Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

wald auf die Brüstung der Gallerie lehnend, "es war
ein gescheidter Einfall meines würdigen Großvaters,
an diesem Punkte, nebenbei einem der höchsten der
ganzen Insel, ein Haus zu bauen. Ich habe den
alten Mann mit seinem langen eisgrauen Barte noch
gekannt, und sehe ihn im Geiste noch hier auf dieser
Gallerie sitzen und, wie der König von Thule, mit
seinen verlöschenden Augen auf das heilige Meer
schauen, das er verehrte, wie ein Enkel seine alte
Großmutter ehrt, und liebte, wie ein Jüngling die
Geliebte seiner Seele liebt. Ich wollte, er hätte mir
außer seiner Figur auch seine unermeßliche Fähigkeit,
für Naturschönheit schwärmen zu können, vererbt.
Leider bin ich in der letzten Beziehung in demselben
Grade zu kurz gekommen, wie in der ersten zu lang."

"Ist das Ihr Ernst?" sagte Oswald.

"Wahrhaftig," sagte Oldenburg, "und ich habe
mich auf meinen Reisen oft genug deshalb geschämt,
und meine ästhetische Verstocktheit, die mich auf den
schönsten Punkten, wo Andre vor Vergnügen Purzel¬
bäume schlugen oder sentimentale Thränen weinten,
geradezu nichts empfinden ließ, verwünscht. Vergebens,
daß ich, wie die englischen Misses an meiner Seite:
beautifully, very fine indeed! seufzte, vergebens,
daß ich Tag und Nacht die herrlichsten Naturschilde¬

2*

wald auf die Brüſtung der Gallerie lehnend, „es war
ein geſcheidter Einfall meines würdigen Großvaters,
an dieſem Punkte, nebenbei einem der höchſten der
ganzen Inſel, ein Haus zu bauen. Ich habe den
alten Mann mit ſeinem langen eisgrauen Barte noch
gekannt, und ſehe ihn im Geiſte noch hier auf dieſer
Gallerie ſitzen und, wie der König von Thule, mit
ſeinen verlöſchenden Augen auf das heilige Meer
ſchauen, das er verehrte, wie ein Enkel ſeine alte
Großmutter ehrt, und liebte, wie ein Jüngling die
Geliebte ſeiner Seele liebt. Ich wollte, er hätte mir
außer ſeiner Figur auch ſeine unermeßliche Fähigkeit,
für Naturſchönheit ſchwärmen zu können, vererbt.
Leider bin ich in der letzten Beziehung in demſelben
Grade zu kurz gekommen, wie in der erſten zu lang.“

„Iſt das Ihr Ernſt?“ ſagte Oswald.

„Wahrhaftig,“ ſagte Oldenburg, „und ich habe
mich auf meinen Reiſen oft genug deshalb geſchämt,
und meine äſthetiſche Verſtocktheit, die mich auf den
ſchönſten Punkten, wo Andre vor Vergnügen Purzel¬
bäume ſchlugen oder ſentimentale Thränen weinten,
geradezu nichts empfinden ließ, verwünſcht. Vergebens,
daß ich, wie die engliſchen Miſſes an meiner Seite:
beautifully, very fine indeed! ſeufzte, vergebens,
daß ich Tag und Nacht die herrlichſten Naturſchilde¬

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
wald auf die Brü&#x017F;tung der Gallerie lehnend, &#x201E;es war<lb/>
ein ge&#x017F;cheidter Einfall meines würdigen Großvaters,<lb/>
an die&#x017F;em Punkte, nebenbei einem der höch&#x017F;ten der<lb/>
ganzen In&#x017F;el, ein Haus zu bauen. Ich habe den<lb/>
alten Mann mit &#x017F;einem langen eisgrauen Barte noch<lb/>
gekannt, und &#x017F;ehe ihn im Gei&#x017F;te noch hier auf die&#x017F;er<lb/>
Gallerie &#x017F;itzen und, wie der König von Thule, mit<lb/>
&#x017F;einen verlö&#x017F;chenden Augen auf das heilige Meer<lb/>
&#x017F;chauen, das er verehrte, wie ein Enkel &#x017F;eine alte<lb/>
Großmutter ehrt, und liebte, wie ein Jüngling die<lb/>
Geliebte &#x017F;einer Seele liebt. Ich wollte, er hätte mir<lb/>
außer &#x017F;einer Figur auch &#x017F;eine unermeßliche Fähigkeit,<lb/>
für Natur&#x017F;chönheit &#x017F;chwärmen zu können, vererbt.<lb/>
Leider bin ich in der letzten Beziehung in dem&#x017F;elben<lb/>
Grade zu kurz gekommen, wie in der er&#x017F;ten zu lang.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t das Ihr Ern&#x017F;t?&#x201C; &#x017F;agte Oswald.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wahrhaftig,&#x201C; &#x017F;agte Oldenburg, &#x201E;und ich habe<lb/>
mich auf meinen Rei&#x017F;en oft genug deshalb ge&#x017F;chämt,<lb/>
und meine ä&#x017F;theti&#x017F;che Ver&#x017F;tocktheit, die mich auf den<lb/>
&#x017F;chön&#x017F;ten Punkten, wo Andre vor Vergnügen Purzel¬<lb/>
bäume &#x017F;chlugen oder &#x017F;entimentale Thränen weinten,<lb/>
geradezu nichts empfinden ließ, verwün&#x017F;cht. Vergebens,<lb/>
daß ich, wie die engli&#x017F;chen Mi&#x017F;&#x017F;es an meiner Seite:<lb/><hi rendition="#aq">beautifully</hi>, <hi rendition="#aq">very fine indeed</hi>! &#x017F;eufzte, vergebens,<lb/>
daß ich Tag und Nacht die herrlich&#x017F;ten Natur&#x017F;childe¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] wald auf die Brüſtung der Gallerie lehnend, „es war ein geſcheidter Einfall meines würdigen Großvaters, an dieſem Punkte, nebenbei einem der höchſten der ganzen Inſel, ein Haus zu bauen. Ich habe den alten Mann mit ſeinem langen eisgrauen Barte noch gekannt, und ſehe ihn im Geiſte noch hier auf dieſer Gallerie ſitzen und, wie der König von Thule, mit ſeinen verlöſchenden Augen auf das heilige Meer ſchauen, das er verehrte, wie ein Enkel ſeine alte Großmutter ehrt, und liebte, wie ein Jüngling die Geliebte ſeiner Seele liebt. Ich wollte, er hätte mir außer ſeiner Figur auch ſeine unermeßliche Fähigkeit, für Naturſchönheit ſchwärmen zu können, vererbt. Leider bin ich in der letzten Beziehung in demſelben Grade zu kurz gekommen, wie in der erſten zu lang.“ „Iſt das Ihr Ernſt?“ ſagte Oswald. „Wahrhaftig,“ ſagte Oldenburg, „und ich habe mich auf meinen Reiſen oft genug deshalb geſchämt, und meine äſthetiſche Verſtocktheit, die mich auf den ſchönſten Punkten, wo Andre vor Vergnügen Purzel¬ bäume ſchlugen oder ſentimentale Thränen weinten, geradezu nichts empfinden ließ, verwünſcht. Vergebens, daß ich, wie die engliſchen Miſſes an meiner Seite: beautifully, very fine indeed! ſeufzte, vergebens, daß ich Tag und Nacht die herrlichſten Naturſchilde¬ 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/29
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/29>, abgerufen am 19.04.2024.