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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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Bewußtsein. Es ist nicht schwer, auf dieser Grundlage die großen Haupt-
züge dieser Geschichte aufzustellen, und darin das Einzelne einzureihen.

Ursprünglich erscheint das ganze Heilwesen bei allen Völkern der
Geschlechterordnung als ein Geheimniß, das bei niederer Organisa-
tion in den Händen Einzelner, bei höherer in den Händen der Priester
ist; eine öffentliche Organisation findet so wenig statt als ein öffent-
liches Recht desselben. Doch erhebt er sich bereits in Griechenland zu
einer eigenen Wissenschaft und in Rom zu den Anfängen einer eigenen
Verwaltung. Dabei besteht dieselbe noch keineswegs in einem eigentlichen
Gesundheitswesen, sondern nur noch in der Aufnahme von Aerzten in
den öffentlichen Dienst, und während uns jede Andeutung über eine ge-
richtliche Medicin der Alten fehlt, sehen wir doch schon eine Art von
Medicinalwesen in seinen ersten Anfängen entstehen.

Der Beginn des eigentlichen Heilwesens ist jedoch die ständische
Gesellschaft, in welcher die Wissenschaft der Heilkunde durch die Uni-
versitäten eine corporative Gestalt empfängt, und eine corporative Ver-
waltung derselben erzeugt. Die wissenschaftliche Heilkunde scheidet sich
damit von der bloß technischen, und die wissenschaftliche Bildung beginnt
zur Bedingung der ärztlichen Praxis zu werden. Damit bildet sich das
von den Römern zuerst aufgestellte Element einer Medicinalverfassung als
erste Gestalt des öffentlichen Rechts der Heilkunde; noch einseitig, aber
schon mit bestimmtem Charakter. Das Princip dieser Zeit ist, daß die
wissenschaftliche Bildung die öffentlich rechtliche Bedingung
für die Ausübung des Berufes der Heilkunde wird. Dieser Grundsatz
ist der Anfangspunkt aller Geschichte des Gesundheitswesens. Allein
weiter ist von dem letzteren auch jetzt noch keine Rede; denn noch gibt
es eben neben der Jurisprudenz welche richtet und der Medicin welche
heilt, keine vermittelnde öffentliche Verwaltung, welche es versteht, das
was die letztere weiß, für das was die erstere zu thun hat, zu verwerthen.

Erst als sich mit dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts die
neu entstandene Staatsgewalt über die ständischen Ordnungen und Rechte
erhebt, und neben dem Gerichte die selbständige Funktion der Verwal-
tung auszubilden beginnt, fängt auch der Gedanke an, zur Geltung
zu kommen, daß diese Verwaltung der medicinischen Wissenschaft für ihre
Aufgaben bedürfe. Allerdings ist nun, wie gesagt, die erste Gestalt,
in der dieß geschieht, die gerichtliche Medicin. Allein trotz der in ihr
liegenden Beschränkung der Benützung medicinischer Wissenschaft auf die
Beweismittel brechen fast noch mehr die Verhältnisse als die Menschen
bereits die Bahn für das eigentliche Gesundheitswesen. Die gerichtliche
Medicin nämlich bringt zuerst die Aerzte mit der Verwaltung überhaupt
in Verbindung, und gibt damit den ersteren Anlaß, bei den Gerichten

Bewußtſein. Es iſt nicht ſchwer, auf dieſer Grundlage die großen Haupt-
züge dieſer Geſchichte aufzuſtellen, und darin das Einzelne einzureihen.

Urſprünglich erſcheint das ganze Heilweſen bei allen Völkern der
Geſchlechterordnung als ein Geheimniß, das bei niederer Organiſa-
tion in den Händen Einzelner, bei höherer in den Händen der Prieſter
iſt; eine öffentliche Organiſation findet ſo wenig ſtatt als ein öffent-
liches Recht deſſelben. Doch erhebt er ſich bereits in Griechenland zu
einer eigenen Wiſſenſchaft und in Rom zu den Anfängen einer eigenen
Verwaltung. Dabei beſteht dieſelbe noch keineswegs in einem eigentlichen
Geſundheitsweſen, ſondern nur noch in der Aufnahme von Aerzten in
den öffentlichen Dienſt, und während uns jede Andeutung über eine ge-
richtliche Medicin der Alten fehlt, ſehen wir doch ſchon eine Art von
Medicinalweſen in ſeinen erſten Anfängen entſtehen.

Der Beginn des eigentlichen Heilweſens iſt jedoch die ſtändiſche
Geſellſchaft, in welcher die Wiſſenſchaft der Heilkunde durch die Uni-
verſitäten eine corporative Geſtalt empfängt, und eine corporative Ver-
waltung derſelben erzeugt. Die wiſſenſchaftliche Heilkunde ſcheidet ſich
damit von der bloß techniſchen, und die wiſſenſchaftliche Bildung beginnt
zur Bedingung der ärztlichen Praxis zu werden. Damit bildet ſich das
von den Römern zuerſt aufgeſtellte Element einer Medicinalverfaſſung als
erſte Geſtalt des öffentlichen Rechts der Heilkunde; noch einſeitig, aber
ſchon mit beſtimmtem Charakter. Das Princip dieſer Zeit iſt, daß die
wiſſenſchaftliche Bildung die öffentlich rechtliche Bedingung
für die Ausübung des Berufes der Heilkunde wird. Dieſer Grundſatz
iſt der Anfangspunkt aller Geſchichte des Geſundheitsweſens. Allein
weiter iſt von dem letzteren auch jetzt noch keine Rede; denn noch gibt
es eben neben der Jurisprudenz welche richtet und der Medicin welche
heilt, keine vermittelnde öffentliche Verwaltung, welche es verſteht, das
was die letztere weiß, für das was die erſtere zu thun hat, zu verwerthen.

Erſt als ſich mit dem Beginne des ſechzehnten Jahrhunderts die
neu entſtandene Staatsgewalt über die ſtändiſchen Ordnungen und Rechte
erhebt, und neben dem Gerichte die ſelbſtändige Funktion der Verwal-
tung auszubilden beginnt, fängt auch der Gedanke an, zur Geltung
zu kommen, daß dieſe Verwaltung der mediciniſchen Wiſſenſchaft für ihre
Aufgaben bedürfe. Allerdings iſt nun, wie geſagt, die erſte Geſtalt,
in der dieß geſchieht, die gerichtliche Medicin. Allein trotz der in ihr
liegenden Beſchränkung der Benützung mediciniſcher Wiſſenſchaft auf die
Beweismittel brechen faſt noch mehr die Verhältniſſe als die Menſchen
bereits die Bahn für das eigentliche Geſundheitsweſen. Die gerichtliche
Medicin nämlich bringt zuerſt die Aerzte mit der Verwaltung überhaupt
in Verbindung, und gibt damit den erſteren Anlaß, bei den Gerichten

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/24>, abgerufen am 28.03.2024.