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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles
Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener
klagen, dass dieses fast beständig so ist. Da ging ich
denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle
und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum
bonum; Danubius
, qui dat nubes; und dergleichen
mehr: wer weiss, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬
tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer,
Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen
wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬
ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬
nister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir
nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬
tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das
männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche;
aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt
über die andern so sehr empor, dass er durch seine
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬
dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm
nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück;
zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist.
Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe
Dir, dass es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬
macht hat; vielleicht schon desswegen, weil es einen
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬
delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so
viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann,
wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuss
hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind

te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles
Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener
klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich
denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle
und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum
bonum; Danubius
, qui dat nubes; und dergleichen
mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬
tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer,
Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen
wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬
ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬
nister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir
nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬
tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am
Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das
männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche;
aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt
über die andern so sehr empor, daſs er durch seine
Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬
dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm
nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück;
zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist.
Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe
Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬
macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen
meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬
delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so
viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann,
wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs
hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind

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[32/0058] te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬ tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬ ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬ nister wieder packen müssen. Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬ tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, daſs er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬ dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬ macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬ delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/58>, abgerufen am 19.04.2024.