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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Gattung: Petromyzon.
ben dürfen und zu der Annahme berechtigen: die in weit vom Meere entfern-
ten Theilen eines Flussgebiets als seltene Erscheinungen vorkommenden See-
lampreten sind nichts anderes als verirrte Fremdlinge. Von solchen aus der
Elbe in die Saale bis Halle und in die Havel bis Spandau verirrten Seelam-
preten hat Bloch (a. a. O. pag. 39), von einem anderen aus dem Rhein in den
Main und von da in die Regnitz bis Erlangen verirrten Individuum hat Rosen-
hauer
(a. a. O.) Bericht erstattet. Es scheint daher Nau's Aussage wirklich
Rücksicht zu verdienen, indem derselbe angiebt1), dass die Seelampreten zur
Laichzeit im Mai und noch früher die Mündungen der an die See grenzenden
Flüsse besuchen, aber nur selten bis an ihren Ursprung aufsteigen. Dass diese
Fische alsdann die Gelegenheit finden und benutzen, sich an die um dieselbe
Zeit in die Flussmündungen eintretenden Lachse und Maifische anzusaugen
und so eine Strecke der Reise dieser Wanderfische mitzumachen, dies scheint
mir in der That nicht unwahrscheinlich zu sein, wenigstens stimmen hiermit
manche Angaben älterer Naturforscher überein; so sagt Gesner2), dass die
Seelampreten mit dem Maule an den aus dem Meere aufsteigenden Salmen
festgesogen diese begleiten, und durch Pennant3) erfahren wir, dass die See-
lampreten in Gesellschaft der Lachse und Maifische gefangen werden. Aus
diesem Grunde mag auch die Excursion, welche A. Müller4) zur Auffindung
der Jugendzustände des Petromyzon marinus längs der Elbe unternommen,
ohne Resultat geblieben sein.

Wenn ich die vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen des Petro-
myzon marinus
ins Auge fasse, so scheint in der That mit Ausnahme von Pa-
nizza
keinem der bisherigen Beobachter der Seelampreten ein brünstiges Indi-
viduum derselben zu Gesicht gekommen zu sein; die verschiedenen Darstel-
lungen des Petromyzon marinus beziehen sich alle mehr oder weniger auf noch
nicht ganz geschlechtsreife Individuen, weil die im Laichen begriffenen Indi-
viduen, wie es scheint, nicht bis in die oberen Seitenflüsse der Hauptströme
hinaufsteigen, sondern mehr in den unteren Theilen der Hauptströme ihr Fort-
pflanzungsgeschäft vollbringen und sich so leichter der Aufmerksamkeit der
Fischer entziehen. Solche wirklich im Laichen begriffenen Seelampreten,
welche bei Pavia im Po und Ticino während des Frühjahres gefangen worden
waren, hat Panizza zu seiner Beschreibung des Petromyzon marinus benutzt5),
daher dieselbe von jenen Beschreibungen, welchen nicht brünstige Seelam-

1) S. dessen: Naturgeschichte der Lamprete des Rheins, in den Schriften der Gesellsch.
naturforsch. Freunde zu Berlin. Bd. VII. 1787. pag. 466.
2) S. dessen: Fischbuch. pag. 181.
3) Vergl. dessen: British Zoology. Vol. III. 1676. pag. 67.
4) A. a. O. pag. 328.
5) Vergl. dessen: Memoria sulla Lampreda marina, in den Memorie dell' Istituto Lom-
bardo di scienze lettere ed arti. Vol. II. Milano. 1845. pag. 25.
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Gattung: Petromyzon.
ben dürfen und zu der Annahme berechtigen: die in weit vom Meere entfern-
ten Theilen eines Flussgebiets als seltene Erscheinungen vorkommenden See-
lampreten sind nichts anderes als verirrte Fremdlinge. Von solchen aus der
Elbe in die Saale bis Halle und in die Havel bis Spandau verirrten Seelam-
preten hat Bloch (a. a. O. pag. 39), von einem anderen aus dem Rhein in den
Main und von da in die Regnitz bis Erlangen verirrten Individuum hat Rosen-
hauer
(a. a. O.) Bericht erstattet. Es scheint daher Nau’s Aussage wirklich
Rücksicht zu verdienen, indem derselbe angiebt1), dass die Seelampreten zur
Laichzeit im Mai und noch früher die Mündungen der an die See grenzenden
Flüsse besuchen, aber nur selten bis an ihren Ursprung aufsteigen. Dass diese
Fische alsdann die Gelegenheit finden und benutzen, sich an die um dieselbe
Zeit in die Flussmündungen eintretenden Lachse und Maifische anzusaugen
und so eine Strecke der Reise dieser Wanderfische mitzumachen, dies scheint
mir in der That nicht unwahrscheinlich zu sein, wenigstens stimmen hiermit
manche Angaben älterer Naturforscher überein; so sagt Gesner2), dass die
Seelampreten mit dem Maule an den aus dem Meere aufsteigenden Salmen
festgesogen diese begleiten, und durch Pennant3) erfahren wir, dass die See-
lampreten in Gesellschaft der Lachse und Maifische gefangen werden. Aus
diesem Grunde mag auch die Excursion, welche A. Müller4) zur Auffindung
der Jugendzustände des Petromyzon marinus längs der Elbe unternommen,
ohne Resultat geblieben sein.

Wenn ich die vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen des Petro-
myzon marinus
ins Auge fasse, so scheint in der That mit Ausnahme von Pa-
nizza
keinem der bisherigen Beobachter der Seelampreten ein brünstiges Indi-
viduum derselben zu Gesicht gekommen zu sein; die verschiedenen Darstel-
lungen des Petromyzon marinus beziehen sich alle mehr oder weniger auf noch
nicht ganz geschlechtsreife Individuen, weil die im Laichen begriffenen Indi-
viduen, wie es scheint, nicht bis in die oberen Seitenflüsse der Hauptströme
hinaufsteigen, sondern mehr in den unteren Theilen der Hauptströme ihr Fort-
pflanzungsgeschäft vollbringen und sich so leichter der Aufmerksamkeit der
Fischer entziehen. Solche wirklich im Laichen begriffenen Seelampreten,
welche bei Pavia im Po und Ticino während des Frühjahres gefangen worden
waren, hat Panizza zu seiner Beschreibung des Petromyzon marinus benutzt5),
daher dieselbe von jenen Beschreibungen, welchen nicht brünstige Seelam-

1) S. dessen: Naturgeschichte der Lamprete des Rheins, in den Schriften der Gesellsch.
naturforsch. Freunde zu Berlin. Bd. VII. 1787. pag. 466.
2) S. dessen: Fischbuch. pag. 181.
3) Vergl. dessen: British Zoology. Vol. III. 1676. pag. 67.
4) A. a. O. pag. 328.
5) Vergl. dessen: Memoria sulla Lampreda marina, in den Memorie dell’ Istituto Lom-
bardo di scienze lettere ed arti. Vol. II. Milano. 1845. pag. 25.
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[371/0384] Gattung: Petromyzon. ben dürfen und zu der Annahme berechtigen: die in weit vom Meere entfern- ten Theilen eines Flussgebiets als seltene Erscheinungen vorkommenden See- lampreten sind nichts anderes als verirrte Fremdlinge. Von solchen aus der Elbe in die Saale bis Halle und in die Havel bis Spandau verirrten Seelam- preten hat Bloch (a. a. O. pag. 39), von einem anderen aus dem Rhein in den Main und von da in die Regnitz bis Erlangen verirrten Individuum hat Rosen- hauer (a. a. O.) Bericht erstattet. Es scheint daher Nau’s Aussage wirklich Rücksicht zu verdienen, indem derselbe angiebt 1), dass die Seelampreten zur Laichzeit im Mai und noch früher die Mündungen der an die See grenzenden Flüsse besuchen, aber nur selten bis an ihren Ursprung aufsteigen. Dass diese Fische alsdann die Gelegenheit finden und benutzen, sich an die um dieselbe Zeit in die Flussmündungen eintretenden Lachse und Maifische anzusaugen und so eine Strecke der Reise dieser Wanderfische mitzumachen, dies scheint mir in der That nicht unwahrscheinlich zu sein, wenigstens stimmen hiermit manche Angaben älterer Naturforscher überein; so sagt Gesner 2), dass die Seelampreten mit dem Maule an den aus dem Meere aufsteigenden Salmen festgesogen diese begleiten, und durch Pennant 3) erfahren wir, dass die See- lampreten in Gesellschaft der Lachse und Maifische gefangen werden. Aus diesem Grunde mag auch die Excursion, welche A. Müller 4) zur Auffindung der Jugendzustände des Petromyzon marinus längs der Elbe unternommen, ohne Resultat geblieben sein. Wenn ich die vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen des Petro- myzon marinus ins Auge fasse, so scheint in der That mit Ausnahme von Pa- nizza keinem der bisherigen Beobachter der Seelampreten ein brünstiges Indi- viduum derselben zu Gesicht gekommen zu sein; die verschiedenen Darstel- lungen des Petromyzon marinus beziehen sich alle mehr oder weniger auf noch nicht ganz geschlechtsreife Individuen, weil die im Laichen begriffenen Indi- viduen, wie es scheint, nicht bis in die oberen Seitenflüsse der Hauptströme hinaufsteigen, sondern mehr in den unteren Theilen der Hauptströme ihr Fort- pflanzungsgeschäft vollbringen und sich so leichter der Aufmerksamkeit der Fischer entziehen. Solche wirklich im Laichen begriffenen Seelampreten, welche bei Pavia im Po und Ticino während des Frühjahres gefangen worden waren, hat Panizza zu seiner Beschreibung des Petromyzon marinus benutzt 5), daher dieselbe von jenen Beschreibungen, welchen nicht brünstige Seelam- 1) S. dessen: Naturgeschichte der Lamprete des Rheins, in den Schriften der Gesellsch. naturforsch. Freunde zu Berlin. Bd. VII. 1787. pag. 466. 2) S. dessen: Fischbuch. pag. 181. 3) Vergl. dessen: British Zoology. Vol. III. 1676. pag. 67. 4) A. a. O. pag. 328. 5) Vergl. dessen: Memoria sulla Lampreda marina, in den Memorie dell’ Istituto Lom- bardo di scienze lettere ed arti. Vol. II. Milano. 1845. pag. 25. 24*

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/384>, abgerufen am 29.03.2024.