die erſte Literatur, welche ſich mit dem ſo entſtehenden Recht der ärztlichen Wiſſenſchaft be- ſchäftigt, erſcheint zwar noch als reine gerichtliche Medicin. Allein ſchon mit dem Ende des ſechzehnten Jahrhunderts wird das anders, und die betreffende Literatur ſcheidet ſich in zwei große Gebiete, die eigentliche medicina forensis, und die entſtehende Theorie des öffentlichen Geſund- heitsweſens. Nur ſind dieſe beiden Richtungen noch nicht äußerlich ge- trennt, und die erſtere bleibt immer die Grundlage der letzteren, indem die Aerzte nur noch bei Gelegenheit ihrer gerichtlichen Funktion oder der daraus entſtehenden Literatur auf geſundheitspolizeiliche Geſichts- punkte kommen, wie namentlich Fortunatus Fidelis im Beginn, und Paul Zachias in der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts. Dieſe Rich- tung, die großentheils auch auf der vielfachen Berührung der Medicin und Jurisprudenz an den Univerſitäten beruhte, empfängt im Beginn des achtzehnten Jahrhunderts in J. Bohn, dem großen Vorgänger von Peter Frank, ihren Hauptvertreter. Von da an iſt wenigſtens principiell die Scheidung der gerichtlichen Medicin von dem Geſundheits- weſen feſtgeſtellt, und jetzt bildet die letztere ein mehr und mehr aner- kanntes ſelbſtändiges Gebiet der Verwaltung, deſſen formelle Geſchichte mit der des Verwaltungsorganismus aufs engſte verbunden iſt, aber zugleich in die geſammte Auffaſſung vom Staate aufgenommen, von ihr getragen und entwickelt, und für ihre heutige Geſtalt vorbereitet wird. Der geſchichtliche Gang der Dinge, in welchem ſich dieß vollzieht, beruht nun auf der Unterſcheidung, welche dem ganzen folgenden Sy- ſtem zu Grunde liegt, die Unterſcheidung zwiſchen dem Medicinal- und Sanitätsweſen. Nachdem nämlich einmal die Heilkunde zu einem öffent- lich anerkannten, corporativen Fach geworden, war es natürlich, daß das Geſundheitsweſen, wenn es überhaupt entſtehen ſollte, zuerſt von den Fachmännern ausgehen, und erſt von dieſen in die Verwaltung übertragen werden mußte. In der That beginnt daher alles öffent- liche Recht des Geſundheitsweſens nicht eben mit dem Sanitätsweſen, ſondern mit dem Medicinalweſen, mit dem öffentlichen Recht der Aerzte und Apotheker, was jener Zeit allerdings ſchon darum viel verſtänd- licher erſchien, weil es dem damaligem Gewerbe- und Zunftrecht ſo viel verwandter war. Die Arzt- und Apothekerordnungen ſchließen ſich zuerſt an die Univerſitäten, und zwar als ein Theil ihres körperſchaft- lichen Rechtes an; ihr erſtes Auftreten datirt bereits aus dem dreizehnten Jahrhundert von der Univerſität von Salerno; mit der Ausbreitung des Fachſtudiums fangen dann die größeren Städte an, Ortsärzte auf- zunehmen, etwa ſeit dem fünfzehnten Jahrhundert, und ſeit dieſer Zeit

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/25>, abgerufen am 20.04.2024.