Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



mir den ganzen Umfang der Fürsicht unendlich würdiger und
grösser macht. Jch erwarte also getrost noch eine entfernte
Folge von Zeiten, welche die volle Ernte von der gegenwär-
tigen Saat seyn, und, vermittelst einer allgemeinen richtigen
Vergeltung, die Weisheit rechtfertigen wird, welche das
Ganze verwaltet.

Die Anlage scheinet ganz offenbar dazu in meiner Natur
gemacht zu seyn. Jch spüre Fähigkeiten in mir, die eines
Wachsthums ins Unendliche fähig sind, und die auch ausser
der Verbindung mit diesen Körpern sich nicht weniger äussern
können. Sollte mein Vermögen, das Wahre und Gute zu
erkennen und zu lieben, alsdenn aufhören, wann es entweder
erst durch die Uebung geschickt wird, so viel geschwinder zu
einer grössern Vollkommenheit hinan zu steigen, oder auch,
wenn es kaum angefangen hat, sich auszuwickeln und in Be-
wegung zu setzen? Das wäre zu viel vergebliches in den Ver-
anstaltungen einer unendlichen Weisheit.

Bin ich aber nur versichert, daß der grosse Urheber aller
Dinge, welcher allemal nach den strengesten Regeln und
nach den edelsten Absichten handelt, wol nicht selbst willens
seyn kann, mich zu zernichten, so, glaube ich, darf ich keine
andere Zerstörung fürchten. Meine eigene innerliche Be-
schaffenheit setzet mich dafür in Sicherheit. Wenn ich auf
mich Acht gebe, so finde ich, daß ich in dem allergenauesten
Verstande Eines bin. Diese Glieder, die meine Werk-
zeuge ausmachen, das bin ich nicht; sie sind, meiner deut-
lichen Empfindung nach, von mir unterschieden. Jch bin
eigentlich das, was in mir Vorstellungen hat, urtheilet, sich
entschliesset; und dieses ich ist ganz gewiß nicht etwas in vie-
len, oder in verschiedenen ausser einander befindlichen Theilen
bestehendes. Jch, der ich den Eindruck von dem Licht fühle,
ich bin eben derselbe, der zu gleicher Zeit die Wärme von
der Luft, den Geruch von der Blume, den Schall des mit

mir



mir den ganzen Umfang der Fuͤrſicht unendlich wuͤrdiger und
groͤſſer macht. Jch erwarte alſo getroſt noch eine entfernte
Folge von Zeiten, welche die volle Ernte von der gegenwaͤr-
tigen Saat ſeyn, und, vermittelſt einer allgemeinen richtigen
Vergeltung, die Weisheit rechtfertigen wird, welche das
Ganze verwaltet.

Die Anlage ſcheinet ganz offenbar dazu in meiner Natur
gemacht zu ſeyn. Jch ſpuͤre Faͤhigkeiten in mir, die eines
Wachsthums ins Unendliche faͤhig ſind, und die auch auſſer
der Verbindung mit dieſen Koͤrpern ſich nicht weniger aͤuſſern
koͤnnen. Sollte mein Vermoͤgen, das Wahre und Gute zu
erkennen und zu lieben, alsdenn aufhoͤren, wann es entweder
erſt durch die Uebung geſchickt wird, ſo viel geſchwinder zu
einer groͤſſern Vollkommenheit hinan zu ſteigen, oder auch,
wenn es kaum angefangen hat, ſich auszuwickeln und in Be-
wegung zu ſetzen? Das waͤre zu viel vergebliches in den Ver-
anſtaltungen einer unendlichen Weisheit.

Bin ich aber nur verſichert, daß der groſſe Urheber aller
Dinge, welcher allemal nach den ſtrengeſten Regeln und
nach den edelſten Abſichten handelt, wol nicht ſelbſt willens
ſeyn kann, mich zu zernichten, ſo, glaube ich, darf ich keine
andere Zerſtoͤrung fuͤrchten. Meine eigene innerliche Be-
ſchaffenheit ſetzet mich dafuͤr in Sicherheit. Wenn ich auf
mich Acht gebe, ſo finde ich, daß ich in dem allergenaueſten
Verſtande Eines bin. Dieſe Glieder, die meine Werk-
zeuge ausmachen, das bin ich nicht; ſie ſind, meiner deut-
lichen Empfindung nach, von mir unterſchieden. Jch bin
eigentlich das, was in mir Vorſtellungen hat, urtheilet, ſich
entſchlieſſet; und dieſes ich iſt ganz gewiß nicht etwas in vie-
len, oder in verſchiedenen auſſer einander befindlichen Theilen
beſtehendes. Jch, der ich den Eindruck von dem Licht fuͤhle,
ich bin eben derſelbe, der zu gleicher Zeit die Waͤrme von
der Luft, den Geruch von der Blume, den Schall des mit

mir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="22"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
mir den ganzen Umfang der Fu&#x0364;r&#x017F;icht unendlich wu&#x0364;rdiger und<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er macht. Jch erwarte al&#x017F;o getro&#x017F;t noch eine entfernte<lb/>
Folge von Zeiten, welche die volle Ernte von der gegenwa&#x0364;r-<lb/>
tigen Saat &#x017F;eyn, und, vermittel&#x017F;t einer allgemeinen richtigen<lb/>
Vergeltung, die Weisheit rechtfertigen wird, welche das<lb/>
Ganze verwaltet.</p><lb/>
        <p>Die Anlage &#x017F;cheinet ganz offenbar dazu in meiner Natur<lb/>
gemacht zu &#x017F;eyn. Jch &#x017F;pu&#x0364;re Fa&#x0364;higkeiten in mir, die eines<lb/>
Wachsthums ins Unendliche fa&#x0364;hig &#x017F;ind, und die auch au&#x017F;&#x017F;er<lb/>
der Verbindung mit die&#x017F;en Ko&#x0364;rpern &#x017F;ich nicht weniger a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
ko&#x0364;nnen. Sollte mein Vermo&#x0364;gen, das Wahre und Gute zu<lb/>
erkennen und zu lieben, alsdenn aufho&#x0364;ren, wann es entweder<lb/>
er&#x017F;t durch die Uebung ge&#x017F;chickt wird, &#x017F;o viel ge&#x017F;chwinder zu<lb/>
einer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Vollkommenheit hinan zu &#x017F;teigen, oder auch,<lb/>
wenn es kaum angefangen hat, &#x017F;ich auszuwickeln und in Be-<lb/>
wegung zu &#x017F;etzen? Das wa&#x0364;re zu viel vergebliches in den Ver-<lb/>
an&#x017F;taltungen einer unendlichen Weisheit.</p><lb/>
        <p>Bin ich aber nur ver&#x017F;ichert, daß der gro&#x017F;&#x017F;e Urheber aller<lb/>
Dinge, welcher allemal nach den &#x017F;trenge&#x017F;ten Regeln und<lb/>
nach den edel&#x017F;ten Ab&#x017F;ichten handelt, wol nicht &#x017F;elb&#x017F;t willens<lb/>
&#x017F;eyn kann, mich zu zernichten, &#x017F;o, glaube ich, darf ich keine<lb/>
andere Zer&#x017F;to&#x0364;rung fu&#x0364;rchten. Meine eigene innerliche Be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit &#x017F;etzet mich dafu&#x0364;r in Sicherheit. Wenn ich auf<lb/>
mich Acht gebe, &#x017F;o finde ich, daß ich in dem allergenaue&#x017F;ten<lb/>
Ver&#x017F;tande <hi rendition="#fr">Eines</hi> bin. Die&#x017F;e Glieder, die meine Werk-<lb/>
zeuge ausmachen, das bin <hi rendition="#fr">ich</hi> nicht; &#x017F;ie &#x017F;ind, meiner deut-<lb/>
lichen Empfindung nach, von <hi rendition="#fr">mir</hi> unter&#x017F;chieden. <hi rendition="#fr">Jch</hi> bin<lb/>
eigentlich das, was in mir Vor&#x017F;tellungen hat, urtheilet, &#x017F;ich<lb/>
ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;et; und die&#x017F;es <hi rendition="#fr">ich</hi> i&#x017F;t ganz gewiß nicht etwas in vie-<lb/>
len, oder in ver&#x017F;chiedenen au&#x017F;&#x017F;er einander befindlichen Theilen<lb/>
be&#x017F;tehendes. <hi rendition="#fr">Jch,</hi> der ich den Eindruck von dem Licht fu&#x0364;hle,<lb/>
ich bin eben der&#x017F;elbe, der zu gleicher Zeit die Wa&#x0364;rme von<lb/>
der Luft, den Geruch von der Blume, den Schall des mit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0032] mir den ganzen Umfang der Fuͤrſicht unendlich wuͤrdiger und groͤſſer macht. Jch erwarte alſo getroſt noch eine entfernte Folge von Zeiten, welche die volle Ernte von der gegenwaͤr- tigen Saat ſeyn, und, vermittelſt einer allgemeinen richtigen Vergeltung, die Weisheit rechtfertigen wird, welche das Ganze verwaltet. Die Anlage ſcheinet ganz offenbar dazu in meiner Natur gemacht zu ſeyn. Jch ſpuͤre Faͤhigkeiten in mir, die eines Wachsthums ins Unendliche faͤhig ſind, und die auch auſſer der Verbindung mit dieſen Koͤrpern ſich nicht weniger aͤuſſern koͤnnen. Sollte mein Vermoͤgen, das Wahre und Gute zu erkennen und zu lieben, alsdenn aufhoͤren, wann es entweder erſt durch die Uebung geſchickt wird, ſo viel geſchwinder zu einer groͤſſern Vollkommenheit hinan zu ſteigen, oder auch, wenn es kaum angefangen hat, ſich auszuwickeln und in Be- wegung zu ſetzen? Das waͤre zu viel vergebliches in den Ver- anſtaltungen einer unendlichen Weisheit. Bin ich aber nur verſichert, daß der groſſe Urheber aller Dinge, welcher allemal nach den ſtrengeſten Regeln und nach den edelſten Abſichten handelt, wol nicht ſelbſt willens ſeyn kann, mich zu zernichten, ſo, glaube ich, darf ich keine andere Zerſtoͤrung fuͤrchten. Meine eigene innerliche Be- ſchaffenheit ſetzet mich dafuͤr in Sicherheit. Wenn ich auf mich Acht gebe, ſo finde ich, daß ich in dem allergenaueſten Verſtande Eines bin. Dieſe Glieder, die meine Werk- zeuge ausmachen, das bin ich nicht; ſie ſind, meiner deut- lichen Empfindung nach, von mir unterſchieden. Jch bin eigentlich das, was in mir Vorſtellungen hat, urtheilet, ſich entſchlieſſet; und dieſes ich iſt ganz gewiß nicht etwas in vie- len, oder in verſchiedenen auſſer einander befindlichen Theilen beſtehendes. Jch, der ich den Eindruck von dem Licht fuͤhle, ich bin eben derſelbe, der zu gleicher Zeit die Waͤrme von der Luft, den Geruch von der Blume, den Schall des mit mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/32
Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/32>, abgerufen am 29.03.2024.