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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegs¬
geist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird
müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem
tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klas¬
siker gelesen zu haben, dass die Katten lange vor
Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in
Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden
Verbindungen aufgegeben.

Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu
meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth
verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu ha¬
ben waren, mich hinüber zu schaffen, liess sich die
Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen
und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das
nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich
setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich
zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg
hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem
Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dör¬
fer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr
vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht ein¬
leuchten wollte, war, dass man überall so viel herrli¬
ches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses
Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen
gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes
Beyspiel, dass der Mensch ein Thier der Gewohnheit
ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hun¬
dert Jahre Land genug bat, mag man die Pflan¬
ze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber
bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oe¬

Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegs¬
geist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird
müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem
tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klas¬
siker gelesen zu haben, daſs die Katten lange vor
Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in
Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden
Verbindungen aufgegeben.

Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu
meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth
verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu ha¬
ben waren, mich hinüber zu schaffen, lieſs sich die
Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen
und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das
nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich
setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich
zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg
hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem
Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dör¬
fer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr
vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht ein¬
leuchten wollte, war, daſs man überall so viel herrli¬
ches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses
Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen
gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes
Beyspiel, daſs der Mensch ein Thier der Gewohnheit
ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hun¬
dert Jahre Land genug bat, mag man die Pflan¬
ze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber
bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oe¬

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[485 /0513] Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegs¬ geist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klas¬ siker gelesen zu haben, daſs die Katten lange vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden Verbindungen aufgegeben. Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu ha¬ ben waren, mich hinüber zu schaffen, lieſs sich die Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dör¬ fer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht ein¬ leuchten wollte, war, daſs man überall so viel herrli¬ ches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes Beyspiel, daſs der Mensch ein Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hun¬ dert Jahre Land genug bat, mag man die Pflan¬ ze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oe¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 485 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/513>, abgerufen am 25.04.2024.