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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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möchte sie an mich ketten mit allen Banden, durch die
ein Vater an seine Tochter, eine Tochter an ihren
Vater gefesselt sein kann -- versteht sich, um sie nach¬
träglich alle diese Bande zerreißen und sich dem ersten
besten Gelbschnabel in die Arme werfen zu sehen,
dessen Rock um einen Grad besser sitzt, als die seiner
Nachbarn. Aber bis dahin möchte ich wenigstens, daß
sie mein wäre! Ich stehe jetzt in den Jahren, wo
man sich, wenn man nicht zufällig ein Swift ist, der
bekanntlich die Kinder hätte fressen mögen, aber nicht
aus Liebe -- nach Kindern sehnt, wie ein müder
Wanderer nach einem Stab, die erschlaffenden Glieder
zu stützen. Wenn wir fühlen, daß wir den höchsten
Punkt auf unserem Lebenswege erreicht haben und es
nun unaufhaltsam bergab geht, und das Land unserer
Jugend hinter dem Kamm des Hügels allgemach ver¬
schwindet, da möchten wir fröhliche Kinderstimmen von
drüben ertönen hören, die uns unsere eigene selige
Jugendzeit wieder in die Erinnerung rufen. Sie
werden mich fragen, weshalb ich denn dieser spie߬
bürgerlichen Tendenz nicht nachgebe und heirathe? oder
Sie werden mich das auch nicht fragen, denn Sie
werden sich selber sagen, daß für Jemand, der sich
die zehn besten Jahre seines Lebens in allerlei liai¬
sons dangereuses und innocentes
-- unausgesetzt

möchte ſie an mich ketten mit allen Banden, durch die
ein Vater an ſeine Tochter, eine Tochter an ihren
Vater gefeſſelt ſein kann — verſteht ſich, um ſie nach¬
träglich alle dieſe Bande zerreißen und ſich dem erſten
beſten Gelbſchnabel in die Arme werfen zu ſehen,
deſſen Rock um einen Grad beſſer ſitzt, als die ſeiner
Nachbarn. Aber bis dahin möchte ich wenigſtens, daß
ſie mein wäre! Ich ſtehe jetzt in den Jahren, wo
man ſich, wenn man nicht zufällig ein Swift iſt, der
bekanntlich die Kinder hätte freſſen mögen, aber nicht
aus Liebe — nach Kindern ſehnt, wie ein müder
Wanderer nach einem Stab, die erſchlaffenden Glieder
zu ſtützen. Wenn wir fühlen, daß wir den höchſten
Punkt auf unſerem Lebenswege erreicht haben und es
nun unaufhaltſam bergab geht, und das Land unſerer
Jugend hinter dem Kamm des Hügels allgemach ver¬
ſchwindet, da möchten wir fröhliche Kinderſtimmen von
drüben ertönen hören, die uns unſere eigene ſelige
Jugendzeit wieder in die Erinnerung rufen. Sie
werden mich fragen, weshalb ich denn dieſer ſpie߬
bürgerlichen Tendenz nicht nachgebe und heirathe? oder
Sie werden mich das auch nicht fragen, denn Sie
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[28/0038] möchte ſie an mich ketten mit allen Banden, durch die ein Vater an ſeine Tochter, eine Tochter an ihren Vater gefeſſelt ſein kann — verſteht ſich, um ſie nach¬ träglich alle dieſe Bande zerreißen und ſich dem erſten beſten Gelbſchnabel in die Arme werfen zu ſehen, deſſen Rock um einen Grad beſſer ſitzt, als die ſeiner Nachbarn. Aber bis dahin möchte ich wenigſtens, daß ſie mein wäre! Ich ſtehe jetzt in den Jahren, wo man ſich, wenn man nicht zufällig ein Swift iſt, der bekanntlich die Kinder hätte freſſen mögen, aber nicht aus Liebe — nach Kindern ſehnt, wie ein müder Wanderer nach einem Stab, die erſchlaffenden Glieder zu ſtützen. Wenn wir fühlen, daß wir den höchſten Punkt auf unſerem Lebenswege erreicht haben und es nun unaufhaltſam bergab geht, und das Land unſerer Jugend hinter dem Kamm des Hügels allgemach ver¬ ſchwindet, da möchten wir fröhliche Kinderſtimmen von drüben ertönen hören, die uns unſere eigene ſelige Jugendzeit wieder in die Erinnerung rufen. Sie werden mich fragen, weshalb ich denn dieſer ſpie߬ bürgerlichen Tendenz nicht nachgebe und heirathe? oder Sie werden mich das auch nicht fragen, denn Sie werden ſich ſelber ſagen, daß für Jemand, der ſich die zehn beſten Jahre ſeines Lebens in allerlei liai¬ sons dangereuses und innocentes — unausgeſetzt

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/38>, abgerufen am 28.03.2024.