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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der ,Alm-
Oehi'."

"Aber wie ist es dann mit dem Tobias gegangen?"
fragte gespannt die Barbel.

"Wart' nur, das kommt schon, ich kann nicht Alles auf
einmal sagen", erklärte Dete. "Also der Tobias war in
der Lehre draußen in Mels, und so wie er fertig war, kam
er heim in's Dörfli und nahm meine Schwester zur Frau,
die Adelheid, denn sie hatten sich schon immer gern gehabt,
und auch wie sie nun verheirathet waren, konnten sie's sehr
gut zusammen. Aber es ging nicht lange. Schon zwei
Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein
Balken auf ihn herunter und schlug ihn todt. Und wie
man den Mann so entstellt nach Haus brachte, da fiel die
Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und
konnte sich nicht mehr erholen, sie war sonst nicht sehr
kräftig und hatte manchmal so eigne Zustände gehabt, daß
man nicht recht wußte, schlief sie, oder war sie wach. Nur
ein paar Wochen, nachdem der Tobias todt war, begrub
man auch die Adelheid. Da sprachen alle Leute weit und
breit von dem traurigen Schicksal der Beiden, und leise und
laut sagten sie, das sei die Strafe, die der Oehi verdient
habe für sein gottloses Leben, und ihm selbst wurde es ge¬
sagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm in's Gewissen, er
sollte doch jetzt Buße thun, aber er wurde nur immer grim¬
miger und verstockter und redete mit Niemandem mehr, es

hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der ‚Alm-
Oehi’.“

„Aber wie iſt es dann mit dem Tobias gegangen?“
fragte geſpannt die Barbel.

„Wart' nur, das kommt ſchon, ich kann nicht Alles auf
einmal ſagen“, erklärte Dete. „Alſo der Tobias war in
der Lehre draußen in Mels, und ſo wie er fertig war, kam
er heim in's Dörfli und nahm meine Schweſter zur Frau,
die Adelheid, denn ſie hatten ſich ſchon immer gern gehabt,
und auch wie ſie nun verheirathet waren, konnten ſie's ſehr
gut zuſammen. Aber es ging nicht lange. Schon zwei
Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein
Balken auf ihn herunter und ſchlug ihn todt. Und wie
man den Mann ſo entſtellt nach Haus brachte, da fiel die
Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und
konnte ſich nicht mehr erholen, ſie war ſonſt nicht ſehr
kräftig und hatte manchmal ſo eigne Zuſtände gehabt, daß
man nicht recht wußte, ſchlief ſie, oder war ſie wach. Nur
ein paar Wochen, nachdem der Tobias todt war, begrub
man auch die Adelheid. Da ſprachen alle Leute weit und
breit von dem traurigen Schickſal der Beiden, und leiſe und
laut ſagten ſie, das ſei die Strafe, die der Oehi verdient
habe für ſein gottloſes Leben, und ihm ſelbſt wurde es ge¬
ſagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm in's Gewiſſen, er
ſollte doch jetzt Buße thun, aber er wurde nur immer grim¬
miger und verſtockter und redete mit Niemandem mehr, es

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[9/0019] hinaufgezogen war, hieß er eben nur noch der ‚Alm- Oehi’.“ „Aber wie iſt es dann mit dem Tobias gegangen?“ fragte geſpannt die Barbel. „Wart' nur, das kommt ſchon, ich kann nicht Alles auf einmal ſagen“, erklärte Dete. „Alſo der Tobias war in der Lehre draußen in Mels, und ſo wie er fertig war, kam er heim in's Dörfli und nahm meine Schweſter zur Frau, die Adelheid, denn ſie hatten ſich ſchon immer gern gehabt, und auch wie ſie nun verheirathet waren, konnten ſie's ſehr gut zuſammen. Aber es ging nicht lange. Schon zwei Jahre nachher, wie er an einem Hausbau mithalf, fiel ein Balken auf ihn herunter und ſchlug ihn todt. Und wie man den Mann ſo entſtellt nach Haus brachte, da fiel die Adelheid vor Schrecken und Leid in ein heftiges Fieber und konnte ſich nicht mehr erholen, ſie war ſonſt nicht ſehr kräftig und hatte manchmal ſo eigne Zuſtände gehabt, daß man nicht recht wußte, ſchlief ſie, oder war ſie wach. Nur ein paar Wochen, nachdem der Tobias todt war, begrub man auch die Adelheid. Da ſprachen alle Leute weit und breit von dem traurigen Schickſal der Beiden, und leiſe und laut ſagten ſie, das ſei die Strafe, die der Oehi verdient habe für ſein gottloſes Leben, und ihm ſelbſt wurde es ge¬ ſagt und auch der Herr Pfarrer redete ihm in's Gewiſſen, er ſollte doch jetzt Buße thun, aber er wurde nur immer grim¬ miger und verſtockter und redete mit Niemandem mehr, es

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/19>, abgerufen am 20.04.2024.