Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens ver-
stehen lassen, der andere umgekehrt Wesen und Gestaltung des letzteren
aus der Wirksamkeit des Geldes.

So ist also das Geld hier nur Mittel, Material oder Beispiel für
die Darstellung der Zusammenhänge, die zwischen den äusserlichsten,
realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen
des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Ge-
schichte bestehen. Keine Zeile dieser Untersuchungen ist national-
ökonomisch gemeint. Sondern der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur
der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richt-
linie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu
ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer
solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des prak-
tischen Daseins, dass er ihre Erlösung aus der Isolierung und Un-
geistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur postu-
liert
. Hier aber soll sie an einem Beispiel vollbracht werden,
an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit
rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen die Indifferenz
selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst,
sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier
also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äusserlichsten und Wesen-
losen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äusserste spannt,
muss er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich
nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und ge-
tragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungs-
formen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt
also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens
und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzuthuen-
den Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines
Sinnes zu finden. -- Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der
Philosophie ist, dass sie sich jedesmal ein einzelnes, eng umschriebenes
Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung --
und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzu-
fügung grosser Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk,
gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden lässt. Dagegen
pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des
Daseins ist, der Grösse dieses gegenüber sich zu verengen und weniger
zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht,

aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens ver-
stehen lassen, der andere umgekehrt Wesen und Gestaltung des letzteren
aus der Wirksamkeit des Geldes.

So ist also das Geld hier nur Mittel, Material oder Beispiel für
die Darstellung der Zusammenhänge, die zwischen den äuſserlichsten,
realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen
des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Ge-
schichte bestehen. Keine Zeile dieser Untersuchungen ist national-
ökonomisch gemeint. Sondern der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur
der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richt-
linie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu
ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer
solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des prak-
tischen Daseins, daſs er ihre Erlösung aus der Isolierung und Un-
geistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur postu-
liert
. Hier aber soll sie an einem Beispiel vollbracht werden,
an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit
rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen die Indifferenz
selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst,
sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier
also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äuſserlichsten und Wesen-
losen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äuſserste spannt,
muſs er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich
nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und ge-
tragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungs-
formen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt
also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens
und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzuthuen-
den Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines
Sinnes zu finden. — Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der
Philosophie ist, daſs sie sich jedesmal ein einzelnes, eng umschriebenes
Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung —
und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzu-
fügung groſser Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk,
gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden läſst. Dagegen
pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des
Daseins ist, der Gröſse dieses gegenüber sich zu verengen und weniger
zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht,

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0017" n="IX"/>
aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens ver-<lb/>
stehen lassen, der andere umgekehrt Wesen und Gestaltung des letzteren<lb/>
aus der Wirksamkeit des Geldes.</p><lb/>
        <p>So ist also das Geld hier nur Mittel, Material oder Beispiel für<lb/>
die Darstellung der Zusammenhänge, die zwischen den äu&#x017F;serlichsten,<lb/>
realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen<lb/>
des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Ge-<lb/>
schichte bestehen. Keine Zeile dieser Untersuchungen ist national-<lb/>
ökonomisch gemeint. Sondern der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur<lb/>
der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richt-<lb/>
linie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu<lb/>
ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer<lb/>
solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des prak-<lb/>
tischen Daseins, da&#x017F;s er ihre Erlösung aus der Isolierung und Un-<lb/>
geistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur <hi rendition="#g">postu-<lb/>
liert</hi>. Hier aber soll sie an einem Beispiel <hi rendition="#g">vollbracht</hi> werden,<lb/>
an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit<lb/>
rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen die Indifferenz<lb/>
selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst,<lb/>
sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier<lb/>
also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äu&#x017F;serlichsten und Wesen-<lb/>
losen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äu&#x017F;serste spannt,<lb/>
mu&#x017F;s er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich<lb/>
nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und ge-<lb/>
tragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungs-<lb/>
formen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt<lb/>
also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens<lb/>
und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzuthuen-<lb/>
den Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines<lb/>
Sinnes zu finden. &#x2014; Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der<lb/>
Philosophie ist, da&#x017F;s sie sich jedesmal ein einzelnes, eng umschriebenes<lb/>
Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung &#x2014;<lb/>
und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzu-<lb/>
fügung gro&#x017F;ser Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk,<lb/>
gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden lä&#x017F;st. Dagegen<lb/>
pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des<lb/>
Daseins ist, der Grö&#x017F;se dieses gegenüber sich zu verengen und weniger<lb/>
zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht,<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[IX/0017] aus den Bedingungen und Verhältnissen des allgemeinen Lebens ver- stehen lassen, der andere umgekehrt Wesen und Gestaltung des letzteren aus der Wirksamkeit des Geldes. So ist also das Geld hier nur Mittel, Material oder Beispiel für die Darstellung der Zusammenhänge, die zwischen den äuſserlichsten, realistischsten, zufälligsten Erscheinungen und den ideellsten Potenzen des Daseins, den tiefsten Strömungen des Einzellebens und der Ge- schichte bestehen. Keine Zeile dieser Untersuchungen ist national- ökonomisch gemeint. Sondern der Sinn und Zweck des Ganzen ist nur der: von der Oberfläche des wirtschaftlichen Geschehens eine Richt- linie in die letzten Werte und Bedeutsamkeiten alles Menschlichen zu ziehen. Der abstrakte philosophische Systembau hält sich in einer solchen Distanz von den Einzelerscheinungen, insbesondere des prak- tischen Daseins, daſs er ihre Erlösung aus der Isolierung und Un- geistigkeit, ja Widrigkeit des ersten Anblicks eigentlich nur postu- liert. Hier aber soll sie an einem Beispiel vollbracht werden, an einem solchen, das, wie das Geld, nicht nur die Gleichgültigkeit rein wirtschaftlicher Technik zeigt, sondern sozusagen die Indifferenz selbst ist, insofern seine ganze Zweckbedeutung nicht in ihm selbst, sondern nur in seiner Umsetzung in andere Werte liegt. Indem hier also der Gegensatz zwischen dem scheinbar Äuſserlichsten und Wesen- losen und der inneren Substanz des Lebens sich aufs äuſserste spannt, muſs er sich aufs wirkungsvollste versöhnen, wenn diese Einzelheit sich nicht nur in den ganzen Umfang der geistigen Welt, tragend und ge- tragen, verwebt, sondern sich als Symbol der wesentlichen Bewegungs- formen derselben offenbart. Die Einheit dieser Untersuchungen liegt also nicht in einer Behauptung über einen singulären Inhalt des Wissens und deren allmählich erwachsendem Beweise, sondern in der darzuthuen- den Möglichkeit, an jeder Einzelheit des Lebens die Ganzheit seines Sinnes zu finden. — Der ungeheure Vorteil der Kunst gegenüber der Philosophie ist, daſs sie sich jedesmal ein einzelnes, eng umschriebenes Problem setzt: einen Menschen, eine Landschaft, eine Stimmung — und nun jede Erweiterung desselben zum Allgemeinen, jede Hinzu- fügung groſser Züge des Weltfühlens, wie eine Bereicherung, Geschenk, gleichsam wie eine unverdiente Beglückung empfinden läſst. Dagegen pflegt die Philosophie, deren Problem sogleich die Gesamtheit des Daseins ist, der Gröſse dieses gegenüber sich zu verengen und weniger zu geben, als sie verpflichtet scheint. Hier ist nun umgekehrt versucht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/17
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. IX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/17>, abgerufen am 24.04.2024.