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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Familie: Petromyzonini.
falte ist eine kurze enge Afterspalte angebracht, aus welcher keine Papille
hervorragt.

Die Farbe dieser Ammocoetes-Larve ist schmutziggelb, auf dem Rücken
zu beiden Seiten der gelben Mittellinie mit einem dunkelbraunen Längsstreif,
der sich nach vorn über die Oberlippe hinzieht. Silberglanz ist nirgends in
der Haut wahrzunehmen.

In diesem Zustande lebt diese Larve stets im lehmigen Schlamme ver-
borgen, und verlässt nur gezwungen ihren Versteck. Ihren Mundnapf benutzt
dieselbe niemals zum Ansaugen. Den Trieb sich im Schlamm verborgen zu
halten, zeigen die jungen Ammocoetes von Anfang an, wie ich mich an den 6
Linien langen, von A. Müller selbst gezogenen jungen Ammocoetes-Larven
mit eigenen Augen überzeugte.

Da Petromyzon Planeri nur einmal in seinem Leben laicht und dann ab-
stirbt, so tritt eine Zeit ein, nämlich im Juli und August, während welcher
dieses kleine Neunauge in den Gewässern gänzlich fehlt. Erst mit dem Ende
August beginnt die Entstehung neuer Individuen durch die Metamorphose des
Ammocoetes branchialis, welche, nach einer mündlichen Mittheilung von
A. Müller, vom August bis Januar währt.

Bei dieser Umwandlung des Ammocoetes branchialis in Petromyzon Planeri,
wie ich sie theils an den von A. Müller mir gütigst mitgetheilten Weingeist-
Präparaten theils an verschiedenen in den Eger- und Nab-Gewässern ge-
sammelten Exemplaren habe verfolgen können, beginnen die verschiedenen
Organe des Kopfes und Brustkorbes zuerst ihre Metamorphose, während die
Flossen und die Afterspalte erst später mit ihren Veränderungen nachfolgen.
Das erste, wodurch äusserlich der Anfang der Metamorphose eingeleitet wird,
ist eine seitliche Einschnürung der Oberlippe, durch welche die Seitentheile
derselben stark nach innen gedrängt und der Vorderrand derselben nach un-
ten gezogen wird. Die nächste Folge dieser Einschnürung der Oberlippe ist
die Verwachsung und Verschmelzung der Unterlippe mit den Seitenlappen
der Oberlippe. Durch diese Verwachsung entsteht eine runde aber auch sehr
enge Mundöffnung, welche zugleich von einem conischen Hervortreten des
Kopfendes begleitet wird. Durch das weitere Hervorwachsen des Kopfendes
rückt das Nasenloch mit den vordersten Kiemenlöchern weiter zurück, wo-
bei zugleich die beiden Augäpfel grösser und grösser werden und immer
mehr aus der Tiefe an die Oberfläche der Haut treten. Innerhalb der Mund-
höhle gehen jetzt auch grosse Veränderungen vor sich; die Bartfäden schwin-
den, ebenso die Papillen unter der Oberlippe, dagegen erheben sich an ver-
schiedenen Stellen aus dem Boden des Mundnapfes mannichfaltig geformte
Wülste, welche den künftigen Zahnleisten zur Grundlage dienen. Jemehr
sich später diese Zahnleisten ausbilden und mit Hornschichten überziehen,
um so mehr erweitert sich die bisher eng zusammengezogene ringförmige

Familie: Petromyzonini.
falte ist eine kurze enge Afterspalte angebracht, aus welcher keine Papille
hervorragt.

Die Farbe dieser Ammocoetes-Larve ist schmutziggelb, auf dem Rücken
zu beiden Seiten der gelben Mittellinie mit einem dunkelbraunen Längsstreif,
der sich nach vorn über die Oberlippe hinzieht. Silberglanz ist nirgends in
der Haut wahrzunehmen.

In diesem Zustande lebt diese Larve stets im lehmigen Schlamme ver-
borgen, und verlässt nur gezwungen ihren Versteck. Ihren Mundnapf benutzt
dieselbe niemals zum Ansaugen. Den Trieb sich im Schlamm verborgen zu
halten, zeigen die jungen Ammocoetes von Anfang an, wie ich mich an den 6
Linien langen, von A. Müller selbst gezogenen jungen Ammocoetes-Larven
mit eigenen Augen überzeugte.

Da Petromyzon Planeri nur einmal in seinem Leben laicht und dann ab-
stirbt, so tritt eine Zeit ein, nämlich im Juli und August, während welcher
dieses kleine Neunauge in den Gewässern gänzlich fehlt. Erst mit dem Ende
August beginnt die Entstehung neuer Individuen durch die Metamorphose des
Ammocoetes branchialis, welche, nach einer mündlichen Mittheilung von
A. Müller, vom August bis Januar währt.

Bei dieser Umwandlung des Ammocoetes branchialis in Petromyzon Planeri,
wie ich sie theils an den von A. Müller mir gütigst mitgetheilten Weingeist-
Präparaten theils an verschiedenen in den Eger- und Nab-Gewässern ge-
sammelten Exemplaren habe verfolgen können, beginnen die verschiedenen
Organe des Kopfes und Brustkorbes zuerst ihre Metamorphose, während die
Flossen und die Afterspalte erst später mit ihren Veränderungen nachfolgen.
Das erste, wodurch äusserlich der Anfang der Metamorphose eingeleitet wird,
ist eine seitliche Einschnürung der Oberlippe, durch welche die Seitentheile
derselben stark nach innen gedrängt und der Vorderrand derselben nach un-
ten gezogen wird. Die nächste Folge dieser Einschnürung der Oberlippe ist
die Verwachsung und Verschmelzung der Unterlippe mit den Seitenlappen
der Oberlippe. Durch diese Verwachsung entsteht eine runde aber auch sehr
enge Mundöffnung, welche zugleich von einem conischen Hervortreten des
Kopfendes begleitet wird. Durch das weitere Hervorwachsen des Kopfendes
rückt das Nasenloch mit den vordersten Kiemenlöchern weiter zurück, wo-
bei zugleich die beiden Augäpfel grösser und grösser werden und immer
mehr aus der Tiefe an die Oberfläche der Haut treten. Innerhalb der Mund-
höhle gehen jetzt auch grosse Veränderungen vor sich; die Bartfäden schwin-
den, ebenso die Papillen unter der Oberlippe, dagegen erheben sich an ver-
schiedenen Stellen aus dem Boden des Mundnapfes mannichfaltig geformte
Wülste, welche den künftigen Zahnleisten zur Grundlage dienen. Jemehr
sich später diese Zahnleisten ausbilden und mit Hornschichten überziehen,
um so mehr erweitert sich die bisher eng zusammengezogene ringförmige

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[380/0393] Familie: Petromyzonini. falte ist eine kurze enge Afterspalte angebracht, aus welcher keine Papille hervorragt. Die Farbe dieser Ammocoetes-Larve ist schmutziggelb, auf dem Rücken zu beiden Seiten der gelben Mittellinie mit einem dunkelbraunen Längsstreif, der sich nach vorn über die Oberlippe hinzieht. Silberglanz ist nirgends in der Haut wahrzunehmen. In diesem Zustande lebt diese Larve stets im lehmigen Schlamme ver- borgen, und verlässt nur gezwungen ihren Versteck. Ihren Mundnapf benutzt dieselbe niemals zum Ansaugen. Den Trieb sich im Schlamm verborgen zu halten, zeigen die jungen Ammocoetes von Anfang an, wie ich mich an den 6 Linien langen, von A. Müller selbst gezogenen jungen Ammocoetes-Larven mit eigenen Augen überzeugte. Da Petromyzon Planeri nur einmal in seinem Leben laicht und dann ab- stirbt, so tritt eine Zeit ein, nämlich im Juli und August, während welcher dieses kleine Neunauge in den Gewässern gänzlich fehlt. Erst mit dem Ende August beginnt die Entstehung neuer Individuen durch die Metamorphose des Ammocoetes branchialis, welche, nach einer mündlichen Mittheilung von A. Müller, vom August bis Januar währt. Bei dieser Umwandlung des Ammocoetes branchialis in Petromyzon Planeri, wie ich sie theils an den von A. Müller mir gütigst mitgetheilten Weingeist- Präparaten theils an verschiedenen in den Eger- und Nab-Gewässern ge- sammelten Exemplaren habe verfolgen können, beginnen die verschiedenen Organe des Kopfes und Brustkorbes zuerst ihre Metamorphose, während die Flossen und die Afterspalte erst später mit ihren Veränderungen nachfolgen. Das erste, wodurch äusserlich der Anfang der Metamorphose eingeleitet wird, ist eine seitliche Einschnürung der Oberlippe, durch welche die Seitentheile derselben stark nach innen gedrängt und der Vorderrand derselben nach un- ten gezogen wird. Die nächste Folge dieser Einschnürung der Oberlippe ist die Verwachsung und Verschmelzung der Unterlippe mit den Seitenlappen der Oberlippe. Durch diese Verwachsung entsteht eine runde aber auch sehr enge Mundöffnung, welche zugleich von einem conischen Hervortreten des Kopfendes begleitet wird. Durch das weitere Hervorwachsen des Kopfendes rückt das Nasenloch mit den vordersten Kiemenlöchern weiter zurück, wo- bei zugleich die beiden Augäpfel grösser und grösser werden und immer mehr aus der Tiefe an die Oberfläche der Haut treten. Innerhalb der Mund- höhle gehen jetzt auch grosse Veränderungen vor sich; die Bartfäden schwin- den, ebenso die Papillen unter der Oberlippe, dagegen erheben sich an ver- schiedenen Stellen aus dem Boden des Mundnapfes mannichfaltig geformte Wülste, welche den künftigen Zahnleisten zur Grundlage dienen. Jemehr sich später diese Zahnleisten ausbilden und mit Hornschichten überziehen, um so mehr erweitert sich die bisher eng zusammengezogene ringförmige

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/393>, abgerufen am 23.04.2024.