Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Prinzessin nennen -- denn ich wette, es ist ein ge¬
stohlenes Königskind -- unterdessen anfangen?"

"Wenn wir sie nicht auf der offenen Landstraße
zurücklassen wollen, werden wir uns wohl entschließen
müssen, sie mit uns zu nehmen."

"Aber das Kind wird nicht mit uns gehen wollen.
Höre, kleine Czika, willst Du mit mir gehen?"

"Ja, Herr," sagte das Kind, das bis jetzt, ohne
eine Spur von Besorgniß, Furcht oder Angst zu ver¬
rathen, ruhig dagestanden hatte.

"Hm!" sagte der Baron, "da komme ich ja zu
einem Adoptivkinde, ich weiß nicht wie."

Er war mit einem Male sehr ernst geworden. Er
streichelte der Czika die blauschwarzen seidenen Locken
von der feinen Stirn, und betrachtete sie lange un¬
verwandt.

"Wie schön das Kind ist!" murmelte er; "wie
wunderschön! Und wie groß es geworden ist! -- Komm
mit mir, kleine Czika, Du sollst es gut, sehr gut bei
mir haben; ich will Dich mehr lieben als Deine
Mutter, die Dich so schnöde verlassen, Dich je geliebt
hat."

"Mutter verläßt die Czika nicht;" sagte das Kind,
ruhig zum Baron emporblickend; "Mutter ist, wo die
Czika ist; Mutter ist überall."

Prinzeſſin nennen — denn ich wette, es iſt ein ge¬
ſtohlenes Königskind — unterdeſſen anfangen?“

„Wenn wir ſie nicht auf der offenen Landſtraße
zurücklaſſen wollen, werden wir uns wohl entſchließen
müſſen, ſie mit uns zu nehmen.“

„Aber das Kind wird nicht mit uns gehen wollen.
Höre, kleine Czika, willſt Du mit mir gehen?“

„Ja, Herr,“ ſagte das Kind, das bis jetzt, ohne
eine Spur von Beſorgniß, Furcht oder Angſt zu ver¬
rathen, ruhig dageſtanden hatte.

„Hm!“ ſagte der Baron, „da komme ich ja zu
einem Adoptivkinde, ich weiß nicht wie.“

Er war mit einem Male ſehr ernſt geworden. Er
ſtreichelte der Czika die blauſchwarzen ſeidenen Locken
von der feinen Stirn, und betrachtete ſie lange un¬
verwandt.

„Wie ſchön das Kind iſt!“ murmelte er; „wie
wunderſchön! Und wie groß es geworden iſt! — Komm
mit mir, kleine Czika, Du ſollſt es gut, ſehr gut bei
mir haben; ich will Dich mehr lieben als Deine
Mutter, die Dich ſo ſchnöde verlaſſen, Dich je geliebt
hat.“

„Mutter verläßt die Czika nicht;“ ſagte das Kind,
ruhig zum Baron emporblickend; „Mutter iſt, wo die
Czika iſt; Mutter iſt überall.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="124"/>
Prinze&#x017F;&#x017F;in nennen &#x2014; denn ich wette, es i&#x017F;t ein ge¬<lb/>
&#x017F;tohlenes Königskind &#x2014; unterde&#x017F;&#x017F;en anfangen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenn wir &#x017F;ie nicht auf der offenen Land&#x017F;traße<lb/>
zurückla&#x017F;&#x017F;en wollen, werden wir uns wohl ent&#x017F;chließen<lb/>&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie mit uns zu nehmen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber das Kind wird nicht mit uns gehen wollen.<lb/>
Höre, kleine Czika, will&#x017F;t Du mit mir gehen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, Herr,&#x201C; &#x017F;agte das Kind, das bis jetzt, ohne<lb/>
eine Spur von Be&#x017F;orgniß, Furcht oder Ang&#x017F;t zu ver¬<lb/>
rathen, ruhig dage&#x017F;tanden hatte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hm!&#x201C; &#x017F;agte der Baron, &#x201E;da komme ich ja zu<lb/>
einem Adoptivkinde, ich weiß nicht wie.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er war mit einem Male &#x017F;ehr ern&#x017F;t geworden. Er<lb/>
&#x017F;treichelte der Czika die blau&#x017F;chwarzen &#x017F;eidenen Locken<lb/>
von der feinen Stirn, und betrachtete &#x017F;ie lange un¬<lb/>
verwandt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie &#x017F;chön das Kind i&#x017F;t!&#x201C; murmelte er; &#x201E;wie<lb/>
wunder&#x017F;chön! Und wie groß es geworden i&#x017F;t! &#x2014; Komm<lb/>
mit mir, kleine Czika, Du &#x017F;oll&#x017F;t es gut, &#x017F;ehr gut bei<lb/>
mir haben; ich will Dich mehr lieben als Deine<lb/>
Mutter, die Dich &#x017F;o &#x017F;chnöde verla&#x017F;&#x017F;en, Dich je geliebt<lb/>
hat.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mutter verläßt die Czika nicht;&#x201C; &#x017F;agte das Kind,<lb/>
ruhig zum Baron emporblickend; &#x201E;Mutter i&#x017F;t, wo die<lb/>
Czika i&#x017F;t; Mutter i&#x017F;t überall.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0134] Prinzeſſin nennen — denn ich wette, es iſt ein ge¬ ſtohlenes Königskind — unterdeſſen anfangen?“ „Wenn wir ſie nicht auf der offenen Landſtraße zurücklaſſen wollen, werden wir uns wohl entſchließen müſſen, ſie mit uns zu nehmen.“ „Aber das Kind wird nicht mit uns gehen wollen. Höre, kleine Czika, willſt Du mit mir gehen?“ „Ja, Herr,“ ſagte das Kind, das bis jetzt, ohne eine Spur von Beſorgniß, Furcht oder Angſt zu ver¬ rathen, ruhig dageſtanden hatte. „Hm!“ ſagte der Baron, „da komme ich ja zu einem Adoptivkinde, ich weiß nicht wie.“ Er war mit einem Male ſehr ernſt geworden. Er ſtreichelte der Czika die blauſchwarzen ſeidenen Locken von der feinen Stirn, und betrachtete ſie lange un¬ verwandt. „Wie ſchön das Kind iſt!“ murmelte er; „wie wunderſchön! Und wie groß es geworden iſt! — Komm mit mir, kleine Czika, Du ſollſt es gut, ſehr gut bei mir haben; ich will Dich mehr lieben als Deine Mutter, die Dich ſo ſchnöde verlaſſen, Dich je geliebt hat.“ „Mutter verläßt die Czika nicht;“ ſagte das Kind, ruhig zum Baron emporblickend; „Mutter iſt, wo die Czika iſt; Mutter iſt überall.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/134
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/134>, abgerufen am 29.03.2024.