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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Zweifel, daß diese unberechenbare Mannichfaltigkeit der Beziehungen der
Dinge unter einander noch als arm erscheint gegenüber dem unerschöpf-
lichen Reichthum der menschlichen Berührungen und Bestimmungen.
Und alle diese menschlichen gegenseitigen Einwirkungen, wie sie wechseln
und sich ändern durch den Einfluß der Natur und der individuellen
Charaktere, durch die Hoffnungen und Interessen der Menschen, durch
die guten und schlechten Eigenschaften derselben, sind, und das ist der
allgemeinste Ausgangspunkt des Folgenden, Bedingungen und Elemente
des Lebens und des Fortschrittes, des Glückes und des Unglückes, ja
des Bestehens und des Unterganges zunächst des Einzelnen, durch ihn
aber des Ganzen
. Wie der Stein, der ins Wasser fällt, seine
Kreise in unendlich weiten Wellenbewegungen zieht, und mit tausend
andern gleichen und verschiedenen Bewegungen sich kreuzt, ohne daß ein
menschliches Auge die Gränze zu verfolgen vermag, so trifft auch jede
Handlung eines Menschen die menschliche Gemeinschaft, und erzeugt
Folgen, die für den nächst Stehenden oft gewaltig und entscheidend,
aber die niemals ganz ohne Einfluß auf die entferntesten Lebensver-
hältnisse der Menschheit bleiben. Und das ist der tiefste Unterschied
zwischen der menschlichen That und dem natürlichen Ereignisse, daß das
letztere, seinem Wesen nach äußerlich bedingt, auch in seinem Inhalt
und seinen Folgen vorübergehend ist; die menschliche That aber
ist unsterblich wie der Mensch selbst, der sie gethan
; und das,
worin sie fortlebt, die ihr angehörende Ewigkeit, ist das Gesammtleben
der Menschheit, das Heil oder Unheil derselben, der Fortschritt oder
Rückschritt, die Gesammtentwicklung des Menschengeschlechts.

Und die Gesammtheit dieser menschlichen Thaten ist es nun, welche
zum Substrat, zum Objekte der Thätigkeit des Staats in seiner in-
nern Verwaltung werden soll.

Ist das nun schon der Fall für das Enge und Geringe, was
der Einzelne in Wille und That vermag, so ist es klar, daß es in
tausendfach vergrößertem Maßstabe für das gilt, worin der Staat auf
das Leben des Einzelnen einwirkt, und das wir, äußerlich zusammen-
gefaßt, die Thätigkeit seiner innern Verwaltung nennen. Denn in
Wahrheit, ob diese innere Verwaltung es weiß oder nicht weiß, ob sie
es berechnet oder nicht berechnet, immer ist es das ganze menschliche
Geschlecht, in dessen Leben ihre Action ihre Spuren zurückläßt, auch
da, wo sie scheinbar nur mit dem Einzelnen zu thun hat. Ob sie Einem
oder Vielen oder Allen befiehlt und sie bestimmt, immer steht sie mitten
in der ganzen lebendigen Welt der Menschen, immer ist es die Ge-
sammtheit, in die sie hineingreift. Und so viel größer und mächtiger
als der Einzelne dieß wunderbare, sein eignes und so schwer verständliches

Zweifel, daß dieſe unberechenbare Mannichfaltigkeit der Beziehungen der
Dinge unter einander noch als arm erſcheint gegenüber dem unerſchöpf-
lichen Reichthum der menſchlichen Berührungen und Beſtimmungen.
Und alle dieſe menſchlichen gegenſeitigen Einwirkungen, wie ſie wechſeln
und ſich ändern durch den Einfluß der Natur und der individuellen
Charaktere, durch die Hoffnungen und Intereſſen der Menſchen, durch
die guten und ſchlechten Eigenſchaften derſelben, ſind, und das iſt der
allgemeinſte Ausgangspunkt des Folgenden, Bedingungen und Elemente
des Lebens und des Fortſchrittes, des Glückes und des Unglückes, ja
des Beſtehens und des Unterganges zunächſt des Einzelnen, durch ihn
aber des Ganzen
. Wie der Stein, der ins Waſſer fällt, ſeine
Kreiſe in unendlich weiten Wellenbewegungen zieht, und mit tauſend
andern gleichen und verſchiedenen Bewegungen ſich kreuzt, ohne daß ein
menſchliches Auge die Gränze zu verfolgen vermag, ſo trifft auch jede
Handlung eines Menſchen die menſchliche Gemeinſchaft, und erzeugt
Folgen, die für den nächſt Stehenden oft gewaltig und entſcheidend,
aber die niemals ganz ohne Einfluß auf die entfernteſten Lebensver-
hältniſſe der Menſchheit bleiben. Und das iſt der tiefſte Unterſchied
zwiſchen der menſchlichen That und dem natürlichen Ereigniſſe, daß das
letztere, ſeinem Weſen nach äußerlich bedingt, auch in ſeinem Inhalt
und ſeinen Folgen vorübergehend iſt; die menſchliche That aber
iſt unſterblich wie der Menſch ſelbſt, der ſie gethan
; und das,
worin ſie fortlebt, die ihr angehörende Ewigkeit, iſt das Geſammtleben
der Menſchheit, das Heil oder Unheil derſelben, der Fortſchritt oder
Rückſchritt, die Geſammtentwicklung des Menſchengeſchlechts.

Und die Geſammtheit dieſer menſchlichen Thaten iſt es nun, welche
zum Subſtrat, zum Objekte der Thätigkeit des Staats in ſeiner in-
nern Verwaltung werden ſoll.

Iſt das nun ſchon der Fall für das Enge und Geringe, was
der Einzelne in Wille und That vermag, ſo iſt es klar, daß es in
tauſendfach vergrößertem Maßſtabe für das gilt, worin der Staat auf
das Leben des Einzelnen einwirkt, und das wir, äußerlich zuſammen-
gefaßt, die Thätigkeit ſeiner innern Verwaltung nennen. Denn in
Wahrheit, ob dieſe innere Verwaltung es weiß oder nicht weiß, ob ſie
es berechnet oder nicht berechnet, immer iſt es das ganze menſchliche
Geſchlecht, in deſſen Leben ihre Action ihre Spuren zurückläßt, auch
da, wo ſie ſcheinbar nur mit dem Einzelnen zu thun hat. Ob ſie Einem
oder Vielen oder Allen befiehlt und ſie beſtimmt, immer ſteht ſie mitten
in der ganzen lebendigen Welt der Menſchen, immer iſt es die Ge-
ſammtheit, in die ſie hineingreift. Und ſo viel größer und mächtiger
als der Einzelne dieß wunderbare, ſein eignes und ſo ſchwer verſtändliches

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[7/0029] Zweifel, daß dieſe unberechenbare Mannichfaltigkeit der Beziehungen der Dinge unter einander noch als arm erſcheint gegenüber dem unerſchöpf- lichen Reichthum der menſchlichen Berührungen und Beſtimmungen. Und alle dieſe menſchlichen gegenſeitigen Einwirkungen, wie ſie wechſeln und ſich ändern durch den Einfluß der Natur und der individuellen Charaktere, durch die Hoffnungen und Intereſſen der Menſchen, durch die guten und ſchlechten Eigenſchaften derſelben, ſind, und das iſt der allgemeinſte Ausgangspunkt des Folgenden, Bedingungen und Elemente des Lebens und des Fortſchrittes, des Glückes und des Unglückes, ja des Beſtehens und des Unterganges zunächſt des Einzelnen, durch ihn aber des Ganzen. Wie der Stein, der ins Waſſer fällt, ſeine Kreiſe in unendlich weiten Wellenbewegungen zieht, und mit tauſend andern gleichen und verſchiedenen Bewegungen ſich kreuzt, ohne daß ein menſchliches Auge die Gränze zu verfolgen vermag, ſo trifft auch jede Handlung eines Menſchen die menſchliche Gemeinſchaft, und erzeugt Folgen, die für den nächſt Stehenden oft gewaltig und entſcheidend, aber die niemals ganz ohne Einfluß auf die entfernteſten Lebensver- hältniſſe der Menſchheit bleiben. Und das iſt der tiefſte Unterſchied zwiſchen der menſchlichen That und dem natürlichen Ereigniſſe, daß das letztere, ſeinem Weſen nach äußerlich bedingt, auch in ſeinem Inhalt und ſeinen Folgen vorübergehend iſt; die menſchliche That aber iſt unſterblich wie der Menſch ſelbſt, der ſie gethan; und das, worin ſie fortlebt, die ihr angehörende Ewigkeit, iſt das Geſammtleben der Menſchheit, das Heil oder Unheil derſelben, der Fortſchritt oder Rückſchritt, die Geſammtentwicklung des Menſchengeſchlechts. Und die Geſammtheit dieſer menſchlichen Thaten iſt es nun, welche zum Subſtrat, zum Objekte der Thätigkeit des Staats in ſeiner in- nern Verwaltung werden ſoll. Iſt das nun ſchon der Fall für das Enge und Geringe, was der Einzelne in Wille und That vermag, ſo iſt es klar, daß es in tauſendfach vergrößertem Maßſtabe für das gilt, worin der Staat auf das Leben des Einzelnen einwirkt, und das wir, äußerlich zuſammen- gefaßt, die Thätigkeit ſeiner innern Verwaltung nennen. Denn in Wahrheit, ob dieſe innere Verwaltung es weiß oder nicht weiß, ob ſie es berechnet oder nicht berechnet, immer iſt es das ganze menſchliche Geſchlecht, in deſſen Leben ihre Action ihre Spuren zurückläßt, auch da, wo ſie ſcheinbar nur mit dem Einzelnen zu thun hat. Ob ſie Einem oder Vielen oder Allen befiehlt und ſie beſtimmt, immer ſteht ſie mitten in der ganzen lebendigen Welt der Menſchen, immer iſt es die Ge- ſammtheit, in die ſie hineingreift. Und ſo viel größer und mächtiger als der Einzelne dieß wunderbare, ſein eignes und ſo ſchwer verſtändliches

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/29>, abgerufen am 29.03.2024.