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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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"Sehr schön gesagt," erwiederte der Baron, "wollen
Sie nicht diese Liebfrauenmilch versuchen, der Wein
macht seinem Namen Ehre -- sehr schön gesagt, auch
wol wahr -- nur nicht für problematische Naturen."

"Was nennen Sie problematische Naturen?"

"Es ist ein Goethe'scher Ausdruck und kommt in
einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat.
Es giebt problematische Naturen, sagt Goethe -- ich
glaube in Dichtung und Wahrheit -- die keiner Lage
gewachsen sind, in der sie sich befinden, und denen
keine genug thut. Daraus, fügt er hinzu, entsteht der
ungeheure Widerstreit, der das Leben ohne Genuß
verzehrt. -- Es ist ein grausiges Wort, denn es
spricht in olympischer Ruhe das Todesurtheil über
eine, besonders in unseren Tagen, weit verbreitete
Gattung guter Menschen und schlechter Musikanten. --
Da ist Czika!"

"Wo?"

"Hinter Ihnen."

Oswald wandte sich um. In der offenen Thür,
die auf den Balcon führte, stand das schöne Kind,
vom rothen Licht der untergehenden Sonne umflossen.
Ihr üppiges, blauschwarzes Haar fiel von beiden
Seiten über die seine Stirn auf die Schultern, die
aus einer blauen türkischen Blouse hervorragten, welche

„Sehr ſchön geſagt,“ erwiederte der Baron, „wollen
Sie nicht dieſe Liebfrauenmilch verſuchen, der Wein
macht ſeinem Namen Ehre — ſehr ſchön geſagt, auch
wol wahr — nur nicht für problematiſche Naturen.“

„Was nennen Sie problematiſche Naturen?“

„Es iſt ein Goethe'ſcher Ausdruck und kommt in
einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat.
Es giebt problematiſche Naturen, ſagt Goethe — ich
glaube in Dichtung und Wahrheit — die keiner Lage
gewachſen ſind, in der ſie ſich befinden, und denen
keine genug thut. Daraus, fügt er hinzu, entſteht der
ungeheure Widerſtreit, der das Leben ohne Genuß
verzehrt. — Es iſt ein grauſiges Wort, denn es
ſpricht in olympiſcher Ruhe das Todesurtheil über
eine, beſonders in unſeren Tagen, weit verbreitete
Gattung guter Menſchen und ſchlechter Muſikanten. —
Da iſt Czika!“

„Wo?“

„Hinter Ihnen.“

Oswald wandte ſich um. In der offenen Thür,
die auf den Balcon führte, ſtand das ſchöne Kind,
vom rothen Licht der untergehenden Sonne umfloſſen.
Ihr üppiges, blauſchwarzes Haar fiel von beiden
Seiten über die ſeine Stirn auf die Schultern, die
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[30/0040] „Sehr ſchön geſagt,“ erwiederte der Baron, „wollen Sie nicht dieſe Liebfrauenmilch verſuchen, der Wein macht ſeinem Namen Ehre — ſehr ſchön geſagt, auch wol wahr — nur nicht für problematiſche Naturen.“ „Was nennen Sie problematiſche Naturen?“ „Es iſt ein Goethe'ſcher Ausdruck und kommt in einer Stelle vor, die mir viel zu denken gegeben hat. Es giebt problematiſche Naturen, ſagt Goethe — ich glaube in Dichtung und Wahrheit — die keiner Lage gewachſen ſind, in der ſie ſich befinden, und denen keine genug thut. Daraus, fügt er hinzu, entſteht der ungeheure Widerſtreit, der das Leben ohne Genuß verzehrt. — Es iſt ein grauſiges Wort, denn es ſpricht in olympiſcher Ruhe das Todesurtheil über eine, beſonders in unſeren Tagen, weit verbreitete Gattung guter Menſchen und ſchlechter Muſikanten. — Da iſt Czika!“ „Wo?“ „Hinter Ihnen.“ Oswald wandte ſich um. In der offenen Thür, die auf den Balcon führte, ſtand das ſchöne Kind, vom rothen Licht der untergehenden Sonne umfloſſen. Ihr üppiges, blauſchwarzes Haar fiel von beiden Seiten über die ſeine Stirn auf die Schultern, die aus einer blauen türkiſchen Blouſe hervorragten, welche

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/40>, abgerufen am 28.03.2024.