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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬
raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr
festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬
che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden.
Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;
aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so
haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird
mir noch lange einen grossen Genuss gewähren, Brock¬
mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der
weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten
Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬
lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬
haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre
Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden
könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin;
aber nicht für dieses Fach.

Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser.
Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬
strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬
herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, dass
es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich
begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit
so traurige Missgriffe in die Aesthetik hat thun können.
Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn,
bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie
können.

Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,
Sogleich den Mangel ihrer Kraft
Im ersten Tone quiekend melden,
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allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬
raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr
festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬
che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden.
Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;
aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so
haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird
mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬
mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der
weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten
Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬
lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬
haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre
Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden
könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin;
aber nicht für dieses Fach.

Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser.
Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬
strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬
herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs
es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich
begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit
so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können.
Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn,
bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie
können.

Ich, meines Theils, will keine Helden,
Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,
Sogleich den Mangel ihrer Kraft
Im ersten Tone quiekend melden,
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[33/0059] allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬ raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬ che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬ mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬ lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬ haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach. Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬ strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬ herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können. Ich, meines Theils, will keine Helden, Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft, Sogleich den Mangel ihrer Kraft Im ersten Tone quiekend melden, 3

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/59>, abgerufen am 23.04.2024.