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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied
nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht
warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg
ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬
zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz
hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem
Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬
gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es
für mich, dass die Leute hier überall links und
rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich
keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte
nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das
Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬
rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬
was aus der Analogie mit dem Russischen verstand.
Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, dass man
sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und
nennen sich desswegen die Slawen, die Berühmten,
ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die grosse
Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden
sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬
gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die
Böhmen finden keine grosse Schwierigkeit. Ich selbst
erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Russ¬
land zurück kam und einen alten russischen Grenadier
als Bedienten mit mir hatte, dass er mir in der Lausitz
in der Gegend von Lübben sagte: "Aber, mein Gott,
wir sind ja hier noch ganz in Russland; hier spricht
man ja noch gut russisch." So viel Aehnlichkeit ha¬
ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬
sischen bis zum wendischen und krainischen.

Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied
nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht
warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg
ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬
zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz
hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem
Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬
gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es
für mich, daſs die Leute hier überall links und
rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich
keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte
nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das
Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬
rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬
was aus der Analogie mit dem Russischen verstand.
Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daſs man
sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und
nennen sich deſswegen die Slawen, die Berühmten,
ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die groſse
Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden
sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬
gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die
Böhmen finden keine groſse Schwierigkeit. Ich selbst
erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Ruſs¬
land zurück kam und einen alten russischen Grenadier
als Bedienten mit mir hatte, daſs er mir in der Lausitz
in der Gegend von Lübben sagte: „Aber, mein Gott,
wir sind ja hier noch ganz in Ruſsland; hier spricht
man ja noch gut russisch.“ So viel Aehnlichkeit ha¬
ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬
sischen bis zum wendischen und krainischen.

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[60/0086] Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬ zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬ gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es für mich, daſs die Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬ rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬ was aus der Analogie mit dem Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daſs man sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und nennen sich deſswegen die Slawen, die Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die groſse Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬ gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine groſse Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Ruſs¬ land zurück kam und einen alten russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, daſs er mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: „Aber, mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Ruſsland; hier spricht man ja noch gut russisch.“ So viel Aehnlichkeit ha¬ ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬ sischen bis zum wendischen und krainischen.

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/86>, abgerufen am 28.03.2024.