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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
man hat insgemein nur die calotte auff/ die nach unsern landes-sitten nicht
anders gehalten wird/ als wäre man blosses haupts/ als welche von denen
die sie zu tragen pflegen/ an höfen auch vor den allerhöchsten nicht abgezo-
gen zu werden pflegen/ vor denen man sonsten blosses haupts stehet. Jch be-
kenne/ es habe noch einige difficultäten in dem Paulinischen text/ doch beru-
higet mich das obige in meinem gewissen so viel mehr/ weil ich mich versi-
chere/ daß insgesamt unser Christenthum eigentlich mit innerlichen dingen
umgehet/ und der wahre Gottesdienst in dem geiste geschehe/ daher aus der
innerlichen bewandnüß der seelen das eusserliche recht und unrecht wird. Der
HErr gebe uns in allem seinen willen zu thun/ und vollbringe ihn selbs in
uns. 1685.

SECTIO VI.
Was väter und zuchtmeister 1. Cor. 4/ 15.
seyen?

WAs den unterscheid unter vätern und zuchtmeistern 1. Cor. 4/
15. anlangt/ obwol die sache selbst leider allzuwahr ist/ daß nicht al-
le/ die den geistlichen vater-titul tragen/ auch wie sie solten väter-
lich gesinnet seyn/ und bey vielen nichts als ein blosses buchstäbliches wissen
ohne leben und treue sich findet/ kan ich doch nicht davor halten/ daß der liebe
Apostel solches orts drauff sehe/ sondern die einfältigste meinung achte ich
diese zu seyn/ daß väter eigentlich heissen/ diejenige durch dero dienst eine
gemeinde oder person zuerst wahrhafftig bekehret oder wiedergebohren wor-
den ist/ daher in solchem verstand ein Christ eigentlich nicht viele väter haben
kan/ es seye dann sache/ daß er etliche mal wiederum auffs neue wiedergeboh-
ren oder bekehrt zu werden nöthig gehabt hat. Zuchtmeister aber heissen
diejenige/ welche an den personen/ so bereits wahrhafftig bekehret sind/ fer-
ner arbeiten/ das gute in denselben zu stärcken und zuerhalten/ darinnen sie
auch ein väterliches amt verrichten/ (massen denn väter nicht nur ihre kinder
zeugen/ sondern sie auch aufferziehen sollen) und daher auch ein väterlich
hertz haben müssen/ ob sie wol solche person nicht erst gezeuget haben. Also
hat ein Christ mehrere zuchtmeister/ nemlich alle diejenige/ welche an seinem
mehrern geistlichen wachsthum stätig arbeiten. Habe solches freundlich er-
innern wollen. Was das in meinen schooß geschüttete Christliche anliegen/
so zwahr wol allen Christen/ die sich selbs kennen/ gemein seyn wird/ anlanget/
versichre ich/ daß ich vor GOtt auch desselben also gedencken werde/ daß der
HErr das in ihm angefangene gute werck ferner kräfftig fortsetze auff den tag

JEsu

Das erſte Capitel.
man hat insgemein nur die calotte auff/ die nach unſern landes-ſitten nicht
anders gehalten wird/ als waͤre man bloſſes haupts/ als welche von denen
die ſie zu tragen pflegen/ an hoͤfen auch vor den allerhoͤchſten nicht abgezo-
gen zu werden pflegen/ vor denen man ſonſten bloſſes haupts ſtehet. Jch be-
kenne/ es habe noch einige difficultaͤten in dem Pauliniſchen text/ doch beru-
higet mich das obige in meinem gewiſſen ſo viel mehr/ weil ich mich verſi-
chere/ daß insgeſamt unſer Chriſtenthum eigentlich mit innerlichen dingen
umgehet/ und der wahre Gottesdienſt in dem geiſte geſchehe/ daher aus der
innerlichen bewandnuͤß der ſeelen das euſſerliche recht und unrecht wird. Der
HErr gebe uns in allem ſeinen willen zu thun/ und vollbringe ihn ſelbs in
uns. 1685.

SECTIO VI.
Was vaͤter und zuchtmeiſter 1. Cor. 4/ 15.
ſeyen?

WAs den unterſcheid unter vaͤtern und zuchtmeiſtern 1. Cor. 4/
15. anlangt/ obwol die ſache ſelbſt leider allzuwahr iſt/ daß nicht al-
le/ die den geiſtlichen vater-titul tragen/ auch wie ſie ſolten vaͤter-
lich geſinnet ſeyn/ und bey vielen nichts als ein bloſſes buchſtaͤbliches wiſſen
ohne leben und treue ſich findet/ kan ich doch nicht davor halten/ daß der liebe
Apoſtel ſolches orts drauff ſehe/ ſondern die einfaͤltigſte meinung achte ich
dieſe zu ſeyn/ daß vaͤter eigentlich heiſſen/ diejenige durch dero dienſt eine
gemeinde oder perſon zuerſt wahrhafftig bekehret oder wiedergebohren wor-
den iſt/ daher in ſolchem verſtand ein Chriſt eigentlich nicht viele vaͤter haben
kan/ es ſeye dann ſache/ daß er etliche mal wiederum auffs neue wiedergeboh-
ren oder bekehrt zu werden noͤthig gehabt hat. Zuchtmeiſter aber heiſſen
diejenige/ welche an den perſonen/ ſo bereits wahrhafftig bekehret ſind/ fer-
ner arbeiten/ das gute in denſelben zu ſtaͤrcken und zuerhalten/ darinnen ſie
auch ein vaͤterliches amt verrichten/ (maſſen denn vaͤter nicht nur ihre kinder
zeugen/ ſondern ſie auch aufferziehen ſollen) und daher auch ein vaͤterlich
hertz haben muͤſſen/ ob ſie wol ſolche perſon nicht erſt gezeuget haben. Alſo
hat ein Chriſt mehrere zuchtmeiſter/ nemlich alle diejenige/ welche an ſeinem
mehrern geiſtlichen wachsthum ſtaͤtig arbeiten. Habe ſolches freundlich er-
innern wollen. Was das in meinen ſchooß geſchuͤttete Chriſtliche anliegen/
ſo zwahr wol allen Chriſten/ die ſich ſelbs kennen/ gemein ſeyn wird/ anlanget/
verſichre ich/ daß ich vor GOtt auch deſſelben alſo gedencken werde/ daß der
HErr das in ihm angefangene gute werck ferner kraͤfftig fortſetze auff den tag

JEſu
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[16/0032] Das erſte Capitel. man hat insgemein nur die calotte auff/ die nach unſern landes-ſitten nicht anders gehalten wird/ als waͤre man bloſſes haupts/ als welche von denen die ſie zu tragen pflegen/ an hoͤfen auch vor den allerhoͤchſten nicht abgezo- gen zu werden pflegen/ vor denen man ſonſten bloſſes haupts ſtehet. Jch be- kenne/ es habe noch einige difficultaͤten in dem Pauliniſchen text/ doch beru- higet mich das obige in meinem gewiſſen ſo viel mehr/ weil ich mich verſi- chere/ daß insgeſamt unſer Chriſtenthum eigentlich mit innerlichen dingen umgehet/ und der wahre Gottesdienſt in dem geiſte geſchehe/ daher aus der innerlichen bewandnuͤß der ſeelen das euſſerliche recht und unrecht wird. Der HErr gebe uns in allem ſeinen willen zu thun/ und vollbringe ihn ſelbs in uns. 1685. SECTIO VI. Was vaͤter und zuchtmeiſter 1. Cor. 4/ 15. ſeyen? WAs den unterſcheid unter vaͤtern und zuchtmeiſtern 1. Cor. 4/ 15. anlangt/ obwol die ſache ſelbſt leider allzuwahr iſt/ daß nicht al- le/ die den geiſtlichen vater-titul tragen/ auch wie ſie ſolten vaͤter- lich geſinnet ſeyn/ und bey vielen nichts als ein bloſſes buchſtaͤbliches wiſſen ohne leben und treue ſich findet/ kan ich doch nicht davor halten/ daß der liebe Apoſtel ſolches orts drauff ſehe/ ſondern die einfaͤltigſte meinung achte ich dieſe zu ſeyn/ daß vaͤter eigentlich heiſſen/ diejenige durch dero dienſt eine gemeinde oder perſon zuerſt wahrhafftig bekehret oder wiedergebohren wor- den iſt/ daher in ſolchem verſtand ein Chriſt eigentlich nicht viele vaͤter haben kan/ es ſeye dann ſache/ daß er etliche mal wiederum auffs neue wiedergeboh- ren oder bekehrt zu werden noͤthig gehabt hat. Zuchtmeiſter aber heiſſen diejenige/ welche an den perſonen/ ſo bereits wahrhafftig bekehret ſind/ fer- ner arbeiten/ das gute in denſelben zu ſtaͤrcken und zuerhalten/ darinnen ſie auch ein vaͤterliches amt verrichten/ (maſſen denn vaͤter nicht nur ihre kinder zeugen/ ſondern ſie auch aufferziehen ſollen) und daher auch ein vaͤterlich hertz haben muͤſſen/ ob ſie wol ſolche perſon nicht erſt gezeuget haben. Alſo hat ein Chriſt mehrere zuchtmeiſter/ nemlich alle diejenige/ welche an ſeinem mehrern geiſtlichen wachsthum ſtaͤtig arbeiten. Habe ſolches freundlich er- innern wollen. Was das in meinen ſchooß geſchuͤttete Chriſtliche anliegen/ ſo zwahr wol allen Chriſten/ die ſich ſelbs kennen/ gemein ſeyn wird/ anlanget/ verſichre ich/ daß ich vor GOtt auch deſſelben alſo gedencken werde/ daß der HErr das in ihm angefangene gute werck ferner kraͤfftig fortſetze auff den tag JEſu

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/32>, abgerufen am 19.04.2024.