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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬
stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen
wollen, weil ich mich mit der Personificierung der
Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal
noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬
pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht
genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬
chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten
Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬
sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere
Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des
alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen
hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬
wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische.
Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde
hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre
Arbeit finden, und Füger für die seinige.

Ich muss Dir noch über zwey Stücke von Füger
etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen
Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst.
Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der
Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬
keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für
Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten
Genuss hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬
mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey
Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist
Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und
der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man
muss das Ganze mit Einem Blicke umfassen können,
um die Grösse der Wirkung zu haben, die der Künst¬

gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬
stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen
wollen, weil ich mich mit der Personificierung der
Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal
noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬
pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht
genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬
chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten
Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬
sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere
Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des
alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen
hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬
wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische.
Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde
hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre
Arbeit finden, und Füger für die seinige.

Ich muſs Dir noch über zwey Stücke von Füger
etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen
Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst.
Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der
Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬
keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für
Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten
Genuſs hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬
mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey
Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist
Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und
der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man
muſs das Ganze mit Einem Blicke umfassen können,
um die Gröſse der Wirkung zu haben, die der Künst¬

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[29/0055] gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬ stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬ pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬ chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬ sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬ wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige. Ich muſs Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬ keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuſs hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬ mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man muſs das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die Gröſse der Wirkung zu haben, die der Künst¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/55>, abgerufen am 23.04.2024.