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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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der folgenden Arbeit keine Mühe gespart, um ein so weit als
möglich vollständiges, dem unerschöpflichen Reichthum von Einzel-
heiten andeutendes Bild zu liefern.

Aber dabei hat sich wieder eine Gewißheit in den Vorder-
grund gedrängt. Wir werden unser Ziel so lange nicht erreichen,
bis wir nicht zur Einigung über den Sinn und die Benutzung,
den organischen Begriff und die formale Definition der fundamen-
talen Ausdrücke und Eintheilungen gelangen. Was ist es, was
die Rechts- und Naturwissenschaft zu so gewaltigen Thatsachen des
geistigen Lebens macht? Ist ihr Gegenstand größer oder klarer,
als der der Staatswissenschaft? Ist ihr Ergebniß wichtiger? Oder
ist es nicht viel mehr das, daß jeder, so wie er mit ihr beginnt,
weiß, was Wort und Begriff, mit denen er beginnt, für die
ganze Welt zu bedeuten haben, und daß er nicht seine beste Zeit
und Kraft opfern muß, um nur erst durch die Verwirrung der
Form zu dem festen Kern der Sache zu kommen? Und wenn dem
so ist, warum sollte denn die Staatswissenschaft das einzige Gebiet
bleiben, auf dem Niemand etwas gethan zu haben glaubt, bis er
mit den elementaren Begriffen einen Strauß bestanden und "das
Andere" von dem Gesagten gesagt und gemeint hat? --

Mag es nun sein, daß es uns damit wie zur Zeit Plato's
und Aristoteles' nicht für das Ganze gelingt, so müssen wir es
nunmehr doch für das Einzelne fordern. Was für den abstrakten
Begriff des Staats und seine höchste sittliche Begründung denkbar
und zulässig ist, das ist es nicht mehr für die einzelnen Gebiete

der folgenden Arbeit keine Mühe geſpart, um ein ſo weit als
möglich vollſtändiges, dem unerſchöpflichen Reichthum von Einzel-
heiten andeutendes Bild zu liefern.

Aber dabei hat ſich wieder eine Gewißheit in den Vorder-
grund gedrängt. Wir werden unſer Ziel ſo lange nicht erreichen,
bis wir nicht zur Einigung über den Sinn und die Benutzung,
den organiſchen Begriff und die formale Definition der fundamen-
talen Ausdrücke und Eintheilungen gelangen. Was iſt es, was
die Rechts- und Naturwiſſenſchaft zu ſo gewaltigen Thatſachen des
geiſtigen Lebens macht? Iſt ihr Gegenſtand größer oder klarer,
als der der Staatswiſſenſchaft? Iſt ihr Ergebniß wichtiger? Oder
iſt es nicht viel mehr das, daß jeder, ſo wie er mit ihr beginnt,
weiß, was Wort und Begriff, mit denen er beginnt, für die
ganze Welt zu bedeuten haben, und daß er nicht ſeine beſte Zeit
und Kraft opfern muß, um nur erſt durch die Verwirrung der
Form zu dem feſten Kern der Sache zu kommen? Und wenn dem
ſo iſt, warum ſollte denn die Staatswiſſenſchaft das einzige Gebiet
bleiben, auf dem Niemand etwas gethan zu haben glaubt, bis er
mit den elementaren Begriffen einen Strauß beſtanden und „das
Andere“ von dem Geſagten geſagt und gemeint hat? —

Mag es nun ſein, daß es uns damit wie zur Zeit Plato’s
und Ariſtoteles’ nicht für das Ganze gelingt, ſo müſſen wir es
nunmehr doch für das Einzelne fordern. Was für den abſtrakten
Begriff des Staats und ſeine höchſte ſittliche Begründung denkbar
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[VI/0012] der folgenden Arbeit keine Mühe geſpart, um ein ſo weit als möglich vollſtändiges, dem unerſchöpflichen Reichthum von Einzel- heiten andeutendes Bild zu liefern. Aber dabei hat ſich wieder eine Gewißheit in den Vorder- grund gedrängt. Wir werden unſer Ziel ſo lange nicht erreichen, bis wir nicht zur Einigung über den Sinn und die Benutzung, den organiſchen Begriff und die formale Definition der fundamen- talen Ausdrücke und Eintheilungen gelangen. Was iſt es, was die Rechts- und Naturwiſſenſchaft zu ſo gewaltigen Thatſachen des geiſtigen Lebens macht? Iſt ihr Gegenſtand größer oder klarer, als der der Staatswiſſenſchaft? Iſt ihr Ergebniß wichtiger? Oder iſt es nicht viel mehr das, daß jeder, ſo wie er mit ihr beginnt, weiß, was Wort und Begriff, mit denen er beginnt, für die ganze Welt zu bedeuten haben, und daß er nicht ſeine beſte Zeit und Kraft opfern muß, um nur erſt durch die Verwirrung der Form zu dem feſten Kern der Sache zu kommen? Und wenn dem ſo iſt, warum ſollte denn die Staatswiſſenſchaft das einzige Gebiet bleiben, auf dem Niemand etwas gethan zu haben glaubt, bis er mit den elementaren Begriffen einen Strauß beſtanden und „das Andere“ von dem Geſagten geſagt und gemeint hat? — Mag es nun ſein, daß es uns damit wie zur Zeit Plato’s und Ariſtoteles’ nicht für das Ganze gelingt, ſo müſſen wir es nunmehr doch für das Einzelne fordern. Was für den abſtrakten Begriff des Staats und ſeine höchſte ſittliche Begründung denkbar und zuläſſig iſt, das iſt es nicht mehr für die einzelnen Gebiete

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/12>, abgerufen am 19.04.2024.