Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Glaube, der die Geister der verstorbenen die auf Er¬
den zurückgelassenen Lieben umschweben läßt, der meine
wäre, so würde ich sagen: dort oben, von dem leuch¬
tenden Sternenhimmel, schauen unsre Mütter auf uns
hernieder und freuen sich der Vereinigung und Liebe
ihrer Kinder. Laß uns zusammenstehen in diesem
wirren Kampfe des Lebens zu Schutz und Trutz. Wie
lange wird es dauern und Du bist ein Mann, wie
ich, und wollte Gott, ein besserer Mann. Dann wird
auch der letzte Unterschied, der Unterschied der Jahre
von uns nicht mehr empfunden werden, wie ich ihn
denn jetzt kaum noch empfinde. Dann werde ich viel¬
leicht zu Dir aufschauen, wie Du jetzt zu mir; dann
wirst Du mir doppelt und dreifach das Wenige be¬
zahlen, das ich jetzt für Dich thun kann; dann werde
ich -- und wie gern! Dein Schuldner sein!"

"O, das wird nie geschehen;" sagte Bruno; "Du
wirst immer unerreichbar weit von mir vorauseilen:
ich werde nie auch nur das werden, was Du jetzt
schon bist."

"Du Närrchen!" sagte Oswald und streichelte
liebevoll Bruno's Haar; "Du sitzt jetzt im Parterre
vor der Bühne des Lebens, und der Felsen von Pappe
erscheint Deinem begeisterten Auge ein Urgebirge, und
all die Trödelwaare echt. Wenn Du erst selbst auf

Glaube, der die Geiſter der verſtorbenen die auf Er¬
den zurückgelaſſenen Lieben umſchweben läßt, der meine
wäre, ſo würde ich ſagen: dort oben, von dem leuch¬
tenden Sternenhimmel, ſchauen unſre Mütter auf uns
hernieder und freuen ſich der Vereinigung und Liebe
ihrer Kinder. Laß uns zuſammenſtehen in dieſem
wirren Kampfe des Lebens zu Schutz und Trutz. Wie
lange wird es dauern und Du biſt ein Mann, wie
ich, und wollte Gott, ein beſſerer Mann. Dann wird
auch der letzte Unterſchied, der Unterſchied der Jahre
von uns nicht mehr empfunden werden, wie ich ihn
denn jetzt kaum noch empfinde. Dann werde ich viel¬
leicht zu Dir aufſchauen, wie Du jetzt zu mir; dann
wirſt Du mir doppelt und dreifach das Wenige be¬
zahlen, das ich jetzt für Dich thun kann; dann werde
ich — und wie gern! Dein Schuldner ſein!“

„O, das wird nie geſchehen;“ ſagte Bruno; „Du
wirſt immer unerreichbar weit von mir vorauseilen:
ich werde nie auch nur das werden, was Du jetzt
ſchon biſt.“

„Du Närrchen!“ ſagte Oswald und ſtreichelte
liebevoll Bruno's Haar; „Du ſitzt jetzt im Parterre
vor der Bühne des Lebens, und der Felſen von Pappe
erſcheint Deinem begeiſterten Auge ein Urgebirge, und
all die Trödelwaare echt. Wenn Du erſt ſelbſt auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0183" n="173"/>
Glaube, der die Gei&#x017F;ter der ver&#x017F;torbenen die auf Er¬<lb/>
den zurückgela&#x017F;&#x017F;enen Lieben um&#x017F;chweben läßt, der meine<lb/>
wäre, &#x017F;o würde ich &#x017F;agen: dort oben, von dem leuch¬<lb/>
tenden Sternenhimmel, &#x017F;chauen un&#x017F;re Mütter auf uns<lb/>
hernieder und freuen &#x017F;ich der Vereinigung und Liebe<lb/>
ihrer Kinder. Laß uns zu&#x017F;ammen&#x017F;tehen in die&#x017F;em<lb/>
wirren Kampfe des Lebens zu Schutz und Trutz. Wie<lb/>
lange wird es dauern und Du bi&#x017F;t ein Mann, wie<lb/>
ich, und wollte Gott, ein be&#x017F;&#x017F;erer Mann. Dann wird<lb/>
auch der letzte Unter&#x017F;chied, der Unter&#x017F;chied der Jahre<lb/>
von uns nicht mehr empfunden werden, wie ich ihn<lb/>
denn jetzt kaum noch empfinde. Dann werde ich viel¬<lb/>
leicht zu Dir auf&#x017F;chauen, wie Du jetzt zu mir; dann<lb/>
wir&#x017F;t Du mir doppelt und dreifach das Wenige be¬<lb/>
zahlen, das ich jetzt für Dich thun kann; dann werde<lb/>
ich &#x2014; und wie gern! Dein Schuldner &#x017F;ein!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O, das wird nie ge&#x017F;chehen;&#x201C; &#x017F;agte Bruno; &#x201E;Du<lb/>
wir&#x017F;t immer unerreichbar weit von mir vorauseilen:<lb/>
ich werde nie auch nur das werden, was Du jetzt<lb/>
&#x017F;chon bi&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du Närrchen!&#x201C; &#x017F;agte Oswald und &#x017F;treichelte<lb/>
liebevoll Bruno's Haar; &#x201E;Du &#x017F;itzt jetzt im Parterre<lb/>
vor der Bühne des Lebens, und der Fel&#x017F;en von Pappe<lb/>
er&#x017F;cheint Deinem begei&#x017F;terten Auge ein Urgebirge, und<lb/>
all die Trödelwaare echt. Wenn Du er&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0183] Glaube, der die Geiſter der verſtorbenen die auf Er¬ den zurückgelaſſenen Lieben umſchweben läßt, der meine wäre, ſo würde ich ſagen: dort oben, von dem leuch¬ tenden Sternenhimmel, ſchauen unſre Mütter auf uns hernieder und freuen ſich der Vereinigung und Liebe ihrer Kinder. Laß uns zuſammenſtehen in dieſem wirren Kampfe des Lebens zu Schutz und Trutz. Wie lange wird es dauern und Du biſt ein Mann, wie ich, und wollte Gott, ein beſſerer Mann. Dann wird auch der letzte Unterſchied, der Unterſchied der Jahre von uns nicht mehr empfunden werden, wie ich ihn denn jetzt kaum noch empfinde. Dann werde ich viel¬ leicht zu Dir aufſchauen, wie Du jetzt zu mir; dann wirſt Du mir doppelt und dreifach das Wenige be¬ zahlen, das ich jetzt für Dich thun kann; dann werde ich — und wie gern! Dein Schuldner ſein!“ „O, das wird nie geſchehen;“ ſagte Bruno; „Du wirſt immer unerreichbar weit von mir vorauseilen: ich werde nie auch nur das werden, was Du jetzt ſchon biſt.“ „Du Närrchen!“ ſagte Oswald und ſtreichelte liebevoll Bruno's Haar; „Du ſitzt jetzt im Parterre vor der Bühne des Lebens, und der Felſen von Pappe erſcheint Deinem begeiſterten Auge ein Urgebirge, und all die Trödelwaare echt. Wenn Du erſt ſelbſt auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/183
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/183>, abgerufen am 19.04.2024.