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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. I. SECTIO I.
8. 13, 7. 14, 9. 10. 11. 12. 13. 17, 6. So vielmehr hat man daran fleißig zu ge-
dencken, wo man dergleichen bereits vor augen und im wetter zusammen
ziehen sihet. Wer sich nichts der dinge vorher vorgestellet, kan sich nach-
mal desto weniger drein schicken.
2. Daß man zu rechter zeit seinen glauben, was die erkäntniß der
wahren lehr anlangt, recht suche zu gründen, und zwar nicht nur aus dem
blossen catechismo oder andern von unsern lehrern gemachten büchern, dero
autorität uns mag in zweiffel gezogen werden, sondern aus der schrifft und
undisputirlichem wort GOttes selbsten, in demselben zu erkennen, wie unsre
lehr gegründet seye: Damit man als denn wisse, die warheit, vor welche wir
leiden, sey eine Göttliche warheit.
3. Daß man auch einigerley massen und nach dem maß der erkäntnüß,
so einem jeglichen gegeben, suche etwas von den irrthumen der falsch-gläubi-
gen, von denen man etwa die verfolgung zu sorgen hat, zu verstehen, und dero
ungrund zu erkennen: Damit man nachmal desto weniger verführet werden
möchte, entweder zu den irrthumen selbs, oder aber zu dero geringhaltung, und
also leichteren abfall, der nicht so leicht zu beförchten, wo man den greuel der
irrthume ziemlich erkant hat.
4. Daß man nicht zu frieden seye nur eine buchstäbliche erkäntniß der
warheit zu haben, sondern daß solche mit einer göttlichen gewißheit (als
welche allein in den harten anfechtungen zu bestehen vermag) in dem hertzen
lebendig seye, wozu also eiffriges gebet, und da wir die schrifft lesen oder pre-
digt hören, hertzliche begierde göttlichen willen zu erkennen und zu vollbringen
gehöret, damit wir bequem seyen, in welchen der heilige Geist solches wahre
liecht wircke.
5. Daß wir uns eines heiligen wandels befleissen, damit ein böses ge-
wissen des vorigen lebens bey anbrechender gefahr nicht alsobald alles ver-
trauen gegen GOtt niederschlage, und die furcht vermehre, oder der Göttli-
chen gnade, dero wir alsdenn bedörfftig, aus seinem gerechten gericht verlu-
stigt mache, auch wir in solchem stand mögen geschickt seyn, zu den Göttlichen
gnaden-wirckungen.
6. Daß wir sonderlich bey zeiten lernen erkennen, was nicht die wahre
güter seyn, nemlich alles irdische, reichthum, ehre, wollust, beqvemlichkeit die-
ses lebens, ja das zeitliche leben selbs, sondern die ewige und geistliche: a-
ber daß wir solches nicht nur nach den worten erkennen, sondern warhaff-
tig in unserer seelen also glauben, daher folglich die liebe dieser welt und un-
ser selbs warhafftig abzulegen und die wahre güter allein zu lieben nöthig
ist. Dann lieben wir nicht mehr unser leben und dieses lebens güter, so ist schon
die vornehmste gewalt aller verfolgungen gebrochen, welche nicht mehr als
diesel-
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ARTIC. I. SECTIO I.
8. 13, 7. 14, 9. 10. 11. 12. 13. 17, 6. So vielmehr hat man daran fleißig zu ge-
dencken, wo man dergleichen bereits vor augen und im wetter zuſammen
ziehen ſihet. Wer ſich nichts der dinge vorher vorgeſtellet, kan ſich nach-
mal deſto weniger drein ſchicken.
2. Daß man zu rechter zeit ſeinen glauben, was die erkaͤntniß der
wahren lehr anlangt, recht ſuche zu gruͤnden, und zwar nicht nur aus dem
bloſſen catechiſmo oder andern von unſern lehrern gemachten buͤchern, dero
autoritaͤt uns mag in zweiffel gezogen werden, ſondern aus der ſchrifft und
undiſputirlichem wort GOttes ſelbſten, in demſelben zu erkennen, wie unſre
lehr gegruͤndet ſeye: Damit man als denn wiſſe, die warheit, vor welche wir
leiden, ſey eine Goͤttliche warheit.
3. Daß man auch einigerley maſſen und nach dem maß der erkaͤntnuͤß,
ſo einem jeglichen gegeben, ſuche etwas von den irrthumen der falſch-glaͤubi-
gen, von denen man etwa die verfolgung zu ſorgen hat, zu verſtehen, und dero
ungrund zu erkennen: Damit man nachmal deſto weniger verfuͤhret werden
moͤchte, entweder zu den irrthumen ſelbs, oder aber zu dero geringhaltung, und
alſo leichteren abfall, der nicht ſo leicht zu befoͤrchten, wo man den greuel der
irrthume ziemlich erkant hat.
4. Daß man nicht zu frieden ſeye nur eine buchſtaͤbliche erkaͤntniß der
warheit zu haben, ſondern daß ſolche mit einer goͤttlichen gewißheit (als
welche allein in den harten anfechtungen zu beſtehen vermag) in dem hertzen
lebendig ſeye, wozu alſo eiffriges gebet, und da wir die ſchrifft leſen oder pre-
digt hoͤren, hertzliche begierde goͤttlichen willen zu erkennen und zu vollbringen
gehoͤret, damit wir bequem ſeyen, in welchen der heilige Geiſt ſolches wahre
liecht wircke.
5. Daß wir uns eines heiligen wandels befleiſſen, damit ein boͤſes ge-
wiſſen des vorigen lebens bey anbrechender gefahr nicht alſobald alles ver-
trauen gegen GOtt niederſchlage, und die furcht vermehre, oder der Goͤttli-
chen gnade, dero wir alsdenn bedoͤrfftig, aus ſeinem gerechten gericht verlu-
ſtigt mache, auch wir in ſolchem ſtand moͤgen geſchickt ſeyn, zu den Goͤttlichen
gnaden-wirckungen.
6. Daß wir ſonderlich bey zeiten lernen erkennen, was nicht die wahre
guͤter ſeyn, nemlich alles irdiſche, reichthum, ehre, wolluſt, beqvemlichkeit die-
ſes lebens, ja das zeitliche leben ſelbs, ſondern die ewige und geiſtliche: a-
ber daß wir ſolches nicht nur nach den worten erkennen, ſondern warhaff-
tig in unſerer ſeelen alſo glauben, daher folglich die liebe dieſer welt und un-
ſer ſelbs warhafftig abzulegen und die wahre guͤter allein zu lieben noͤthig
iſt. Dann lieben wir nicht mehr unſer leben und dieſes lebens guͤter, ſo iſt ſchon
die vornehmſte gewalt aller verfolgungen gebrochen, welche nicht mehr als
dieſel-
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[5/0017] ARTIC. I. SECTIO I. 8. 13, 7. 14, 9. 10. 11. 12. 13. 17, 6. So vielmehr hat man daran fleißig zu ge- dencken, wo man dergleichen bereits vor augen und im wetter zuſammen ziehen ſihet. Wer ſich nichts der dinge vorher vorgeſtellet, kan ſich nach- mal deſto weniger drein ſchicken. 2. Daß man zu rechter zeit ſeinen glauben, was die erkaͤntniß der wahren lehr anlangt, recht ſuche zu gruͤnden, und zwar nicht nur aus dem bloſſen catechiſmo oder andern von unſern lehrern gemachten buͤchern, dero autoritaͤt uns mag in zweiffel gezogen werden, ſondern aus der ſchrifft und undiſputirlichem wort GOttes ſelbſten, in demſelben zu erkennen, wie unſre lehr gegruͤndet ſeye: Damit man als denn wiſſe, die warheit, vor welche wir leiden, ſey eine Goͤttliche warheit. 3. Daß man auch einigerley maſſen und nach dem maß der erkaͤntnuͤß, ſo einem jeglichen gegeben, ſuche etwas von den irrthumen der falſch-glaͤubi- gen, von denen man etwa die verfolgung zu ſorgen hat, zu verſtehen, und dero ungrund zu erkennen: Damit man nachmal deſto weniger verfuͤhret werden moͤchte, entweder zu den irrthumen ſelbs, oder aber zu dero geringhaltung, und alſo leichteren abfall, der nicht ſo leicht zu befoͤrchten, wo man den greuel der irrthume ziemlich erkant hat. 4. Daß man nicht zu frieden ſeye nur eine buchſtaͤbliche erkaͤntniß der warheit zu haben, ſondern daß ſolche mit einer goͤttlichen gewißheit (als welche allein in den harten anfechtungen zu beſtehen vermag) in dem hertzen lebendig ſeye, wozu alſo eiffriges gebet, und da wir die ſchrifft leſen oder pre- digt hoͤren, hertzliche begierde goͤttlichen willen zu erkennen und zu vollbringen gehoͤret, damit wir bequem ſeyen, in welchen der heilige Geiſt ſolches wahre liecht wircke. 5. Daß wir uns eines heiligen wandels befleiſſen, damit ein boͤſes ge- wiſſen des vorigen lebens bey anbrechender gefahr nicht alſobald alles ver- trauen gegen GOtt niederſchlage, und die furcht vermehre, oder der Goͤttli- chen gnade, dero wir alsdenn bedoͤrfftig, aus ſeinem gerechten gericht verlu- ſtigt mache, auch wir in ſolchem ſtand moͤgen geſchickt ſeyn, zu den Goͤttlichen gnaden-wirckungen. 6. Daß wir ſonderlich bey zeiten lernen erkennen, was nicht die wahre guͤter ſeyn, nemlich alles irdiſche, reichthum, ehre, wolluſt, beqvemlichkeit die- ſes lebens, ja das zeitliche leben ſelbs, ſondern die ewige und geiſtliche: a- ber daß wir ſolches nicht nur nach den worten erkennen, ſondern warhaff- tig in unſerer ſeelen alſo glauben, daher folglich die liebe dieſer welt und un- ſer ſelbs warhafftig abzulegen und die wahre guͤter allein zu lieben noͤthig iſt. Dann lieben wir nicht mehr unſer leben und dieſes lebens guͤter, ſo iſt ſchon die vornehmſte gewalt aller verfolgungen gebrochen, welche nicht mehr als dieſel- a 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/17>, abgerufen am 19.04.2024.