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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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obersten ein rundes Brod und geräuchertes Fleisch und Käse,
denn in dem Kasten war Alles enthalten, was der Alm-Oehi
besaß und zu seinem Lebensunterhalt gebrauchte. Wie er nun
den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi schnell heran
und stieß sein Zeug hinein, so weit hinter des Großvaters
Kleider als möglich, damit es nicht so leicht wieder zu finden
sei. Nun sah es sich aufmerksam um in dem Raum und
sagte dann: "Wo muß ich schlafen, Großvater?"

"Wo du willst", gab dieser zur Antwort.

Das war dem Heidi eben recht. Nun fuhr es in alle
Winkel hinein und schaute jedes Plätzchen aus, wo am
schönsten zu schlafen wäre. In der Ecke vorüber des Gro߬
vaters Lagerstätte war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi
kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag
ein frischer, duftender Heuhaufen oben und durch eine runde
Lücke sah man weit in's Thal hinab.

"Hier will ich schlafen", rief Heidi hinunter, "hier ist's
schön! Komm' und sieh' einmal, wie schön es hier ist,
Großvater!"

"Ich weiß schon", tönte es von unten herauf.

"Ich mache jetzt das Bett", rief das Kind wieder,
indem es oben geschäftig hin- und herfuhr, "aber du mußt
heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn
auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt
man."

"So, so", sagte unten der Großvater, und nach einer

oberſten ein rundes Brod und geräuchertes Fleiſch und Käſe,
denn in dem Kaſten war Alles enthalten, was der Alm-Oehi
beſaß und zu ſeinem Lebensunterhalt gebrauchte. Wie er nun
den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi ſchnell heran
und ſtieß ſein Zeug hinein, ſo weit hinter des Großvaters
Kleider als möglich, damit es nicht ſo leicht wieder zu finden
ſei. Nun ſah es ſich aufmerkſam um in dem Raum und
ſagte dann: „Wo muß ich ſchlafen, Großvater?“

„Wo du willſt“, gab dieſer zur Antwort.

Das war dem Heidi eben recht. Nun fuhr es in alle
Winkel hinein und ſchaute jedes Plätzchen aus, wo am
ſchönſten zu ſchlafen wäre. In der Ecke vorüber des Gro߬
vaters Lagerſtätte war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi
kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag
ein friſcher, duftender Heuhaufen oben und durch eine runde
Lücke ſah man weit in's Thal hinab.

„Hier will ich ſchlafen“, rief Heidi hinunter, „hier iſt's
ſchön! Komm' und ſieh' einmal, wie ſchön es hier iſt,
Großvater!“

„Ich weiß ſchon“, tönte es von unten herauf.

„Ich mache jetzt das Bett“, rief das Kind wieder,
indem es oben geſchäftig hin- und herfuhr, „aber du mußt
heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn
auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt
man.“

„So, ſo“, ſagte unten der Großvater, und nach einer

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[22/0032] oberſten ein rundes Brod und geräuchertes Fleiſch und Käſe, denn in dem Kaſten war Alles enthalten, was der Alm-Oehi beſaß und zu ſeinem Lebensunterhalt gebrauchte. Wie er nun den Schrank aufgemacht hatte, kam das Heidi ſchnell heran und ſtieß ſein Zeug hinein, ſo weit hinter des Großvaters Kleider als möglich, damit es nicht ſo leicht wieder zu finden ſei. Nun ſah es ſich aufmerkſam um in dem Raum und ſagte dann: „Wo muß ich ſchlafen, Großvater?“ „Wo du willſt“, gab dieſer zur Antwort. Das war dem Heidi eben recht. Nun fuhr es in alle Winkel hinein und ſchaute jedes Plätzchen aus, wo am ſchönſten zu ſchlafen wäre. In der Ecke vorüber des Gro߬ vaters Lagerſtätte war eine kleine Leiter aufgerichtet; Heidi kletterte hinauf und langte auf dem Heuboden an. Da lag ein friſcher, duftender Heuhaufen oben und durch eine runde Lücke ſah man weit in's Thal hinab. „Hier will ich ſchlafen“, rief Heidi hinunter, „hier iſt's ſchön! Komm' und ſieh' einmal, wie ſchön es hier iſt, Großvater!“ „Ich weiß ſchon“, tönte es von unten herauf. „Ich mache jetzt das Bett“, rief das Kind wieder, indem es oben geſchäftig hin- und herfuhr, „aber du mußt heraufkommen und mir ein Leintuch mitbringen, denn auf ein Bett kommt auch ein Leintuch, und darauf liegt man.“ „So, ſo“, ſagte unten der Großvater, und nach einer

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/32>, abgerufen am 20.04.2024.