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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO VIII.
grunde hat. Daher mag göttliches wesen unserm verstand nach allen sei-
nen eigenschafften/ nach denen es an sich das höchste gut ist/ vorgestellet wer-
den/ wie es will/ so wird doch als lang der mensch wegen seiner sünden aus
der anklage seines gewissens dasselbe also ansihet/ daß es ihn verdammen
wolle/ unmüglich eine liebe gegen dasselbe erwecket werden/ sondern allezeit
vielmehr der haß bleiben. Das macht/ wir lieben in unser verderbnüß nicht
dasjenige/ was und sofern es an sich selbs/ sondern was uns vor unsre per-
son/ gut ist oder gehalten wird. Daher ehe der mensch GOtt lernet erken-
nen/ daß er ihm gnädig seye und seine sünde vergeben wolle/ so zudem glauben
gehöret/ ist ihm unmöglich/ das jenige nur etlicher massen zu lieben/ was er
ansihet/ als zwahr an sich selbs/ nicht aber ihm/ gut: ja alles was in GOtt
herrlich ist/ schrecket ihn/ weil nemlich alles zu seiner straff mit wircken solle/
so gar Gottes güte und barmhertzigkeit erwecket bey ihm keine liebe/ sondern
verdreust ihn/ daß Gott gegen andre so gnädig seye/ und er doch dessen nicht
geniessen solle. Also bleibet der haß allezeit und wächst wol gar/ biß er erst-
lich durch den glauben seinen GOtt und was in demselben ist/ also erkennet
und ergreiffet/ wie er nicht nur in sich/ sondern auch ihm selbs/ gut seye. Vor
diesem ist aus ansehung der verdorbenen eigenen lieb nicht zu begreiffen/ wie
die geringste eigentliche liebe gegen GOtt in dem hertzen seyn könne. Bleibet
also dem glauben nicht allein die ehre/ daß er allein die gnade und seligkeit
annehme/ sondern daß die liebe erst auff denselben folge/ und seine frucht seye.
Aus diesem wird geliebter bruder meine meinung gantz deutlich sehen/ und
hoffentlich deroselben grund erkennen/ von mir aber in liebe auffnehmen/ da
ich nicht einerley gedancken mit demselben haben können/ daß die meinige of-
fenhertzig darstelle. Der HErr aber gebe immer mehr und mehr sein liecht
in unsre seelen/ in allen stücken seine wahrheit also zuerkennen/ wie es uns zu
seiner verherrlichung/ eigener und anderer erbauung nöthig ist. 1691.

SECTIO IX.
Von dem verstande der sprüche 1. Tim. 2/ 9. 1. Pet.
3/ 3. betreffend Christlicher weiber pflicht in dero
kleidern und schmuck.

WEil ein grosses zu dem verstand einiger stellen der schrifft thun kan/
wo man erst die materie/ davon etwa dieselbige handlen/ aus der ana-
logie
anderer orte/ sonderlich der allgemeinsten principiorum des
Christlichen so glaubens als lebens/ betrachtet/ so werden auch hier unter-
schiedliche grund-regeln zu legen seyn.

1. Unser gantzes Christenthum bestehet hauptsächlich in dem innerlichen/ und
wird
D

SECTIO VIII.
grunde hat. Daher mag goͤttliches weſen unſerm verſtand nach allen ſei-
nen eigenſchafften/ nach denen es an ſich das hoͤchſte gut iſt/ vorgeſtellet wer-
den/ wie es will/ ſo wird doch als lang der menſch wegen ſeiner ſuͤnden aus
der anklage ſeines gewiſſens daſſelbe alſo anſihet/ daß es ihn verdammen
wolle/ unmuͤglich eine liebe gegen daſſelbe erwecket werden/ ſondern allezeit
vielmehr der haß bleiben. Das macht/ wir lieben in unſer verderbnuͤß nicht
dasjenige/ was und ſofern es an ſich ſelbs/ ſondern was uns vor unſre per-
ſon/ gut iſt oder gehalten wird. Daher ehe der menſch GOtt lernet erken-
nen/ daß er ihm gnaͤdig ſeye und ſeine ſuͤnde vergeben wolle/ ſo zudem glauben
gehoͤret/ iſt ihm unmoͤglich/ das jenige nur etlicher maſſen zu lieben/ was er
anſihet/ als zwahr an ſich ſelbs/ nicht aber ihm/ gut: ja alles was in GOtt
herrlich iſt/ ſchrecket ihn/ weil nemlich alles zu ſeiner ſtraff mit wircken ſolle/
ſo gar Gottes guͤte und barmhertzigkeit erwecket bey ihm keine liebe/ ſondern
verdreuſt ihn/ daß Gott gegen andre ſo gnaͤdig ſeye/ und er doch deſſen nicht
genieſſen ſolle. Alſo bleibet der haß allezeit und waͤchſt wol gar/ biß er erſt-
lich durch den glauben ſeinen GOtt und was in demſelben iſt/ alſo erkennet
und ergreiffet/ wie er nicht nur in ſich/ ſondern auch ihm ſelbs/ gut ſeye. Vor
dieſem iſt aus anſehung der verdorbenen eigenen lieb nicht zu begreiffen/ wie
die geringſte eigentliche liebe gegen GOtt in dem hertzen ſeyn koͤnne. Bleibet
alſo dem glauben nicht allein die ehre/ daß er allein die gnade und ſeligkeit
annehme/ ſondern daß die liebe erſt auff denſelben folge/ und ſeine frucht ſeye.
Aus dieſem wird geliebter bruder meine meinung gantz deutlich ſehen/ und
hoffentlich deroſelben grund erkennen/ von mir aber in liebe auffnehmen/ da
ich nicht einerley gedancken mit demſelben haben koͤnnen/ daß die meinige of-
fenhertzig darſtelle. Der HErr aber gebe immer mehr und mehr ſein liecht
in unſre ſeelen/ in allen ſtuͤcken ſeine wahrheit alſo zuerkennen/ wie es uns zu
ſeiner verherrlichung/ eigener und anderer erbauung noͤthig iſt. 1691.

SECTIO IX.
Von dem verſtande der ſpruͤche 1. Tim. 2/ 9. 1. Pet.
3/ 3. betreffend Chriſtlicher weiber pflicht in dero
kleidern und ſchmuck.

WEil ein groſſes zu dem verſtand einiger ſtellen der ſchrifft thun kan/
wo man erſt die materie/ davon etwa dieſelbige handlen/ aus der ana-
logie
anderer orte/ ſonderlich der allgemeinſten principiorum des
Chriſtlichen ſo glaubens als lebens/ betrachtet/ ſo werden auch hier unter-
ſchiedliche grund-regeln zu legen ſeyn.

1. Unſer gantzes Chriſtenthum beſtehet hauptſaͤchlich in dem innerlichen/ und
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[25/0041] SECTIO VIII. grunde hat. Daher mag goͤttliches weſen unſerm verſtand nach allen ſei- nen eigenſchafften/ nach denen es an ſich das hoͤchſte gut iſt/ vorgeſtellet wer- den/ wie es will/ ſo wird doch als lang der menſch wegen ſeiner ſuͤnden aus der anklage ſeines gewiſſens daſſelbe alſo anſihet/ daß es ihn verdammen wolle/ unmuͤglich eine liebe gegen daſſelbe erwecket werden/ ſondern allezeit vielmehr der haß bleiben. Das macht/ wir lieben in unſer verderbnuͤß nicht dasjenige/ was und ſofern es an ſich ſelbs/ ſondern was uns vor unſre per- ſon/ gut iſt oder gehalten wird. Daher ehe der menſch GOtt lernet erken- nen/ daß er ihm gnaͤdig ſeye und ſeine ſuͤnde vergeben wolle/ ſo zudem glauben gehoͤret/ iſt ihm unmoͤglich/ das jenige nur etlicher maſſen zu lieben/ was er anſihet/ als zwahr an ſich ſelbs/ nicht aber ihm/ gut: ja alles was in GOtt herrlich iſt/ ſchrecket ihn/ weil nemlich alles zu ſeiner ſtraff mit wircken ſolle/ ſo gar Gottes guͤte und barmhertzigkeit erwecket bey ihm keine liebe/ ſondern verdreuſt ihn/ daß Gott gegen andre ſo gnaͤdig ſeye/ und er doch deſſen nicht genieſſen ſolle. Alſo bleibet der haß allezeit und waͤchſt wol gar/ biß er erſt- lich durch den glauben ſeinen GOtt und was in demſelben iſt/ alſo erkennet und ergreiffet/ wie er nicht nur in ſich/ ſondern auch ihm ſelbs/ gut ſeye. Vor dieſem iſt aus anſehung der verdorbenen eigenen lieb nicht zu begreiffen/ wie die geringſte eigentliche liebe gegen GOtt in dem hertzen ſeyn koͤnne. Bleibet alſo dem glauben nicht allein die ehre/ daß er allein die gnade und ſeligkeit annehme/ ſondern daß die liebe erſt auff denſelben folge/ und ſeine frucht ſeye. Aus dieſem wird geliebter bruder meine meinung gantz deutlich ſehen/ und hoffentlich deroſelben grund erkennen/ von mir aber in liebe auffnehmen/ da ich nicht einerley gedancken mit demſelben haben koͤnnen/ daß die meinige of- fenhertzig darſtelle. Der HErr aber gebe immer mehr und mehr ſein liecht in unſre ſeelen/ in allen ſtuͤcken ſeine wahrheit alſo zuerkennen/ wie es uns zu ſeiner verherrlichung/ eigener und anderer erbauung noͤthig iſt. 1691. SECTIO IX. Von dem verſtande der ſpruͤche 1. Tim. 2/ 9. 1. Pet. 3/ 3. betreffend Chriſtlicher weiber pflicht in dero kleidern und ſchmuck. WEil ein groſſes zu dem verſtand einiger ſtellen der ſchrifft thun kan/ wo man erſt die materie/ davon etwa dieſelbige handlen/ aus der ana- logie anderer orte/ ſonderlich der allgemeinſten principiorum des Chriſtlichen ſo glaubens als lebens/ betrachtet/ ſo werden auch hier unter- ſchiedliche grund-regeln zu legen ſeyn. 1. Unſer gantzes Chriſtenthum beſtehet hauptſaͤchlich in dem innerlichen/ und wird D

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/41>, abgerufen am 28.03.2024.