Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aus Sibirien.
Anblick prächtig, wenn man, aus Rußland kommend,
sich gegen die schnell und mächtig strömende Angara,
dicht unter der Stadt herabläßt, den alsdenn die zwölf
schön gebauten steinernen Kirchen beym Sonnenschein
geben. Ein Seminarium für junge Leute, die sich dem
geistlichen Stande widmen wollen, eine Volksschule, ei-
ne kleine Bibliothek und Naturaliensammlung, und ein
Theater, sind hier zur Bildung der Jugend angelegt
und alles hat sich, seit dem Jahr 1772 da Georgi seine
Nachricht von dieser Stadt aufschrieb, hier sehr verbes-
sert. Besonders trägt die Schaubühne zu einem anstän-
digen und dreisten Betragen der Jugend viel bey. "Ei-
ne Schaubühne?" höre ich Sie fragen, "in einem so
entfernten Lande?" -- Ja, ganz gewiß! -- und noch
mehr werden Sie sich wundern; wenn ich Jhnen sage,
daß die Schauspieler hiesige Eingebohrne sind, die nie
zuvor in ihrem Leben ein Theater gesehen hatten; und
doch sind ihre Vorstellungen ganz artig und die Musik
nicht unangenehm. Denn alle Regimentsbefehlshaber
in Sibirien lassen ihre Regimentsmusik keinen Tag ohne
Uebung und verschaffen ihnen aus Rußland von Zeit zu
Zeit die neuesten Musikalien.

Das vormals hier eingerichtete Blatternhaus ist
gegenwärtig eingegangen, weil in allen Städten Sibi-
riens medicinische Bediente angestellt sind, die, ein jeder
in seinem Kreise, die Einimpfung mit dem besten Er-
folg verrichten.

Was
A 4

aus Sibirien.
Anblick praͤchtig, wenn man, aus Rußland kommend,
ſich gegen die ſchnell und maͤchtig ſtroͤmende Angara,
dicht unter der Stadt herablaͤßt, den alsdenn die zwoͤlf
ſchoͤn gebauten ſteinernen Kirchen beym Sonnenſchein
geben. Ein Seminarium fuͤr junge Leute, die ſich dem
geiſtlichen Stande widmen wollen, eine Volksſchule, ei-
ne kleine Bibliothek und Naturalienſammlung, und ein
Theater, ſind hier zur Bildung der Jugend angelegt
und alles hat ſich, ſeit dem Jahr 1772 da Georgi ſeine
Nachricht von dieſer Stadt aufſchrieb, hier ſehr verbeſ-
ſert. Beſonders traͤgt die Schaubuͤhne zu einem anſtaͤn-
digen und dreiſten Betragen der Jugend viel bey. „Ei-
ne Schaubuͤhne?“ hoͤre ich Sie fragen, „in einem ſo
entfernten Lande?“ — Ja, ganz gewiß! — und noch
mehr werden Sie ſich wundern; wenn ich Jhnen ſage,
daß die Schauſpieler hieſige Eingebohrne ſind, die nie
zuvor in ihrem Leben ein Theater geſehen hatten; und
doch ſind ihre Vorſtellungen ganz artig und die Muſik
nicht unangenehm. Denn alle Regimentsbefehlshaber
in Sibirien laſſen ihre Regimentsmuſik keinen Tag ohne
Uebung und verſchaffen ihnen aus Rußland von Zeit zu
Zeit die neueſten Muſikalien.

Das vormals hier eingerichtete Blatternhaus iſt
gegenwaͤrtig eingegangen, weil in allen Staͤdten Sibi-
riens mediciniſche Bediente angeſtellt ſind, die, ein jeder
in ſeinem Kreiſe, die Einimpfung mit dem beſten Er-
folg verrichten.

Was
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0015" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">aus Sibirien.</hi></fw><lb/>
Anblick pra&#x0364;chtig, wenn man, aus Rußland kommend,<lb/>
&#x017F;ich gegen die &#x017F;chnell und ma&#x0364;chtig &#x017F;tro&#x0364;mende Angara,<lb/>
dicht unter der Stadt herabla&#x0364;ßt, den alsdenn die zwo&#x0364;lf<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n gebauten &#x017F;teinernen Kirchen beym Sonnen&#x017F;chein<lb/>
geben. Ein Seminarium fu&#x0364;r junge Leute, die &#x017F;ich dem<lb/>
gei&#x017F;tlichen Stande widmen wollen, eine Volks&#x017F;chule, ei-<lb/>
ne kleine Bibliothek und Naturalien&#x017F;ammlung, und ein<lb/>
Theater, &#x017F;ind hier zur Bildung der Jugend angelegt<lb/>
und alles hat &#x017F;ich, &#x017F;eit dem Jahr 1772 da <hi rendition="#fr">Georgi</hi> &#x017F;eine<lb/>
Nachricht von die&#x017F;er Stadt auf&#x017F;chrieb, hier &#x017F;ehr verbe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ert. Be&#x017F;onders tra&#x0364;gt die Schaubu&#x0364;hne zu einem an&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digen und drei&#x017F;ten Betragen der Jugend viel bey. &#x201E;Ei-<lb/>
ne Schaubu&#x0364;hne?&#x201C; ho&#x0364;re ich Sie fragen, &#x201E;in einem &#x017F;o<lb/>
entfernten Lande?&#x201C; &#x2014; Ja, ganz gewiß! &#x2014; und noch<lb/>
mehr werden Sie &#x017F;ich wundern; wenn ich Jhnen &#x017F;age,<lb/>
daß die Schau&#x017F;pieler hie&#x017F;ige Eingebohrne &#x017F;ind, die nie<lb/>
zuvor in ihrem Leben ein Theater ge&#x017F;ehen hatten; und<lb/>
doch &#x017F;ind ihre Vor&#x017F;tellungen ganz artig und die Mu&#x017F;ik<lb/>
nicht unangenehm. Denn alle Regimentsbefehlshaber<lb/>
in Sibirien la&#x017F;&#x017F;en ihre Regimentsmu&#x017F;ik keinen Tag ohne<lb/>
Uebung und ver&#x017F;chaffen ihnen aus Rußland von Zeit zu<lb/>
Zeit die neue&#x017F;ten Mu&#x017F;ikalien.</p><lb/>
          <p>Das vormals hier eingerichtete Blatternhaus i&#x017F;t<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig eingegangen, weil in allen Sta&#x0364;dten Sibi-<lb/>
riens medicini&#x017F;che Bediente ange&#x017F;tellt &#x017F;ind, die, ein jeder<lb/>
in &#x017F;einem Krei&#x017F;e, die Einimpfung mit dem be&#x017F;ten Er-<lb/>
folg verrichten.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">A 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0015] aus Sibirien. Anblick praͤchtig, wenn man, aus Rußland kommend, ſich gegen die ſchnell und maͤchtig ſtroͤmende Angara, dicht unter der Stadt herablaͤßt, den alsdenn die zwoͤlf ſchoͤn gebauten ſteinernen Kirchen beym Sonnenſchein geben. Ein Seminarium fuͤr junge Leute, die ſich dem geiſtlichen Stande widmen wollen, eine Volksſchule, ei- ne kleine Bibliothek und Naturalienſammlung, und ein Theater, ſind hier zur Bildung der Jugend angelegt und alles hat ſich, ſeit dem Jahr 1772 da Georgi ſeine Nachricht von dieſer Stadt aufſchrieb, hier ſehr verbeſ- ſert. Beſonders traͤgt die Schaubuͤhne zu einem anſtaͤn- digen und dreiſten Betragen der Jugend viel bey. „Ei- ne Schaubuͤhne?“ hoͤre ich Sie fragen, „in einem ſo entfernten Lande?“ — Ja, ganz gewiß! — und noch mehr werden Sie ſich wundern; wenn ich Jhnen ſage, daß die Schauſpieler hieſige Eingebohrne ſind, die nie zuvor in ihrem Leben ein Theater geſehen hatten; und doch ſind ihre Vorſtellungen ganz artig und die Muſik nicht unangenehm. Denn alle Regimentsbefehlshaber in Sibirien laſſen ihre Regimentsmuſik keinen Tag ohne Uebung und verſchaffen ihnen aus Rußland von Zeit zu Zeit die neueſten Muſikalien. Das vormals hier eingerichtete Blatternhaus iſt gegenwaͤrtig eingegangen, weil in allen Staͤdten Sibi- riens mediciniſche Bediente angeſtellt ſind, die, ein jeder in ſeinem Kreiſe, die Einimpfung mit dem beſten Er- folg verrichten. Was A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/15
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/15>, abgerufen am 16.04.2024.