Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

nach Faschwitz noch immer nicht verschmerzen kann?
Noch neulich sagte Professor Lichtscheu, den ich in
einer Gesellschaft beim Kanonikus Schwarz traf: es
sei unverantwortlich, daß ein gewisser Gelehrter, den
ich nicht nennen will, den reichen Schatz seines Wissens
in der Einsamkeit eines Dorfes, dessen Namen mir
entfallen ist, vergraben solle; worauf ich ihm erwiederte:
es sei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin
der "Kornblumen" noch immer unter Kornblumen wandle.

So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort,
dabei war Alles, was Timm sprach, so augenscheinlich
ohne jegliche Absicht, witzig und geistreich sein zu
wollen, -- trotzdem es manchmal geistreich und witzig
genug war -- gesagt, daß man ihm zuhören konnte
wie einem lustigen und in seiner Lustigkeit freilich et¬
was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgensonne
in das Bauer scheint und der dabei auf den Einfall
kommt, sich einmal ordentlich auszusingen. Nur kam
es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬
mor durchaus nicht so natürlich sei, als es den An¬
schein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬
studirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬
endeter Naturwahrheit, spiele, und als ob der gut¬
müthige Bonvivant und anspruchlose Naturbursche bei
Licht besehen die ganze Gesellschaft, die er mit dem

nach Faſchwitz noch immer nicht verſchmerzen kann?
Noch neulich ſagte Profeſſor Lichtſcheu, den ich in
einer Geſellſchaft beim Kanonikus Schwarz traf: es
ſei unverantwortlich, daß ein gewiſſer Gelehrter, den
ich nicht nennen will, den reichen Schatz ſeines Wiſſens
in der Einſamkeit eines Dorfes, deſſen Namen mir
entfallen iſt, vergraben ſolle; worauf ich ihm erwiederte:
es ſei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin
der „Kornblumen“ noch immer unter Kornblumen wandle.

So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort,
dabei war Alles, was Timm ſprach, ſo augenſcheinlich
ohne jegliche Abſicht, witzig und geiſtreich ſein zu
wollen, — trotzdem es manchmal geiſtreich und witzig
genug war — geſagt, daß man ihm zuhören konnte
wie einem luſtigen und in ſeiner Luſtigkeit freilich et¬
was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgenſonne
in das Bauer ſcheint und der dabei auf den Einfall
kommt, ſich einmal ordentlich auszuſingen. Nur kam
es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬
mor durchaus nicht ſo natürlich ſei, als es den An¬
ſchein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬
ſtudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬
endeter Naturwahrheit, ſpiele, und als ob der gut¬
müthige Bonvivant und anſpruchloſe Naturburſche bei
Licht beſehen die ganze Geſellſchaft, die er mit dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0175" n="165"/>
nach Fa&#x017F;chwitz noch immer nicht ver&#x017F;chmerzen kann?<lb/>
Noch neulich &#x017F;agte Profe&#x017F;&#x017F;or Licht&#x017F;cheu, den ich in<lb/>
einer Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft beim Kanonikus Schwarz traf: es<lb/>
&#x017F;ei unverantwortlich, daß ein gewi&#x017F;&#x017F;er Gelehrter, den<lb/>
ich nicht nennen will, den reichen Schatz &#x017F;eines Wi&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
in der Ein&#x017F;amkeit eines Dorfes, de&#x017F;&#x017F;en Namen mir<lb/>
entfallen i&#x017F;t, vergraben &#x017F;olle; worauf ich ihm erwiederte:<lb/>
es &#x017F;ei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin<lb/>
der &#x201E;Kornblumen&#x201C; noch immer unter Kornblumen wandle.</p><lb/>
        <p>So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort,<lb/>
dabei war Alles, was Timm &#x017F;prach, &#x017F;o augen&#x017F;cheinlich<lb/>
ohne jegliche Ab&#x017F;icht, witzig und gei&#x017F;treich &#x017F;ein zu<lb/>
wollen, &#x2014; trotzdem es manchmal gei&#x017F;treich und witzig<lb/>
genug war &#x2014; ge&#x017F;agt, daß man ihm zuhören konnte<lb/>
wie einem lu&#x017F;tigen und in &#x017F;einer Lu&#x017F;tigkeit freilich et¬<lb/>
was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgen&#x017F;onne<lb/>
in das Bauer &#x017F;cheint und der dabei auf den Einfall<lb/>
kommt, &#x017F;ich einmal ordentlich auszu&#x017F;ingen. Nur kam<lb/>
es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬<lb/>
mor durchaus nicht &#x017F;o natürlich &#x017F;ei, als es den An¬<lb/>
&#x017F;chein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬<lb/>
&#x017F;tudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬<lb/>
endeter Naturwahrheit, &#x017F;piele, und als ob der gut¬<lb/>
müthige Bonvivant und an&#x017F;pruchlo&#x017F;e Naturbur&#x017F;che bei<lb/>
Licht be&#x017F;ehen die ganze Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die er mit dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0175] nach Faſchwitz noch immer nicht verſchmerzen kann? Noch neulich ſagte Profeſſor Lichtſcheu, den ich in einer Geſellſchaft beim Kanonikus Schwarz traf: es ſei unverantwortlich, daß ein gewiſſer Gelehrter, den ich nicht nennen will, den reichen Schatz ſeines Wiſſens in der Einſamkeit eines Dorfes, deſſen Namen mir entfallen iſt, vergraben ſolle; worauf ich ihm erwiederte: es ſei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin der „Kornblumen“ noch immer unter Kornblumen wandle. So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort, dabei war Alles, was Timm ſprach, ſo augenſcheinlich ohne jegliche Abſicht, witzig und geiſtreich ſein zu wollen, — trotzdem es manchmal geiſtreich und witzig genug war — geſagt, daß man ihm zuhören konnte wie einem luſtigen und in ſeiner Luſtigkeit freilich et¬ was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgenſonne in das Bauer ſcheint und der dabei auf den Einfall kommt, ſich einmal ordentlich auszuſingen. Nur kam es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬ mor durchaus nicht ſo natürlich ſei, als es den An¬ ſchein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬ ſtudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬ endeter Naturwahrheit, ſpiele, und als ob der gut¬ müthige Bonvivant und anſpruchloſe Naturburſche bei Licht beſehen die ganze Geſellſchaft, die er mit dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/175
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/175>, abgerufen am 25.04.2024.