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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Einleitung.
zu erschweren, ist die Existenz von Fischen, welche ihr ganzes Leben hin-
durch steril bleiben; solche Fische wachsen mit ganz anderen Profilverhält-
nissen aus und weichen in ihrem ganzen Habitus von gleichgrossen fortpflan-
zungsfähigen Individuen derselben Art oft höchst auffallend ab. Ich habe
auf diese Sterilität der Fische in der zoologischen Section während der zu
Königsberg abgehaltenen Naturforscher-Versammlung aufmerksam gemacht 1),
und nachgewiesen, dass solche sterile Formen als besondere Fisch-Species
aufgeführt worden sind. Unter welchen Einflüssen Fische zu sterilen Formen
sich entwickeln und heranwachsen, ist mir bis jetzt unbekannt geblieben. Die
sterilen Individuen einer Fischspecies verrathen sich zur Laichzeit besonders
leicht; vergleicht man um diese Zeit sterile Individuen mit fruchtbaren Indi-
viduen gleicher Grösse und gleichen Alters, so wird der Contrast zwischen
den verschiedenen Entwicklungszuständen ihrer Ovarien und Hoden auf den
ersten Blick in die Augen springen, wobei dann an den sterilen Formen, na-
mentlich an den männlichen Individuen derselben auch die übrigen Kennzei-
chen der erwachten Brunst, nämlich die dunkleren und schöneren Färbungen,
die kräftigere Flossenentwicklung, die eigenthümlichen Hautwucherungen feh-
len werden. Auch nach verflossener Brunstzeit lassen sich die steril gebliebe-
nen Individuen von den sogenannten ausgelaichten Individuen schon äusserlich
unterscheiden. Die letzteren bieten, da sie bekanntlich während der ganzen
Fortpflanzungszeit nichts fressen, mit ihrem leeren Magen und ihren einge-
schrumpften erschlafften Geschlechtswerkzeugen ein sehr abgemagertes An-
sehen dar, während die ersteren, Jahr aus Jahr ein ohne Unterbrechung dem
Frasse nachgehend, stets wohlgenährt und fett erscheinen, so dass gerade diese
sterilen Fischformen wegen ihres zarten und wohlschmeckenden Fleisches auf
den Fischmärkten als ein sehr gesuchtes Nahrungsmittel gelten. Ich bemerke
ausdrücklich, dass die Geschlechtswerkzeuge den sterilen Fischen nicht fehlen,
sie sind stets vorhanden und sogar als Hoden oder Eierstöcke erkennbar, jedoch
auf einem früheren jugendlichen Entwicklungszustande stehen geblieben 2).

Da die Färbungen und Zeichnungen der Süsswasserfische sehr vielen Ab-
änderungen unterworfen sind, habe auch ich es so viel als möglich vermieden,

1) Vergl. den amtlichen Bericht über die 35te Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Königsberg im September 1860. pag. 75.
2) Wie sich den sterilen Fischen gegenüber die bereits erwähnten Kümmerer in ge-
schlechtlicher Beziehung verhalten, das ist mir noch nicht klar geworden. Soviel steht in-
dessen fest, dass bei den sterilen Fischen die Geschlechtswerkzeuge nicht aus Mangel an
Nahrung in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind. Aus diesem Grunde möchte ich auch
jene von Kessler (in dem Bulletin de la soc. imp. des Naturalistes de Moscou, 1859.
pag. 248.) erwähnte schwarze Varietät des Gobius fluviatilis, welche im Bug und Dnjestr
bisweilen mit ganz eingeschrumpften Backen und schmächtigem zusammengedrücktem Kör-
per vorkömmt und von den Fischern "Läufer" genannt wird, nicht als eine sterile Form be-
trachten, wie dies Kessler (vergl. den amtl. Bericht über die 35te Naturforscher-Versamml.
a. a. O. pag. 85.) gethan hat, sondern für einen Kümmerer halten.

Einleitung.
zu erschweren, ist die Existenz von Fischen, welche ihr ganzes Leben hin-
durch steril bleiben; solche Fische wachsen mit ganz anderen Profilverhält-
nissen aus und weichen in ihrem ganzen Habitus von gleichgrossen fortpflan-
zungsfähigen Individuen derselben Art oft höchst auffallend ab. Ich habe
auf diese Sterilität der Fische in der zoologischen Section während der zu
Königsberg abgehaltenen Naturforscher-Versammlung aufmerksam gemacht 1),
und nachgewiesen, dass solche sterile Formen als besondere Fisch-Species
aufgeführt worden sind. Unter welchen Einflüssen Fische zu sterilen Formen
sich entwickeln und heranwachsen, ist mir bis jetzt unbekannt geblieben. Die
sterilen Individuen einer Fischspecies verrathen sich zur Laichzeit besonders
leicht; vergleicht man um diese Zeit sterile Individuen mit fruchtbaren Indi-
viduen gleicher Grösse und gleichen Alters, so wird der Contrast zwischen
den verschiedenen Entwicklungszuständen ihrer Ovarien und Hoden auf den
ersten Blick in die Augen springen, wobei dann an den sterilen Formen, na-
mentlich an den männlichen Individuen derselben auch die übrigen Kennzei-
chen der erwachten Brunst, nämlich die dunkleren und schöneren Färbungen,
die kräftigere Flossenentwicklung, die eigenthümlichen Hautwucherungen feh-
len werden. Auch nach verflossener Brunstzeit lassen sich die steril gebliebe-
nen Individuen von den sogenannten ausgelaichten Individuen schon äusserlich
unterscheiden. Die letzteren bieten, da sie bekanntlich während der ganzen
Fortpflanzungszeit nichts fressen, mit ihrem leeren Magen und ihren einge-
schrumpften erschlafften Geschlechtswerkzeugen ein sehr abgemagertes An-
sehen dar, während die ersteren, Jahr aus Jahr ein ohne Unterbrechung dem
Frasse nachgehend, stets wohlgenährt und fett erscheinen, so dass gerade diese
sterilen Fischformen wegen ihres zarten und wohlschmeckenden Fleisches auf
den Fischmärkten als ein sehr gesuchtes Nahrungsmittel gelten. Ich bemerke
ausdrücklich, dass die Geschlechtswerkzeuge den sterilen Fischen nicht fehlen,
sie sind stets vorhanden und sogar als Hoden oder Eierstöcke erkennbar, jedoch
auf einem früheren jugendlichen Entwicklungszustande stehen geblieben 2).

Da die Färbungen und Zeichnungen der Süsswasserfische sehr vielen Ab-
änderungen unterworfen sind, habe auch ich es so viel als möglich vermieden,

1) Vergl. den amtlichen Bericht über die 35te Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Königsberg im September 1860. pag. 75.
2) Wie sich den sterilen Fischen gegenüber die bereits erwähnten Kümmerer in ge-
schlechtlicher Beziehung verhalten, das ist mir noch nicht klar geworden. Soviel steht in-
dessen fest, dass bei den sterilen Fischen die Geschlechtswerkzeuge nicht aus Mangel an
Nahrung in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind. Aus diesem Grunde möchte ich auch
jene von Kessler (in dem Bulletin de la soc. imp. des Naturalistes de Moscou, 1859.
pag. 248.) erwähnte schwarze Varietät des Gobius fluviatilis, welche im Bug und Dnjestr
bisweilen mit ganz eingeschrumpften Backen und schmächtigem zusammengedrücktem Kör-
per vorkömmt und von den Fischern »Läufer« genannt wird, nicht als eine sterile Form be-
trachten, wie dies Kessler (vergl. den amtl. Bericht über die 35te Naturforscher-Versamml.
a. a. O. pag. 85.) gethan hat, sondern für einen Kümmerer halten.
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[13/0026] Einleitung. zu erschweren, ist die Existenz von Fischen, welche ihr ganzes Leben hin- durch steril bleiben; solche Fische wachsen mit ganz anderen Profilverhält- nissen aus und weichen in ihrem ganzen Habitus von gleichgrossen fortpflan- zungsfähigen Individuen derselben Art oft höchst auffallend ab. Ich habe auf diese Sterilität der Fische in der zoologischen Section während der zu Königsberg abgehaltenen Naturforscher-Versammlung aufmerksam gemacht 1), und nachgewiesen, dass solche sterile Formen als besondere Fisch-Species aufgeführt worden sind. Unter welchen Einflüssen Fische zu sterilen Formen sich entwickeln und heranwachsen, ist mir bis jetzt unbekannt geblieben. Die sterilen Individuen einer Fischspecies verrathen sich zur Laichzeit besonders leicht; vergleicht man um diese Zeit sterile Individuen mit fruchtbaren Indi- viduen gleicher Grösse und gleichen Alters, so wird der Contrast zwischen den verschiedenen Entwicklungszuständen ihrer Ovarien und Hoden auf den ersten Blick in die Augen springen, wobei dann an den sterilen Formen, na- mentlich an den männlichen Individuen derselben auch die übrigen Kennzei- chen der erwachten Brunst, nämlich die dunkleren und schöneren Färbungen, die kräftigere Flossenentwicklung, die eigenthümlichen Hautwucherungen feh- len werden. Auch nach verflossener Brunstzeit lassen sich die steril gebliebe- nen Individuen von den sogenannten ausgelaichten Individuen schon äusserlich unterscheiden. Die letzteren bieten, da sie bekanntlich während der ganzen Fortpflanzungszeit nichts fressen, mit ihrem leeren Magen und ihren einge- schrumpften erschlafften Geschlechtswerkzeugen ein sehr abgemagertes An- sehen dar, während die ersteren, Jahr aus Jahr ein ohne Unterbrechung dem Frasse nachgehend, stets wohlgenährt und fett erscheinen, so dass gerade diese sterilen Fischformen wegen ihres zarten und wohlschmeckenden Fleisches auf den Fischmärkten als ein sehr gesuchtes Nahrungsmittel gelten. Ich bemerke ausdrücklich, dass die Geschlechtswerkzeuge den sterilen Fischen nicht fehlen, sie sind stets vorhanden und sogar als Hoden oder Eierstöcke erkennbar, jedoch auf einem früheren jugendlichen Entwicklungszustande stehen geblieben 2). Da die Färbungen und Zeichnungen der Süsswasserfische sehr vielen Ab- änderungen unterworfen sind, habe auch ich es so viel als möglich vermieden, 1) Vergl. den amtlichen Bericht über die 35te Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Königsberg im September 1860. pag. 75. 2) Wie sich den sterilen Fischen gegenüber die bereits erwähnten Kümmerer in ge- schlechtlicher Beziehung verhalten, das ist mir noch nicht klar geworden. Soviel steht in- dessen fest, dass bei den sterilen Fischen die Geschlechtswerkzeuge nicht aus Mangel an Nahrung in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind. Aus diesem Grunde möchte ich auch jene von Kessler (in dem Bulletin de la soc. imp. des Naturalistes de Moscou, 1859. pag. 248.) erwähnte schwarze Varietät des Gobius fluviatilis, welche im Bug und Dnjestr bisweilen mit ganz eingeschrumpften Backen und schmächtigem zusammengedrücktem Kör- per vorkömmt und von den Fischern »Läufer« genannt wird, nicht als eine sterile Form be- trachten, wie dies Kessler (vergl. den amtl. Bericht über die 35te Naturforscher-Versamml. a. a. O. pag. 85.) gethan hat, sondern für einen Kümmerer halten.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/26>, abgerufen am 29.03.2024.