Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

"Das ist dann Eure Sache", warf die Dete zurück;
"ich meine fast, es habe mir auch kein Mensch gesagt, wie
ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf
den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich schon für
mich und die Mutter genug zu thun hatte. Jetzt muß ich
meinem Verdienst nach und Ihr seid der Nächste am Kind;
wenn Ihr's nicht haben könnt, so macht mit ihm, was Ihr
wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt,
und Ihr werdet wohl nicht nöthig haben, noch etwas auf¬
zuladen."

Die Dete hatte kein recht gutes Gewissen bei der Sache,
darum war sie so hitzig geworden und hatte mehr gesagt,
als sie im Sinn gehabt hatte. Bei ihren letzten Worten
war der Oehi aufgestanden; er schaute sie so an, daß sie
einige Schritte zurückwich; dann streckte er den Arm aus
und sagte befehlend: "Mach', daß du hinunterkommst, wo
du heraufgekommen bist, und zeig' dich nicht so bald wieder!"
Das ließ sich die Dete nicht zwei Mal sagen. "So lebt
wohl, und du auch, Heidi", sagte sie schnell und lief den
Berg hinunter in Einem Trab bis in's Dörfli hinab, denn
die innere Aufregung trieb sie vorwärts, so wie ein wirk¬
samer Dampf. Im Dörfli wurde sie diesmal noch viel
mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind
sei; sie kannten ja Alle die Dete genau und wußten, wem
das Kind gehörte, und Alles, was mit ihm vorgegangen
war. Als es nun aus allen Thüren und Fenstern tönte:

„Das iſt dann Eure Sache“, warf die Dete zurück;
„ich meine faſt, es habe mir auch kein Menſch geſagt, wie
ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf
den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich ſchon für
mich und die Mutter genug zu thun hatte. Jetzt muß ich
meinem Verdienſt nach und Ihr ſeid der Nächſte am Kind;
wenn Ihr's nicht haben könnt, ſo macht mit ihm, was Ihr
wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt,
und Ihr werdet wohl nicht nöthig haben, noch etwas auf¬
zuladen.“

Die Dete hatte kein recht gutes Gewiſſen bei der Sache,
darum war ſie ſo hitzig geworden und hatte mehr geſagt,
als ſie im Sinn gehabt hatte. Bei ihren letzten Worten
war der Oehi aufgeſtanden; er ſchaute ſie ſo an, daß ſie
einige Schritte zurückwich; dann ſtreckte er den Arm aus
und ſagte befehlend: „Mach', daß du hinunterkommſt, wo
du heraufgekommen biſt, und zeig' dich nicht ſo bald wieder!“
Das ließ ſich die Dete nicht zwei Mal ſagen. „So lebt
wohl, und du auch, Heidi“, ſagte ſie ſchnell und lief den
Berg hinunter in Einem Trab bis in's Dörfli hinab, denn
die innere Aufregung trieb ſie vorwärts, ſo wie ein wirk¬
ſamer Dampf. Im Dörfli wurde ſie diesmal noch viel
mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind
ſei; ſie kannten ja Alle die Dete genau und wußten, wem
das Kind gehörte, und Alles, was mit ihm vorgegangen
war. Als es nun aus allen Thüren und Fenſtern tönte:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0028" n="18"/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t dann Eure Sache&#x201C;, warf die Dete zurück;<lb/>
&#x201E;ich meine fa&#x017F;t, es habe mir auch kein Men&#x017F;ch ge&#x017F;agt, wie<lb/>
ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf<lb/>
den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich &#x017F;chon für<lb/>
mich und die Mutter genug zu thun hatte. Jetzt muß ich<lb/>
meinem Verdien&#x017F;t nach und Ihr &#x017F;eid der Näch&#x017F;te am Kind;<lb/>
wenn Ihr's nicht haben könnt, &#x017F;o macht mit ihm, was Ihr<lb/>
wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt,<lb/>
und Ihr werdet wohl nicht nöthig haben, noch etwas auf¬<lb/>
zuladen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Dete hatte kein recht gutes Gewi&#x017F;&#x017F;en bei der Sache,<lb/>
darum war &#x017F;ie &#x017F;o hitzig geworden und hatte mehr ge&#x017F;agt,<lb/>
als &#x017F;ie im Sinn gehabt hatte. Bei ihren letzten Worten<lb/>
war der Oehi aufge&#x017F;tanden; er &#x017F;chaute &#x017F;ie &#x017F;o an, daß &#x017F;ie<lb/>
einige Schritte zurückwich; dann &#x017F;treckte er den Arm aus<lb/>
und &#x017F;agte befehlend: &#x201E;Mach', daß du hinunterkomm&#x017F;t, wo<lb/>
du heraufgekommen bi&#x017F;t, und zeig' dich nicht &#x017F;o bald wieder!&#x201C;<lb/>
Das ließ &#x017F;ich die Dete nicht zwei Mal &#x017F;agen. &#x201E;So lebt<lb/>
wohl, und du auch, Heidi&#x201C;, &#x017F;agte &#x017F;ie &#x017F;chnell und lief den<lb/>
Berg hinunter in Einem Trab bis in's Dörfli hinab, denn<lb/>
die innere Aufregung trieb &#x017F;ie vorwärts, &#x017F;o wie ein wirk¬<lb/>
&#x017F;amer Dampf. Im Dörfli wurde &#x017F;ie diesmal noch viel<lb/>
mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind<lb/>
&#x017F;ei; &#x017F;ie kannten ja Alle die Dete genau und wußten, wem<lb/>
das Kind gehörte, und Alles, was mit ihm vorgegangen<lb/>
war. Als es nun aus allen Thüren und Fen&#x017F;tern tönte:<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0028] „Das iſt dann Eure Sache“, warf die Dete zurück; „ich meine faſt, es habe mir auch kein Menſch geſagt, wie ich es mit dem Kleinen anzufangen habe, als es mir auf den Händen lag, ein einziges Jährchen alt, und ich ſchon für mich und die Mutter genug zu thun hatte. Jetzt muß ich meinem Verdienſt nach und Ihr ſeid der Nächſte am Kind; wenn Ihr's nicht haben könnt, ſo macht mit ihm, was Ihr wollt, dann habt Ihr's zu verantworten, wenn's verdirbt, und Ihr werdet wohl nicht nöthig haben, noch etwas auf¬ zuladen.“ Die Dete hatte kein recht gutes Gewiſſen bei der Sache, darum war ſie ſo hitzig geworden und hatte mehr geſagt, als ſie im Sinn gehabt hatte. Bei ihren letzten Worten war der Oehi aufgeſtanden; er ſchaute ſie ſo an, daß ſie einige Schritte zurückwich; dann ſtreckte er den Arm aus und ſagte befehlend: „Mach', daß du hinunterkommſt, wo du heraufgekommen biſt, und zeig' dich nicht ſo bald wieder!“ Das ließ ſich die Dete nicht zwei Mal ſagen. „So lebt wohl, und du auch, Heidi“, ſagte ſie ſchnell und lief den Berg hinunter in Einem Trab bis in's Dörfli hinab, denn die innere Aufregung trieb ſie vorwärts, ſo wie ein wirk¬ ſamer Dampf. Im Dörfli wurde ſie diesmal noch viel mehr angerufen, denn es wunderte die Leute, wo das Kind ſei; ſie kannten ja Alle die Dete genau und wußten, wem das Kind gehörte, und Alles, was mit ihm vorgegangen war. Als es nun aus allen Thüren und Fenſtern tönte:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/28
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/28>, abgerufen am 23.04.2024.