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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Vollziehung, ursprünglich nur in der allein herrschenden Person des
Königs bestehend, entwickelt in den höher gebildeten Staaten einen
selbständigen, ihm angehörigen Organismus, dessen einzelne Theile
specifische Funktionen und Rechte auch für die Vollziehung haben.

Das Cabinet und der Hof sind für den persönlichen Dienst des
Staatsoberhaupts bestimmt, jenes für die persönlichen Thätigkeiten,
dieser für die persönlichen Bedürfnisse desselben.

Die Staatswürden sind die organisirte Vertretung der Würde
und Ehre des Staats; das Königthum als Haupt der Staatswürden
ist die Krone.

Das Heer ist die organisirte physische Macht des Staats. Es ist
daher unfähig, einem andern als dem einheitlichen persönlichen Willen
des Staatsoberhaupts zu dienen.

Der Staatsrath ist seinem Wesen nach, in seiner Scheidung
vom Ministerrath, das berathende Organ für die Funktion des Königs
in Gesetzgebung und Vollziehung; in der Wirklichkeit ist er in den ver-
schiedenen Ländern sehr verschieden organisirt und berechtigt, so daß
sehr verschiedene Dinge unter diesem Namen zusammengefaßt werden.

II. Während das Staatsoberhaupt die Vollziehung als individuellen
Willen enthält, enthält die Regierung im eigentlichen Sinne dieselbe
als ein System von Thätigkeiten, in welchem jede große Aufgabe des
Staats sich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Objekte zu einem systema-
tischen Organismus entfaltet.

Der Grundbegriff ist der des Amts; das Amt ist das einzelne,
mit selbständiger Competenz zur Vollziehung einer bestimmten Aufgabe
vom Staatsoberhaupt oder in seinem Namen eingesetzte, und im Namen
des Staats thätige Organ.

Das System der Aemter zerfällt in die beiden Grundformen des
Ministerial- und des Behördensystems.

Das Ministerialsystem ist die persönliche Organisirung der (fünf)
großen Verwaltungsgebiete. Der Minister ist die persönliche Spitze;
die Gesammtheit der Minister bildet das Gesammtministerium,
das im Ministerrath als Ganzes thätig ist. Erst im System der Mi-
nisterien scheidet sich formell die vollziehende Gewalt von der gesetz-
gebenden; und erst dadurch wird das System des verfassungsmäßigen
Verwaltungsrechts zur Wirklichkeit.

Das Behördensystem entsteht theils durch die besondere Natur
der Verwaltungsaufgaben an sich, theils durch die Anforderungen der
örtlichen Verhältnisse. In ersterer Beziehung schließt es sich an die
allgemeine Entwicklung des staatlichen Lebens an, und schreitet mit ihr
vor und zurück; in zweiter Beziehung schließt es sich an die Besonder-

Vollziehung, urſprünglich nur in der allein herrſchenden Perſon des
Königs beſtehend, entwickelt in den höher gebildeten Staaten einen
ſelbſtändigen, ihm angehörigen Organismus, deſſen einzelne Theile
ſpecifiſche Funktionen und Rechte auch für die Vollziehung haben.

Das Cabinet und der Hof ſind für den perſönlichen Dienſt des
Staatsoberhaupts beſtimmt, jenes für die perſönlichen Thätigkeiten,
dieſer für die perſönlichen Bedürfniſſe deſſelben.

Die Staatswürden ſind die organiſirte Vertretung der Würde
und Ehre des Staats; das Königthum als Haupt der Staatswürden
iſt die Krone.

Das Heer iſt die organiſirte phyſiſche Macht des Staats. Es iſt
daher unfähig, einem andern als dem einheitlichen perſönlichen Willen
des Staatsoberhaupts zu dienen.

Der Staatsrath iſt ſeinem Weſen nach, in ſeiner Scheidung
vom Miniſterrath, das berathende Organ für die Funktion des Königs
in Geſetzgebung und Vollziehung; in der Wirklichkeit iſt er in den ver-
ſchiedenen Ländern ſehr verſchieden organiſirt und berechtigt, ſo daß
ſehr verſchiedene Dinge unter dieſem Namen zuſammengefaßt werden.

II. Während das Staatsoberhaupt die Vollziehung als individuellen
Willen enthält, enthält die Regierung im eigentlichen Sinne dieſelbe
als ein Syſtem von Thätigkeiten, in welchem jede große Aufgabe des
Staats ſich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Objekte zu einem ſyſtema-
tiſchen Organismus entfaltet.

Der Grundbegriff iſt der des Amts; das Amt iſt das einzelne,
mit ſelbſtändiger Competenz zur Vollziehung einer beſtimmten Aufgabe
vom Staatsoberhaupt oder in ſeinem Namen eingeſetzte, und im Namen
des Staats thätige Organ.

Das Syſtem der Aemter zerfällt in die beiden Grundformen des
Miniſterial- und des Behördenſyſtems.

Das Miniſterialſyſtem iſt die perſönliche Organiſirung der (fünf)
großen Verwaltungsgebiete. Der Miniſter iſt die perſönliche Spitze;
die Geſammtheit der Miniſter bildet das Geſammtminiſterium,
das im Miniſterrath als Ganzes thätig iſt. Erſt im Syſtem der Mi-
niſterien ſcheidet ſich formell die vollziehende Gewalt von der geſetz-
gebenden; und erſt dadurch wird das Syſtem des verfaſſungsmäßigen
Verwaltungsrechts zur Wirklichkeit.

Das Behördenſyſtem entſteht theils durch die beſondere Natur
der Verwaltungsaufgaben an ſich, theils durch die Anforderungen der
örtlichen Verhältniſſe. In erſterer Beziehung ſchließt es ſich an die
allgemeine Entwicklung des ſtaatlichen Lebens an, und ſchreitet mit ihr
vor und zurück; in zweiter Beziehung ſchließt es ſich an die Beſonder-

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[20/0044] Vollziehung, urſprünglich nur in der allein herrſchenden Perſon des Königs beſtehend, entwickelt in den höher gebildeten Staaten einen ſelbſtändigen, ihm angehörigen Organismus, deſſen einzelne Theile ſpecifiſche Funktionen und Rechte auch für die Vollziehung haben. Das Cabinet und der Hof ſind für den perſönlichen Dienſt des Staatsoberhaupts beſtimmt, jenes für die perſönlichen Thätigkeiten, dieſer für die perſönlichen Bedürfniſſe deſſelben. Die Staatswürden ſind die organiſirte Vertretung der Würde und Ehre des Staats; das Königthum als Haupt der Staatswürden iſt die Krone. Das Heer iſt die organiſirte phyſiſche Macht des Staats. Es iſt daher unfähig, einem andern als dem einheitlichen perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts zu dienen. Der Staatsrath iſt ſeinem Weſen nach, in ſeiner Scheidung vom Miniſterrath, das berathende Organ für die Funktion des Königs in Geſetzgebung und Vollziehung; in der Wirklichkeit iſt er in den ver- ſchiedenen Ländern ſehr verſchieden organiſirt und berechtigt, ſo daß ſehr verſchiedene Dinge unter dieſem Namen zuſammengefaßt werden. II. Während das Staatsoberhaupt die Vollziehung als individuellen Willen enthält, enthält die Regierung im eigentlichen Sinne dieſelbe als ein Syſtem von Thätigkeiten, in welchem jede große Aufgabe des Staats ſich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Objekte zu einem ſyſtema- tiſchen Organismus entfaltet. Der Grundbegriff iſt der des Amts; das Amt iſt das einzelne, mit ſelbſtändiger Competenz zur Vollziehung einer beſtimmten Aufgabe vom Staatsoberhaupt oder in ſeinem Namen eingeſetzte, und im Namen des Staats thätige Organ. Das Syſtem der Aemter zerfällt in die beiden Grundformen des Miniſterial- und des Behördenſyſtems. Das Miniſterialſyſtem iſt die perſönliche Organiſirung der (fünf) großen Verwaltungsgebiete. Der Miniſter iſt die perſönliche Spitze; die Geſammtheit der Miniſter bildet das Geſammtminiſterium, das im Miniſterrath als Ganzes thätig iſt. Erſt im Syſtem der Mi- niſterien ſcheidet ſich formell die vollziehende Gewalt von der geſetz- gebenden; und erſt dadurch wird das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts zur Wirklichkeit. Das Behördenſyſtem entſteht theils durch die beſondere Natur der Verwaltungsaufgaben an ſich, theils durch die Anforderungen der örtlichen Verhältniſſe. In erſterer Beziehung ſchließt es ſich an die allgemeine Entwicklung des ſtaatlichen Lebens an, und ſchreitet mit ihr vor und zurück; in zweiter Beziehung ſchließt es ſich an die Beſonder-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/44>, abgerufen am 20.04.2024.