Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich besitze das Talent, mich zu langweilen, nur
in einem sehr bescheidenen Maße, und überdies glaube
ich, daß die Gegenwart dieser Damen und Ihre eigne,
Herr von Breesen, ein besseres Präservativ gegen
diese Krankheit ist, als eine Gesellschaft von hundert
Personen," sagte Oswald mit höflicher Verbeugung.

"Siehst Du, Adolf," rief die lebhafte alte Dame,
"Herr Stein sagt dasselbe, was ich Dir schon tausend¬
mal gesagt habe: nur langweilige Menschen langweilen
sich; zum Beispiel Du und Deine Schwester, die ihr
jeden Tag hundertmal vor langer Weile sterben wollt."

"Ich langweile mich nie, Tante," rief Fräulein
Emilie eifrig.

"Kind, Du beginnst irre zu reden, es ist die höchste
Zeit, daß wir nach Hause kommen. Also au revoir,
Monsieur
."

"Ich bitte um die Gnade, Sie bis zum Wagen
begleiten zu dürfen," sagte Oswald, der alten Dame
den Arm bietend.

"Vous etes bien aimable, monsieur," erwiederte
sie, den dargebotenen Arm annehmend. "Sind Sie
überzeugt, Herr Stein, daß Sie nicht von Adel sind?"

"Wie von meinem Dasein, gnädige Frau. Wes¬
halb?"

"Hm; Sie haben in Ihrem ganzen Wesen etwas

„Ich beſitze das Talent, mich zu langweilen, nur
in einem ſehr beſcheidenen Maße, und überdies glaube
ich, daß die Gegenwart dieſer Damen und Ihre eigne,
Herr von Breeſen, ein beſſeres Präſervativ gegen
dieſe Krankheit iſt, als eine Geſellſchaft von hundert
Perſonen,“ ſagte Oswald mit höflicher Verbeugung.

„Siehst Du, Adolf,“ rief die lebhafte alte Dame,
„Herr Stein ſagt daſſelbe, was ich Dir ſchon tauſend¬
mal geſagt habe: nur langweilige Menſchen langweilen
ſich; zum Beiſpiel Du und Deine Schweſter, die ihr
jeden Tag hundertmal vor langer Weile ſterben wollt.“

„Ich langweile mich nie, Tante,“ rief Fräulein
Emilie eifrig.

„Kind, Du beginnſt irre zu reden, es iſt die höchſte
Zeit, daß wir nach Hauſe kommen. Alſo au revoir,
Monsieur
.“

„Ich bitte um die Gnade, Sie bis zum Wagen
begleiten zu dürfen," ſagte Oswald, der alten Dame
den Arm bietend.

„Vous êtes bien aimable, monsieur,“ erwiederte
ſie, den dargebotenen Arm annehmend. „Sind Sie
überzeugt, Herr Stein, daß Sie nicht von Adel ſind?“

„Wie von meinem Daſein, gnädige Frau. Wes¬
halb?“

„Hm; Sie haben in Ihrem ganzen Weſen etwas

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0115" n="105"/>
        <p>&#x201E;Ich be&#x017F;itze das Talent, mich zu langweilen, nur<lb/>
in einem &#x017F;ehr be&#x017F;cheidenen Maße, und überdies glaube<lb/>
ich, daß die Gegenwart die&#x017F;er Damen und Ihre eigne,<lb/>
Herr von Bree&#x017F;en, ein be&#x017F;&#x017F;eres Prä&#x017F;ervativ gegen<lb/>
die&#x017F;e Krankheit i&#x017F;t, als eine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von hundert<lb/>
Per&#x017F;onen,&#x201C; &#x017F;agte Oswald mit höflicher Verbeugung.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Siehst Du, Adolf,&#x201C; rief die lebhafte alte Dame,<lb/>
&#x201E;Herr Stein &#x017F;agt da&#x017F;&#x017F;elbe, was ich Dir &#x017F;chon tau&#x017F;end¬<lb/>
mal ge&#x017F;agt habe: nur langweilige Men&#x017F;chen langweilen<lb/>
&#x017F;ich; zum Bei&#x017F;piel Du und Deine Schwe&#x017F;ter, die ihr<lb/>
jeden Tag hundertmal vor langer Weile &#x017F;terben wollt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich langweile mich nie, Tante,&#x201C; rief Fräulein<lb/>
Emilie eifrig.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kind, Du beginn&#x017F;t irre zu reden, es i&#x017F;t die höch&#x017F;te<lb/>
Zeit, daß wir nach Hau&#x017F;e kommen. Al&#x017F;o <hi rendition="#aq">au revoir,<lb/>
Monsieur</hi>.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bitte um die Gnade, Sie bis zum Wagen<lb/>
begleiten zu dürfen," &#x017F;agte Oswald, der alten Dame<lb/>
den Arm bietend.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Vous êtes bien aimable, monsieur,&#x201C;</hi> erwiederte<lb/>
&#x017F;ie, den dargebotenen Arm annehmend. &#x201E;Sind Sie<lb/>
überzeugt, Herr Stein, daß Sie nicht von Adel &#x017F;ind?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie von meinem Da&#x017F;ein, gnädige Frau. Wes¬<lb/>
halb?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hm; Sie haben in Ihrem ganzen We&#x017F;en etwas<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0115] „Ich beſitze das Talent, mich zu langweilen, nur in einem ſehr beſcheidenen Maße, und überdies glaube ich, daß die Gegenwart dieſer Damen und Ihre eigne, Herr von Breeſen, ein beſſeres Präſervativ gegen dieſe Krankheit iſt, als eine Geſellſchaft von hundert Perſonen,“ ſagte Oswald mit höflicher Verbeugung. „Siehst Du, Adolf,“ rief die lebhafte alte Dame, „Herr Stein ſagt daſſelbe, was ich Dir ſchon tauſend¬ mal geſagt habe: nur langweilige Menſchen langweilen ſich; zum Beiſpiel Du und Deine Schweſter, die ihr jeden Tag hundertmal vor langer Weile ſterben wollt.“ „Ich langweile mich nie, Tante,“ rief Fräulein Emilie eifrig. „Kind, Du beginnſt irre zu reden, es iſt die höchſte Zeit, daß wir nach Hauſe kommen. Alſo au revoir, Monsieur.“ „Ich bitte um die Gnade, Sie bis zum Wagen begleiten zu dürfen," ſagte Oswald, der alten Dame den Arm bietend. „Vous êtes bien aimable, monsieur,“ erwiederte ſie, den dargebotenen Arm annehmend. „Sind Sie überzeugt, Herr Stein, daß Sie nicht von Adel ſind?“ „Wie von meinem Daſein, gnädige Frau. Wes¬ halb?“ „Hm; Sie haben in Ihrem ganzen Weſen etwas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/115
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/115>, abgerufen am 20.04.2024.