Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

arme Kind geweint würden -- ich würde sagen: es
sind nur eben genug.

Als Harald mit Herrn von Barnewitz die schlimme
Wette machte, war er vorher zwei oder drei Wochen
mit ihm zusammen verreist gewesen; ich weiß nicht
wohin; ich glaube in eine große Stadt, weit von hier,
und da hatten sie, denke ich, daß arme Kind gesehen.
Bald darauf reiste er wieder fort und diesmal blieb
er beinahe zwei Monate aus. Endlich schrieb er, er
komme zurück, aber nicht allein. Seine Tante Gren¬
witz komme mit; ich solle die Zimmer der verstorbenen
gnädigen Frau auslüften und die Möbel gut aus¬
klopfen lassen und Alles zu ihrem Empfang herrichten.
Nun wußte ich wol, daß der Baron eine Großtante
hatte, die Schwester seines Großvaters; aber sie mußte
nach meiner Rechnung achtzig Jahre und drüber sein;
sie war zu meinen Lebzeiten nie in Grenwitz gewesen,
und hatte sich nie um Harald bekümmert, so wenig,
wie er sich um sie. Deshalb war ich denn nicht wenig
erstaunt über den sonderbaren Entschluß, noch in so
hohen Jahren eine so weite Reise zu unternehmen,
denn sie wohnte viele, viele Meilen von hier; aber ich
that, was mich der Baron geheißen hatte. Sie kamen
auch an dem von ihm bestimmten Tage; ich empfing
sie und wunderte mich, wie rüstig die alte Dame noch

arme Kind geweint würden — ich würde ſagen: es
ſind nur eben genug.

Als Harald mit Herrn von Barnewitz die ſchlimme
Wette machte, war er vorher zwei oder drei Wochen
mit ihm zuſammen verreiſt geweſen; ich weiß nicht
wohin; ich glaube in eine große Stadt, weit von hier,
und da hatten ſie, denke ich, daß arme Kind geſehen.
Bald darauf reiſte er wieder fort und diesmal blieb
er beinahe zwei Monate aus. Endlich ſchrieb er, er
komme zurück, aber nicht allein. Seine Tante Gren¬
witz komme mit; ich ſolle die Zimmer der verſtorbenen
gnädigen Frau auslüften und die Möbel gut aus¬
klopfen laſſen und Alles zu ihrem Empfang herrichten.
Nun wußte ich wol, daß der Baron eine Großtante
hatte, die Schweſter ſeines Großvaters; aber ſie mußte
nach meiner Rechnung achtzig Jahre und drüber ſein;
ſie war zu meinen Lebzeiten nie in Grenwitz geweſen,
und hatte ſich nie um Harald bekümmert, ſo wenig,
wie er ſich um ſie. Deshalb war ich denn nicht wenig
erſtaunt über den ſonderbaren Entſchluß, noch in ſo
hohen Jahren eine ſo weite Reiſe zu unternehmen,
denn ſie wohnte viele, viele Meilen von hier; aber ich
that, was mich der Baron geheißen hatte. Sie kamen
auch an dem von ihm beſtimmten Tage; ich empfing
ſie und wunderte mich, wie rüſtig die alte Dame noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="229"/>
arme Kind geweint würden &#x2014; ich würde &#x017F;agen: es<lb/>
&#x017F;ind nur eben genug.</p><lb/>
        <p>Als Harald mit Herrn von Barnewitz die &#x017F;chlimme<lb/>
Wette machte, war er vorher zwei oder drei Wochen<lb/>
mit ihm zu&#x017F;ammen verrei&#x017F;t gewe&#x017F;en; ich weiß nicht<lb/>
wohin; ich glaube in eine große Stadt, weit von hier,<lb/>
und da hatten &#x017F;ie, denke ich, daß arme Kind ge&#x017F;ehen.<lb/>
Bald darauf rei&#x017F;te er wieder fort und diesmal blieb<lb/>
er beinahe zwei Monate aus. Endlich &#x017F;chrieb er, er<lb/>
komme zurück, aber nicht allein. Seine Tante Gren¬<lb/>
witz komme mit; ich &#x017F;olle die Zimmer der ver&#x017F;torbenen<lb/>
gnädigen Frau auslüften und die Möbel gut aus¬<lb/>
klopfen la&#x017F;&#x017F;en und Alles zu ihrem Empfang herrichten.<lb/>
Nun wußte ich wol, daß der Baron eine Großtante<lb/>
hatte, die Schwe&#x017F;ter &#x017F;eines Großvaters; aber &#x017F;ie mußte<lb/>
nach meiner Rechnung achtzig Jahre und drüber &#x017F;ein;<lb/>
&#x017F;ie war zu meinen Lebzeiten nie in Grenwitz gewe&#x017F;en,<lb/>
und hatte &#x017F;ich nie um Harald bekümmert, &#x017F;o wenig,<lb/>
wie er &#x017F;ich um &#x017F;ie. Deshalb war ich denn nicht wenig<lb/>
er&#x017F;taunt über den &#x017F;onderbaren Ent&#x017F;chluß, noch in &#x017F;o<lb/>
hohen Jahren eine &#x017F;o weite Rei&#x017F;e zu unternehmen,<lb/>
denn &#x017F;ie wohnte viele, viele Meilen von hier; aber ich<lb/>
that, was mich der Baron geheißen hatte. Sie kamen<lb/>
auch an dem von ihm be&#x017F;timmten Tage; ich empfing<lb/>
&#x017F;ie und wunderte mich, wie rü&#x017F;tig die alte Dame noch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0239] arme Kind geweint würden — ich würde ſagen: es ſind nur eben genug. Als Harald mit Herrn von Barnewitz die ſchlimme Wette machte, war er vorher zwei oder drei Wochen mit ihm zuſammen verreiſt geweſen; ich weiß nicht wohin; ich glaube in eine große Stadt, weit von hier, und da hatten ſie, denke ich, daß arme Kind geſehen. Bald darauf reiſte er wieder fort und diesmal blieb er beinahe zwei Monate aus. Endlich ſchrieb er, er komme zurück, aber nicht allein. Seine Tante Gren¬ witz komme mit; ich ſolle die Zimmer der verſtorbenen gnädigen Frau auslüften und die Möbel gut aus¬ klopfen laſſen und Alles zu ihrem Empfang herrichten. Nun wußte ich wol, daß der Baron eine Großtante hatte, die Schweſter ſeines Großvaters; aber ſie mußte nach meiner Rechnung achtzig Jahre und drüber ſein; ſie war zu meinen Lebzeiten nie in Grenwitz geweſen, und hatte ſich nie um Harald bekümmert, ſo wenig, wie er ſich um ſie. Deshalb war ich denn nicht wenig erſtaunt über den ſonderbaren Entſchluß, noch in ſo hohen Jahren eine ſo weite Reiſe zu unternehmen, denn ſie wohnte viele, viele Meilen von hier; aber ich that, was mich der Baron geheißen hatte. Sie kamen auch an dem von ihm beſtimmten Tage; ich empfing ſie und wunderte mich, wie rüſtig die alte Dame noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/239
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/239>, abgerufen am 19.04.2024.