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Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396.

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So, wenn er in ungeheurem Frevel die Vestalin sich vermählt:

"Und zweifelnd, ob das neue Glück mir werde,
Erfand ich nur den Quell der neuen Qual -
Jch sandte sie zurück zu ihrem Herde:
Sie hatte wie die Anderen ein Mal."
[George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 34.]

So, wenn er dem schlafenden Liebespaar Gift einträufelt:

"Jch will mir jener Stunden Lauf erzählen.
Die Kinder unterm Feigenbaum entschlafen
Nach unbedachtem seligem Vermählen.
Mich kümmerten der kalten Väter Strafen.
Wohl! Da ich Euch den starken Tropfen gönnte
Aus meinem teuren Ringe, der mir diene,
Wenn es bei einer Dämmerung mir schiene,
Daß ich die Sterne nicht mehr schauen könnte.
Begnadete! Da ich Euch gütig nahte
Und kein Erwachen Euch ein Glück ermattet,
Das nur der Traum so herrlich Euch gestattet,
Als ich es jetzt aus Euren Zügen rathe."
[George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 35.]

Dennoch ist hier und an ähnlichen Stellen des Werkes keineswegs die Lust am Leid anderer Menschen das poetische Motiv; vielmehr nur eine ästhetische Selbstherrlichkeit, die einfach jenseits der Frage nach Lust und Leid steht, wie man bei dem Pflücken einer Blume sich nicht kümmert, daß man damit fruchtbares organisches Leben zerstört. Denn auch sich selbst gegenüber fragt Algabal nicht nach Leiden; auch sich selbst bereitet er sie, wenn der harmonische Bau und der innere Jdealismus seiner Lebensgestaltung es so mit sich bringt. Jch habe Das so ausführlich hervorgehoben, weil es in extremer - man könnte sagen: excentrischer - Art jenes Objektiv-Werden des Kunstgefühles zeigt, jene Lösung von allen subjektiv-natürlichen Gefühlsreflexen, um der Kunst willen.

Mit dieser Wendung ist die Herrschaft des Poeten über die Welt vollendet. Wie die Sittlichkeit ihre höchste und beherrschende Form da gewinnt, wo der Mensch sich selbst überwindet, Das heißt, sein Niederes und Jnstinktives dem Dienst praktischer Jdeale unterwirft, und solche Herrschaft über sich selbst ihn triumphirend über die Gewalt aller Dinge hebt, so ist der Künstler absoluter Herrscher geworden, wenn er den Kreis, über den sein Wille zur Kunst herrscht, durch sein Eigenstes, durch das Subjektive und Jmpulsive des eigenen Jch, geschlossen hat. Nicht nur aus jenem Verflochtensein mit der Welt, das in den unmittelbaren Gefühlen liegt, ist er gerettet, sondern seine Kunst ist nun nicht mehr bloßer Erfolg, bloßes Ausströmen einer inneren, starken, ihrem Ursprunge nach aber kunstfremden Bewegung, sondern sie ist die erste und souveraine Macht geworden, die aus den Jnhalten der Wirklichkeit, das

So, wenn er in ungeheurem Frevel die Vestalin sich vermählt:

„Und zweifelnd, ob das neue Glück mir werde,
Erfand ich nur den Quell der neuen Qual –
Jch sandte sie zurück zu ihrem Herde:
Sie hatte wie die Anderen ein Mal.“
[George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 34.]

So, wenn er dem schlafenden Liebespaar Gift einträufelt:

„Jch will mir jener Stunden Lauf erzählen.
Die Kinder unterm Feigenbaum entschlafen
Nach unbedachtem seligem Vermählen.
Mich kümmerten der kalten Väter Strafen.
Wohl! Da ich Euch den starken Tropfen gönnte
Aus meinem teuren Ringe, der mir diene,
Wenn es bei einer Dämmerung mir schiene,
Daß ich die Sterne nicht mehr schauen könnte.
Begnadete! Da ich Euch gütig nahte
Und kein Erwachen Euch ein Glück ermattet,
Das nur der Traum so herrlich Euch gestattet,
Als ich es jetzt aus Euren Zügen rathe.“
[George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 35.]

Dennoch ist hier und an ähnlichen Stellen des Werkes keineswegs die Lust am Leid anderer Menschen das poetische Motiv; vielmehr nur eine ästhetische Selbstherrlichkeit, die einfach jenseits der Frage nach Lust und Leid steht, wie man bei dem Pflücken einer Blume sich nicht kümmert, daß man damit fruchtbares organisches Leben zerstört. Denn auch sich selbst gegenüber fragt Algabal nicht nach Leiden; auch sich selbst bereitet er sie, wenn der harmonische Bau und der innere Jdealismus seiner Lebensgestaltung es so mit sich bringt. Jch habe Das so ausführlich hervorgehoben, weil es in extremer – man könnte sagen: excentrischer – Art jenes Objektiv-Werden des Kunstgefühles zeigt, jene Lösung von allen subjektiv-natürlichen Gefühlsreflexen, um der Kunst willen.

Mit dieser Wendung ist die Herrschaft des Poeten über die Welt vollendet. Wie die Sittlichkeit ihre höchste und beherrschende Form da gewinnt, wo der Mensch sich selbst überwindet, Das heißt, sein Niederes und Jnstinktives dem Dienst praktischer Jdeale unterwirft, und solche Herrschaft über sich selbst ihn triumphirend über die Gewalt aller Dinge hebt, so ist der Künstler absoluter Herrscher geworden, wenn er den Kreis, über den sein Wille zur Kunst herrscht, durch sein Eigenstes, durch das Subjektive und Jmpulsive des eigenen Jch, geschlossen hat. Nicht nur aus jenem Verflochtensein mit der Welt, das in den unmittelbaren Gefühlen liegt, ist er gerettet, sondern seine Kunst ist nun nicht mehr bloßer Erfolg, bloßes Ausströmen einer inneren, starken, ihrem Ursprunge nach aber kunstfremden Bewegung, sondern sie ist die erste und souveraine Macht geworden, die aus den Jnhalten der Wirklichkeit, das

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[390/0006] So, wenn er in ungeheurem Frevel die Vestalin sich vermählt: „Und zweifelnd, ob das neue Glück mir werde, Erfand ich nur den Quell der neuen Qual – Jch sandte sie zurück zu ihrem Herde: Sie hatte wie die Anderen ein Mal.“ George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 34. So, wenn er dem schlafenden Liebespaar Gift einträufelt: „Jch will mir jener Stunden Lauf erzählen. Die Kinder unterm Feigenbaum entschlafen Nach unbedachtem seligem Vermählen. Mich kümmerten der kalten Väter Strafen. Wohl! Da ich Euch den starken Tropfen gönnte Aus meinem teuren Ringe, der mir diene, Wenn es bei einer Dämmerung mir schiene, Daß ich die Sterne nicht mehr schauen könnte. Begnadete! Da ich Euch gütig nahte Und kein Erwachen Euch ein Glück ermattet, Das nur der Traum so herrlich Euch gestattet, Als ich es jetzt aus Euren Zügen rathe.“ George, Stefan: Algabal. Paris u. a., 1892, S. 35. Dennoch ist hier und an ähnlichen Stellen des Werkes keineswegs die Lust am Leid anderer Menschen das poetische Motiv; vielmehr nur eine ästhetische Selbstherrlichkeit, die einfach jenseits der Frage nach Lust und Leid steht, wie man bei dem Pflücken einer Blume sich nicht kümmert, daß man damit fruchtbares organisches Leben zerstört. Denn auch sich selbst gegenüber fragt Algabal nicht nach Leiden; auch sich selbst bereitet er sie, wenn der harmonische Bau und der innere Jdealismus seiner Lebensgestaltung es so mit sich bringt. Jch habe Das so ausführlich hervorgehoben, weil es in extremer – man könnte sagen: excentrischer – Art jenes Objektiv-Werden des Kunstgefühles zeigt, jene Lösung von allen subjektiv-natürlichen Gefühlsreflexen, um der Kunst willen. Mit dieser Wendung ist die Herrschaft des Poeten über die Welt vollendet. Wie die Sittlichkeit ihre höchste und beherrschende Form da gewinnt, wo der Mensch sich selbst überwindet, Das heißt, sein Niederes und Jnstinktives dem Dienst praktischer Jdeale unterwirft, und solche Herrschaft über sich selbst ihn triumphirend über die Gewalt aller Dinge hebt, so ist der Künstler absoluter Herrscher geworden, wenn er den Kreis, über den sein Wille zur Kunst herrscht, durch sein Eigenstes, durch das Subjektive und Jmpulsive des eigenen Jch, geschlossen hat. Nicht nur aus jenem Verflochtensein mit der Welt, das in den unmittelbaren Gefühlen liegt, ist er gerettet, sondern seine Kunst ist nun nicht mehr bloßer Erfolg, bloßes Ausströmen einer inneren, starken, ihrem Ursprunge nach aber kunstfremden Bewegung, sondern sie ist die erste und souveraine Macht geworden, die aus den Jnhalten der Wirklichkeit, das

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Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-12-08T11:03:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Stefan George. Eine kunstphilosophische Betrachtung. In: Die Zukunft, 26. Februar, Bd. 22 (1898), S. 386–396, hier S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_george_1898/6>, abgerufen am 28.03.2024.