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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Einleitung.
orten zu einer freiwilligen Bastard-Erzeugung kommen könne, hat sich mir
bei meinen ichthyologischen Untersuchungen immer wieder aufgedrängt und
musste von mir, so sehr ich mich anfangs dagegensträubte, zuletzt bejaht
werden; das Vorkommen von Bastardfischen in unseren Seen und Flüssen
kann nicht mehr geläugnet werden, und muss nach meinen Erfahrungen als
eine ausgemachte Sache gelten. Ich betrachte die Erkenntniss dieser Thatsache
für einen grossen Gewinn der Systematiker, indem jetzt die Möglichkeit ge-
geben ist, gewissen Fischformen, deren Einreihung in das System als selbst-
ständige Arten bisher die grösste Schwierigkeit gemacht hatte, als unreinen
Zwischenformen die richtige untergeordnete Stellung im Systeme anzuweisen.
Es wird dadurch freilich unsere Fischfauna wieder um einige Arten, ja sogar
um einige Gattungen ärmer, was derjenige leicht verschmerzen wird, der sich
bewusst ist, dass in der Vermehrung der Thierspecies nicht der Schwerpunct
des Fortschritts unseres zoologischen Wissens liegt.

Schon lange hätte man bei gewissen Fischspecies durch das Schwankende
und Unbestimmte hrer Form daran denken müssen, dass man hier Bastarde
vor sich habe. Auch das seltene und ganz vereinzelte Vorkommen solcher
Fischformen in Gewässern, welche Jahr aus Jahr ein befischt werden, hätte
auf ihre Bastardbildung aufmerksam machen müssen, zumal da die Volks-
stimme längst dergleichen Fische mit charakteristischen, ihre Abstammung
bespöttelnden Namen gebrandmarkt hat. Hier und da wurden von einzelnen
Faunisten gewisse Fische wirklich als Bastarde bezeichnet, was die Systema-
tiker aber nicht abgehalten hat, dieselben zu reinen Arten zu erheben. Die
von mir als Bastarde erkannten Fische sind folgende: 1) Carpio Kollarii,
2) Abramidopsis Leuckartii, 3) Bliccopsis abramo-rutilus, 4) Alburnus dolabratus
und 5) Chondrostoma Rysela. Leider habe ich über das Wesen und Leben die-
ser Fische gar manches unaufgeklärt lassen müssen, namentlich habe ich
über die Bedingungen ihrer Entstehung und über ihre Fortpflanzungsfähig-
keit bis jetzt keine Erfahrungen sammeln können, auch habe ich in Bezug
auf ihre Abstammung, wie das die Schwierigkeit des Gegenstandes mit sich
bringt, manches nur errathen können, habe aber diese über Bastardbildungen
nur als Vermuthung hingestellten Aeusserungen um so weniger unterdrücken
wollen, weil ich erwarten kann, dass dieselben zur Nachprüfung anregen
werden, wodurch meine mangelhaften Untersuchungen um so eher ergänzt
werden dürften.



Einleitung.
orten zu einer freiwilligen Bastard-Erzeugung kommen könne, hat sich mir
bei meinen ichthyologischen Untersuchungen immer wieder aufgedrängt und
musste von mir, so sehr ich mich anfangs dagegensträubte, zuletzt bejaht
werden; das Vorkommen von Bastardfischen in unseren Seen und Flüssen
kann nicht mehr geläugnet werden, und muss nach meinen Erfahrungen als
eine ausgemachte Sache gelten. Ich betrachte die Erkenntniss dieser Thatsache
für einen grossen Gewinn der Systematiker, indem jetzt die Möglichkeit ge-
geben ist, gewissen Fischformen, deren Einreihung in das System als selbst-
ständige Arten bisher die grösste Schwierigkeit gemacht hatte, als unreinen
Zwischenformen die richtige untergeordnete Stellung im Systeme anzuweisen.
Es wird dadurch freilich unsere Fischfauna wieder um einige Arten, ja sogar
um einige Gattungen ärmer, was derjenige leicht verschmerzen wird, der sich
bewusst ist, dass in der Vermehrung der Thierspecies nicht der Schwerpunct
des Fortschritts unseres zoologischen Wissens liegt.

Schon lange hätte man bei gewissen Fischspecies durch das Schwankende
und Unbestimmte hrer Form daran denken müssen, dass man hier Bastarde
vor sich habe. Auch das seltene und ganz vereinzelte Vorkommen solcher
Fischformen in Gewässern, welche Jahr aus Jahr ein befischt werden, hätte
auf ihre Bastardbildung aufmerksam machen müssen, zumal da die Volks-
stimme längst dergleichen Fische mit charakteristischen, ihre Abstammung
bespöttelnden Namen gebrandmarkt hat. Hier und da wurden von einzelnen
Faunisten gewisse Fische wirklich als Bastarde bezeichnet, was die Systema-
tiker aber nicht abgehalten hat, dieselben zu reinen Arten zu erheben. Die
von mir als Bastarde erkannten Fische sind folgende: 1) Carpio Kollarii,
2) Abramidopsis Leuckartii, 3) Bliccopsis abramo-rutilus, 4) Alburnus dolabratus
und 5) Chondrostoma Rysela. Leider habe ich über das Wesen und Leben die-
ser Fische gar manches unaufgeklärt lassen müssen, namentlich habe ich
über die Bedingungen ihrer Entstehung und über ihre Fortpflanzungsfähig-
keit bis jetzt keine Erfahrungen sammeln können, auch habe ich in Bezug
auf ihre Abstammung, wie das die Schwierigkeit des Gegenstandes mit sich
bringt, manches nur errathen können, habe aber diese über Bastardbildungen
nur als Vermuthung hingestellten Aeusserungen um so weniger unterdrücken
wollen, weil ich erwarten kann, dass dieselben zur Nachprüfung anregen
werden, wodurch meine mangelhaften Untersuchungen um so eher ergänzt
werden dürften.



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[20/0033] Einleitung. orten zu einer freiwilligen Bastard-Erzeugung kommen könne, hat sich mir bei meinen ichthyologischen Untersuchungen immer wieder aufgedrängt und musste von mir, so sehr ich mich anfangs dagegensträubte, zuletzt bejaht werden; das Vorkommen von Bastardfischen in unseren Seen und Flüssen kann nicht mehr geläugnet werden, und muss nach meinen Erfahrungen als eine ausgemachte Sache gelten. Ich betrachte die Erkenntniss dieser Thatsache für einen grossen Gewinn der Systematiker, indem jetzt die Möglichkeit ge- geben ist, gewissen Fischformen, deren Einreihung in das System als selbst- ständige Arten bisher die grösste Schwierigkeit gemacht hatte, als unreinen Zwischenformen die richtige untergeordnete Stellung im Systeme anzuweisen. Es wird dadurch freilich unsere Fischfauna wieder um einige Arten, ja sogar um einige Gattungen ärmer, was derjenige leicht verschmerzen wird, der sich bewusst ist, dass in der Vermehrung der Thierspecies nicht der Schwerpunct des Fortschritts unseres zoologischen Wissens liegt. Schon lange hätte man bei gewissen Fischspecies durch das Schwankende und Unbestimmte hrer Form daran denken müssen, dass man hier Bastarde vor sich habe. Auch das seltene und ganz vereinzelte Vorkommen solcher Fischformen in Gewässern, welche Jahr aus Jahr ein befischt werden, hätte auf ihre Bastardbildung aufmerksam machen müssen, zumal da die Volks- stimme längst dergleichen Fische mit charakteristischen, ihre Abstammung bespöttelnden Namen gebrandmarkt hat. Hier und da wurden von einzelnen Faunisten gewisse Fische wirklich als Bastarde bezeichnet, was die Systema- tiker aber nicht abgehalten hat, dieselben zu reinen Arten zu erheben. Die von mir als Bastarde erkannten Fische sind folgende: 1) Carpio Kollarii, 2) Abramidopsis Leuckartii, 3) Bliccopsis abramo-rutilus, 4) Alburnus dolabratus und 5) Chondrostoma Rysela. Leider habe ich über das Wesen und Leben die- ser Fische gar manches unaufgeklärt lassen müssen, namentlich habe ich über die Bedingungen ihrer Entstehung und über ihre Fortpflanzungsfähig- keit bis jetzt keine Erfahrungen sammeln können, auch habe ich in Bezug auf ihre Abstammung, wie das die Schwierigkeit des Gegenstandes mit sich bringt, manches nur errathen können, habe aber diese über Bastardbildungen nur als Vermuthung hingestellten Aeusserungen um so weniger unterdrücken wollen, weil ich erwarten kann, dass dieselben zur Nachprüfung anregen werden, wodurch meine mangelhaften Untersuchungen um so eher ergänzt werden dürften.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/33>, abgerufen am 20.04.2024.