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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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Schwalben und auf den Dächern, in den Dachrinnen,
in den Stuckornamenten setzten die zanksüchtigen Spatzen
die unterbrochenen Streitigkeiten wieder fort. In dem
großen Saal, wo an den Wänden die Porträts der
Grenwitzer Barone und Baronessen hingen in langer
Reihe von dem halb fabelhaften Sven von Grenwitz
bis hinab auf die Bilder der Großtante Grenwitz
"wie sie als achtzehnjähriges Mädchen gewesen war,"
und Oskar's "der mit dem Wodan stürzte," und
Harald's, "dem es besser gewesen wäre, er hätte sich
am Sarge seines Vaters todt geweint" -- tanzten die
Staubatome, welche aus den alten Prunkmeubeln mit
den verblichenen Damastüberzügen aufstiegen in den
schrägen Lichtsäulen, die durch die drei hohen Bogen¬
fenster fielen.

Unten im Wohnzimmer nahmen der Baron und
die Baronin ein frugales Frühstück ein. Sie sahen
reisefertig aus und Anna-Maria hatte sogar schon
einen Hut mit weit vorspringenden Flügeln, wie sie
in den zwanziger Jahren Mode gewesen waren, auf
dem Kopfe. Denn der große Reisewagen hielt schon
vor der Thür. Die vier schwerfälligen Braunen we¬
delten sich bedächtig mit den langen Schweifen die
Fliegen ab, und der schweigsame Kutscher klatschte
regelmäßig alle fünf Minuten mit der Peitsche, aus

Schwalben und auf den Dächern, in den Dachrinnen,
in den Stuckornamenten ſetzten die zankſüchtigen Spatzen
die unterbrochenen Streitigkeiten wieder fort. In dem
großen Saal, wo an den Wänden die Porträts der
Grenwitzer Barone und Baroneſſen hingen in langer
Reihe von dem halb fabelhaften Sven von Grenwitz
bis hinab auf die Bilder der Großtante Grenwitz
„wie ſie als achtzehnjähriges Mädchen geweſen war,“
und Oskar's „der mit dem Wodan ſtürzte,“ und
Harald's, „dem es beſſer geweſen wäre, er hätte ſich
am Sarge ſeines Vaters todt geweint“ — tanzten die
Staubatome, welche aus den alten Prunkmeubeln mit
den verblichenen Damaſtüberzügen aufſtiegen in den
ſchrägen Lichtſäulen, die durch die drei hohen Bogen¬
fenſter fielen.

Unten im Wohnzimmer nahmen der Baron und
die Baronin ein frugales Frühſtück ein. Sie ſahen
reiſefertig aus und Anna-Maria hatte ſogar ſchon
einen Hut mit weit vorſpringenden Flügeln, wie ſie
in den zwanziger Jahren Mode geweſen waren, auf
dem Kopfe. Denn der große Reiſewagen hielt ſchon
vor der Thür. Die vier ſchwerfälligen Braunen we¬
delten ſich bedächtig mit den langen Schweifen die
Fliegen ab, und der ſchweigſame Kutſcher klatſchte
regelmäßig alle fünf Minuten mit der Peitſche, aus

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[2/0012] Schwalben und auf den Dächern, in den Dachrinnen, in den Stuckornamenten ſetzten die zankſüchtigen Spatzen die unterbrochenen Streitigkeiten wieder fort. In dem großen Saal, wo an den Wänden die Porträts der Grenwitzer Barone und Baroneſſen hingen in langer Reihe von dem halb fabelhaften Sven von Grenwitz bis hinab auf die Bilder der Großtante Grenwitz „wie ſie als achtzehnjähriges Mädchen geweſen war,“ und Oskar's „der mit dem Wodan ſtürzte,“ und Harald's, „dem es beſſer geweſen wäre, er hätte ſich am Sarge ſeines Vaters todt geweint“ — tanzten die Staubatome, welche aus den alten Prunkmeubeln mit den verblichenen Damaſtüberzügen aufſtiegen in den ſchrägen Lichtſäulen, die durch die drei hohen Bogen¬ fenſter fielen. Unten im Wohnzimmer nahmen der Baron und die Baronin ein frugales Frühſtück ein. Sie ſahen reiſefertig aus und Anna-Maria hatte ſogar ſchon einen Hut mit weit vorſpringenden Flügeln, wie ſie in den zwanziger Jahren Mode geweſen waren, auf dem Kopfe. Denn der große Reiſewagen hielt ſchon vor der Thür. Die vier ſchwerfälligen Braunen we¬ delten ſich bedächtig mit den langen Schweifen die Fliegen ab, und der ſchweigſame Kutſcher klatſchte regelmäßig alle fünf Minuten mit der Peitſche, aus

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/12>, abgerufen am 29.03.2024.