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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Gattung. Anguilla.
auch kein einziger Aal vorher den Versuch gemacht, sich über Land in das
nahe gelegene Meer oder in den benachbarten Po zu retten.

Die geographische Verbreitung des Aals in Mitteleuropa ist eine höchst
eigenthümliche. Er wird in allen denjenigen Flüssen und stehenden Ge-
wässern angetroffen, welche mit der Ost- und Nordsee, mit dem atlantischen,
mit dem Mittel- und adriatischen Meere zusammenhängen, fehlt aber in den-
jenigen Seen und Flüssen, welche ihr Wasser dem schwarzen Meere zusen-
den. Daher findet sich der Aal nirgends im Flussgebiete der Donau, und fehlt
derselbe auch im Dnjestr, Bug, Dnjepr und Don. Pallas 1) machte bereits auf
die Abwesenheit des Aals in den dem kaspischen und schwarzen Meere zu-
fliessenden Gewässern aufmerksam; auch Eichwald 2) und Nordmann 3) lassen
den Aal in ihren Faunen des Caucasus und Pontus unerwähnt. Hiermit stim-
men auch die Forschungen des Czernay 4), Tchihatcheff 5) und Kessler 6) über-
ein, welche in keinem der südrussischen Flüsse Aale antrafen. Um so mehr
muss es auffallen, dass nach der Angabe verschiedener Zoologen die Donau
und ihre Nebenflüsse Aale besitzen sollen. Ich habe es mir angelegen sein
lassen, diesen Angaben näher nachzuspüren und bin zu der Ueberzeugung
gekommen, dass dieselben auf Missverständnissen oder Verwechslungen be-
ruhen.

Schon Albertus Magnus 7) hat sich über das Fehlen des Aals im Donau-
Gebiet mit folgenden Worten deutlich ausgesprochen: "Es ist ein gross wun-
derwerck, das inn der Thonaw kein Aal gefangen odder gefunden wirdt, dess-
gleichen inn den neben wassern so hinein fliessen, man spricht auch, wa man
ihn in Thonaw wasser setz, soll er sterben und darvon nit leben mögen, sunst
findet man in allen wassern durch gantz Teutschland, auss solchem Fisch den
Aal". Es sind diese Mittheilungen des Albertus Magnus von Gesner 8), Wil-
lughby
9) und anderen Naturforschern wiederholt worden, was Marsigli ver-
anlasst hat, die Meinung, dass die Aale im Donauwasser sterben zu bestreiten
nicht aber das Fehlen derselben in der Donau zu läugnen, wie dies aus sei-
nen eigenen Worten, wie folgt, entnommen werden kann 10): "Verum contra-

1) Vergl. dessen: Zoographia rosso-asiatica. Vol. III. Edit. 1831. pag. 71.
2) S. dessen: Fauna Caspio-Caucasia. 1841.
3) Vergl. dessen: Observations sur la Faune pontique. 1840.
4) S. dessen: Ichthyologische Beobachtungen gesammelt auf Reisen in dem Charkow-
schen und den anliegenden Gouvernements, in dem Bulletin de la societe imperiale des
Naturalistes de Moscou. Tom. 23. 1850. pag. 627.
5) S. dessen: Considerations sur les poissons du Don, du Dnepre, du Dnestre, du Boug
et du Danube, in den Comptes rendus. Tom. 42. 1856. pag. 442.
6) Vergl. dessen: Ichthyologie des südwestlichen Russlands, in dem Bulletin de la soc.
imp. des Nat. de Moscou. Tom. 29. 1856. pag. 386.
7) S. dessen: Thierbuch. a. a. O.
8) S. dessen: Fischbuch. a. a. O. pag. 177.
9) Vergl. dessen: Historia piscium. pag. 110.
10) Vergl. dessen: Danubius etc. a. a. O. Tom. IV. 1726. pag. 5.

Gattung. Anguilla.
auch kein einziger Aal vorher den Versuch gemacht, sich über Land in das
nahe gelegene Meer oder in den benachbarten Po zu retten.

Die geographische Verbreitung des Aals in Mitteleuropa ist eine höchst
eigenthümliche. Er wird in allen denjenigen Flüssen und stehenden Ge-
wässern angetroffen, welche mit der Ost- und Nordsee, mit dem atlantischen,
mit dem Mittel- und adriatischen Meere zusammenhängen, fehlt aber in den-
jenigen Seen und Flüssen, welche ihr Wasser dem schwarzen Meere zusen-
den. Daher findet sich der Aal nirgends im Flussgebiete der Donau, und fehlt
derselbe auch im Dnjestr, Bug, Dnjepr und Don. Pallas 1) machte bereits auf
die Abwesenheit des Aals in den dem kaspischen und schwarzen Meere zu-
fliessenden Gewässern aufmerksam; auch Eichwald 2) und Nordmann 3) lassen
den Aal in ihren Faunen des Caucasus und Pontus unerwähnt. Hiermit stim-
men auch die Forschungen des Czernay 4), Tchihatcheff 5) und Kessler 6) über-
ein, welche in keinem der südrussischen Flüsse Aale antrafen. Um so mehr
muss es auffallen, dass nach der Angabe verschiedener Zoologen die Donau
und ihre Nebenflüsse Aale besitzen sollen. Ich habe es mir angelegen sein
lassen, diesen Angaben näher nachzuspüren und bin zu der Ueberzeugung
gekommen, dass dieselben auf Missverständnissen oder Verwechslungen be-
ruhen.

Schon Albertus Magnus 7) hat sich über das Fehlen des Aals im Donau-
Gebiet mit folgenden Worten deutlich ausgesprochen: »Es ist ein gross wun-
derwerck, das inn der Thonaw kein Aal gefangen odder gefunden wirdt, dess-
gleichen inn den neben wassern so hinein fliessen, man spricht auch, wa man
ihn in Thonaw wasser setz, soll er sterben und darvon nit leben mögen, sunst
findet man in allen wassern durch gantz Teutschland, auss solchem Fisch den
Aal«. Es sind diese Mittheilungen des Albertus Magnus von Gesner 8), Wil-
lughby
9) und anderen Naturforschern wiederholt worden, was Marsigli ver-
anlasst hat, die Meinung, dass die Aale im Donauwasser sterben zu bestreiten
nicht aber das Fehlen derselben in der Donau zu läugnen, wie dies aus sei-
nen eigenen Worten, wie folgt, entnommen werden kann 10): »Verum contra-

1) Vergl. dessen: Zoographia rosso-asiatica. Vol. III. Edit. 1831. pag. 71.
2) S. dessen: Fauna Caspio-Caucasia. 1841.
3) Vergl. dessen: Observations sur la Faune pontique. 1840.
4) S. dessen: Ichthyologische Beobachtungen gesammelt auf Reisen in dem Charkow-
schen und den anliegenden Gouvernements, in dem Bulletin de la société impériale des
Naturalistes de Moscou. Tom. 23. 1850. pag. 627.
5) S. dessen: Considérations sur les poissons du Don, du Dnèpre, du Dnestre, du Boug
et du Danube, in den Comptes rendus. Tom. 42. 1856. pag. 442.
6) Vergl. dessen: Ichthyologie des südwestlichen Russlands, in dem Bulletin de la soc.
imp. des Nat. de Moscou. Tom. 29. 1856. pag. 386.
7) S. dessen: Thierbuch. a. a. O.
8) S. dessen: Fischbuch. a. a. O. pag. 177.
9) Vergl. dessen: Historia piscium. pag. 110.
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[345/0358] Gattung. Anguilla. auch kein einziger Aal vorher den Versuch gemacht, sich über Land in das nahe gelegene Meer oder in den benachbarten Po zu retten. Die geographische Verbreitung des Aals in Mitteleuropa ist eine höchst eigenthümliche. Er wird in allen denjenigen Flüssen und stehenden Ge- wässern angetroffen, welche mit der Ost- und Nordsee, mit dem atlantischen, mit dem Mittel- und adriatischen Meere zusammenhängen, fehlt aber in den- jenigen Seen und Flüssen, welche ihr Wasser dem schwarzen Meere zusen- den. Daher findet sich der Aal nirgends im Flussgebiete der Donau, und fehlt derselbe auch im Dnjestr, Bug, Dnjepr und Don. Pallas 1) machte bereits auf die Abwesenheit des Aals in den dem kaspischen und schwarzen Meere zu- fliessenden Gewässern aufmerksam; auch Eichwald 2) und Nordmann 3) lassen den Aal in ihren Faunen des Caucasus und Pontus unerwähnt. Hiermit stim- men auch die Forschungen des Czernay 4), Tchihatcheff 5) und Kessler 6) über- ein, welche in keinem der südrussischen Flüsse Aale antrafen. Um so mehr muss es auffallen, dass nach der Angabe verschiedener Zoologen die Donau und ihre Nebenflüsse Aale besitzen sollen. Ich habe es mir angelegen sein lassen, diesen Angaben näher nachzuspüren und bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass dieselben auf Missverständnissen oder Verwechslungen be- ruhen. Schon Albertus Magnus 7) hat sich über das Fehlen des Aals im Donau- Gebiet mit folgenden Worten deutlich ausgesprochen: »Es ist ein gross wun- derwerck, das inn der Thonaw kein Aal gefangen odder gefunden wirdt, dess- gleichen inn den neben wassern so hinein fliessen, man spricht auch, wa man ihn in Thonaw wasser setz, soll er sterben und darvon nit leben mögen, sunst findet man in allen wassern durch gantz Teutschland, auss solchem Fisch den Aal«. Es sind diese Mittheilungen des Albertus Magnus von Gesner 8), Wil- lughby 9) und anderen Naturforschern wiederholt worden, was Marsigli ver- anlasst hat, die Meinung, dass die Aale im Donauwasser sterben zu bestreiten nicht aber das Fehlen derselben in der Donau zu läugnen, wie dies aus sei- nen eigenen Worten, wie folgt, entnommen werden kann 10): »Verum contra- 1) Vergl. dessen: Zoographia rosso-asiatica. Vol. III. Edit. 1831. pag. 71. 2) S. dessen: Fauna Caspio-Caucasia. 1841. 3) Vergl. dessen: Observations sur la Faune pontique. 1840. 4) S. dessen: Ichthyologische Beobachtungen gesammelt auf Reisen in dem Charkow- schen und den anliegenden Gouvernements, in dem Bulletin de la société impériale des Naturalistes de Moscou. Tom. 23. 1850. pag. 627. 5) S. dessen: Considérations sur les poissons du Don, du Dnèpre, du Dnestre, du Boug et du Danube, in den Comptes rendus. Tom. 42. 1856. pag. 442. 6) Vergl. dessen: Ichthyologie des südwestlichen Russlands, in dem Bulletin de la soc. imp. des Nat. de Moscou. Tom. 29. 1856. pag. 386. 7) S. dessen: Thierbuch. a. a. O. 8) S. dessen: Fischbuch. a. a. O. pag. 177. 9) Vergl. dessen: Historia piscium. pag. 110. 10) Vergl. dessen: Danubius etc. a. a. O. Tom. IV. 1726. pag. 5.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/358>, abgerufen am 29.03.2024.