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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Gattung: Anguilla.
haben. Davy 1) beschreibt in seiner berühmten Salmonia eine solche merk-
würdige in Irland beobachtete Aalbrut-Wanderung in folgender Weise: "Ich
befand mich gegen Ende Julis zu Ballyshannon, an der Mündung des Flusses,
der die ganzen vorigen Monate her hohes Wasser gehabt hatte. Wo er seinen
Fall macht, war er ganz schwarz von Millionen kleiner etwa fingerlanger
Aale, die fortwährend den nassen Felsen an den Ufern des Wasserfalls zu er-
klimmen suchten. Sie kamen dabei zu Tausenden um, aber ihre feuchten,
schlüpfrigen Körper dienten den übrigen gleichsam zur Leiter, um ihren Weg
fortzusetzen; ich sah sie sogar senkrechte Felsen erklimmen, sie wanden sich
durch das feuchte Moos oder hielten sich an die Körper anderer an, die bei
dem Versuche ihren Tod gefunden hatten. Ihre Ausdauer war so gross, dass
sie doch in ungeheuren Mengen ihren Weg bis zu Loch Erne erzwangen.
Dasselbe geschieht an dem Falle des Bann, wo sie dann den Loch Neah be-
völkern; selbst der mächtige Rheinfall bei Schaffhausen kann sie nicht ver-
hindern, ihren Weg nach dem Constanzersee fortzusetzen, in welchem letz-
tern ich viele sehr grosse Aale gesehen habe". Wenn aber Davy hierauf be-
hauptet 2), dass die jungen Aale den Rhonefall nicht überwinden könnten, und
dass es deshalb im Genfersee keine Aale gebe, so ist dies unrichtig, da die
jungen Aale je nach dem Wasserstande die Hindernisse am Rhonefall bald
leichter bald schwieriger zu überwinden wissen, wie dies aus den Worten
Jurine's 3) hervorgeht: "On trouve rarement ce poisson dans le lac de Geneve,
a cause de la perte du Rhone, qu'il ne peut franchir que lorsque les eaux
recouvrent ce gouffre".

Ueber das im Mai und Juni aus der Nord- und Ostsee in die skandinavi-
schen Flüsse statt findende Aufsteigen der jungen Aale von 2 bis 3 Zoll Länge
und von der Dicke eines Segelgarnfadens giebt Nilsson 4) Auskunft, und fügt
derselbe hinzu, dass die Aaljungen auf den Trollhättafall nicht vorwärts
hätten dringen können und deshalb diese Fischart nicht oberhalb dieses
mächtigen Wasserfalls in dem Wenern oder in einem der Wasserläufe, welche
sich in das Becken dieses grossen Binnensees ergiessen, sich vorgefunden
hätte, und dass erst, als die Trollhättaschleussen einige Jahre nach dem An-
fange dieses Jahrhunderts geöffnet waren, Aaljunge in den Wenern gekom-
men seien, worauf innerhalb eines Jahrzehends ganz unvermuthet grosse Aale
nicht allein im Göthaelf oberhalb des Falles, sondern auch im Wenern und den
in denselben sich ergiessenden Wassern angetroffen worden wären. Auch an

1) S. dessen: Salmonia. Second edit. London, 1829. pag. 228.
2) Ebenda. pag. 229.
3) Vergl. dessen: Histoire des poissons du lac Leman, in den Memoires etc. de Ge-
neve. T. III. pag. 147.
4) S. dessen: Skandinavisk Fauna. IV. pag. 675. (Uebersetzt a. a. O. pag. 27.)
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Gattung: Anguilla.
haben. Davy 1) beschreibt in seiner berühmten Salmonia eine solche merk-
würdige in Irland beobachtete Aalbrut-Wanderung in folgender Weise: »Ich
befand mich gegen Ende Julis zu Ballyshannon, an der Mündung des Flusses,
der die ganzen vorigen Monate her hohes Wasser gehabt hatte. Wo er seinen
Fall macht, war er ganz schwarz von Millionen kleiner etwa fingerlanger
Aale, die fortwährend den nassen Felsen an den Ufern des Wasserfalls zu er-
klimmen suchten. Sie kamen dabei zu Tausenden um, aber ihre feuchten,
schlüpfrigen Körper dienten den übrigen gleichsam zur Leiter, um ihren Weg
fortzusetzen; ich sah sie sogar senkrechte Felsen erklimmen, sie wanden sich
durch das feuchte Moos oder hielten sich an die Körper anderer an, die bei
dem Versuche ihren Tod gefunden hatten. Ihre Ausdauer war so gross, dass
sie doch in ungeheuren Mengen ihren Weg bis zu Loch Erne erzwangen.
Dasselbe geschieht an dem Falle des Bann, wo sie dann den Loch Neah be-
völkern; selbst der mächtige Rheinfall bei Schaffhausen kann sie nicht ver-
hindern, ihren Weg nach dem Constanzersee fortzusetzen, in welchem letz-
tern ich viele sehr grosse Aale gesehen habe«. Wenn aber Davy hierauf be-
hauptet 2), dass die jungen Aale den Rhonefall nicht überwinden könnten, und
dass es deshalb im Genfersee keine Aale gebe, so ist dies unrichtig, da die
jungen Aale je nach dem Wasserstande die Hindernisse am Rhonefall bald
leichter bald schwieriger zu überwinden wissen, wie dies aus den Worten
Jurine’s 3) hervorgeht: »On trouve rarement ce poisson dans le lac de Genève,
à cause de la perte du Rhône, qu’il ne peut franchir que lorsque les eaux
recouvrent ce gouffre«.

Ueber das im Mai und Juni aus der Nord- und Ostsee in die skandinavi-
schen Flüsse statt findende Aufsteigen der jungen Aale von 2 bis 3 Zoll Länge
und von der Dicke eines Segelgarnfadens giebt Nilsson 4) Auskunft, und fügt
derselbe hinzu, dass die Aaljungen auf den Trollhättafall nicht vorwärts
hätten dringen können und deshalb diese Fischart nicht oberhalb dieses
mächtigen Wasserfalls in dem Wenern oder in einem der Wasserläufe, welche
sich in das Becken dieses grossen Binnensees ergiessen, sich vorgefunden
hätte, und dass erst, als die Trollhättaschleussen einige Jahre nach dem An-
fange dieses Jahrhunderts geöffnet waren, Aaljunge in den Wenern gekom-
men seien, worauf innerhalb eines Jahrzehends ganz unvermuthet grosse Aale
nicht allein im Göthaelf oberhalb des Falles, sondern auch im Wenern und den
in denselben sich ergiessenden Wassern angetroffen worden wären. Auch an

1) S. dessen: Salmonia. Second edit. London, 1829. pag. 228.
2) Ebenda. pag. 229.
3) Vergl. dessen: Histoire des poissons du lac Léman, in den Mémoires etc. de Ge-
nève. T. III. pag. 147.
4) S. dessen: Skandinavisk Fauna. IV. pag. 675. (Uebersetzt a. a. O. pag. 27.)
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[355/0368] Gattung: Anguilla. haben. Davy 1) beschreibt in seiner berühmten Salmonia eine solche merk- würdige in Irland beobachtete Aalbrut-Wanderung in folgender Weise: »Ich befand mich gegen Ende Julis zu Ballyshannon, an der Mündung des Flusses, der die ganzen vorigen Monate her hohes Wasser gehabt hatte. Wo er seinen Fall macht, war er ganz schwarz von Millionen kleiner etwa fingerlanger Aale, die fortwährend den nassen Felsen an den Ufern des Wasserfalls zu er- klimmen suchten. Sie kamen dabei zu Tausenden um, aber ihre feuchten, schlüpfrigen Körper dienten den übrigen gleichsam zur Leiter, um ihren Weg fortzusetzen; ich sah sie sogar senkrechte Felsen erklimmen, sie wanden sich durch das feuchte Moos oder hielten sich an die Körper anderer an, die bei dem Versuche ihren Tod gefunden hatten. Ihre Ausdauer war so gross, dass sie doch in ungeheuren Mengen ihren Weg bis zu Loch Erne erzwangen. Dasselbe geschieht an dem Falle des Bann, wo sie dann den Loch Neah be- völkern; selbst der mächtige Rheinfall bei Schaffhausen kann sie nicht ver- hindern, ihren Weg nach dem Constanzersee fortzusetzen, in welchem letz- tern ich viele sehr grosse Aale gesehen habe«. Wenn aber Davy hierauf be- hauptet 2), dass die jungen Aale den Rhonefall nicht überwinden könnten, und dass es deshalb im Genfersee keine Aale gebe, so ist dies unrichtig, da die jungen Aale je nach dem Wasserstande die Hindernisse am Rhonefall bald leichter bald schwieriger zu überwinden wissen, wie dies aus den Worten Jurine’s 3) hervorgeht: »On trouve rarement ce poisson dans le lac de Genève, à cause de la perte du Rhône, qu’il ne peut franchir que lorsque les eaux recouvrent ce gouffre«. Ueber das im Mai und Juni aus der Nord- und Ostsee in die skandinavi- schen Flüsse statt findende Aufsteigen der jungen Aale von 2 bis 3 Zoll Länge und von der Dicke eines Segelgarnfadens giebt Nilsson 4) Auskunft, und fügt derselbe hinzu, dass die Aaljungen auf den Trollhättafall nicht vorwärts hätten dringen können und deshalb diese Fischart nicht oberhalb dieses mächtigen Wasserfalls in dem Wenern oder in einem der Wasserläufe, welche sich in das Becken dieses grossen Binnensees ergiessen, sich vorgefunden hätte, und dass erst, als die Trollhättaschleussen einige Jahre nach dem An- fange dieses Jahrhunderts geöffnet waren, Aaljunge in den Wenern gekom- men seien, worauf innerhalb eines Jahrzehends ganz unvermuthet grosse Aale nicht allein im Göthaelf oberhalb des Falles, sondern auch im Wenern und den in denselben sich ergiessenden Wassern angetroffen worden wären. Auch an 1) S. dessen: Salmonia. Second edit. London, 1829. pag. 228. 2) Ebenda. pag. 229. 3) Vergl. dessen: Histoire des poissons du lac Léman, in den Mémoires etc. de Ge- nève. T. III. pag. 147. 4) S. dessen: Skandinavisk Fauna. IV. pag. 675. (Uebersetzt a. a. O. pag. 27.) 23*

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/368>, abgerufen am 28.03.2024.